- Putins beste Freunde in Europa
Die griechische und die ungarische Regierung flirten beide öffentlich mit Putin. Das kommt in der EU nicht gut an. Dahinter steckt die Hoffnung auf Geld und Gas. Es gibt aber auch ein paar größere Unterschiede in den Motiven
Es war seine erste Moskaureise in Amt und Würden. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras traf vor ein paar Wochen zunächst Wladimir Putin in Moskau, anschließend den Vorsitzenden von Gazprom, Alexei Miller, in Athen. Vor beiden Treffen mehrten sich Gerüchte, dass die griechische Regierung mit Hilfe russischer Gelder versuchen würde, den Staatsbankrott zu verhindern. Natürlich wäre ein solcher Gefallen nicht zum Nulltarif zu haben. Die Vermutung dahinter: Russland könnte als Gegenleistung verlangen, dass das Land russische Interessen in der EU vertritt. Die neue griechische Regierung wollte schon Ende Januar ein Veto gegen die Russland-Sanktionen einlegen.
Die Griechen sind nicht allein mit ihren Sympathiebekundungen für Moskau: Als sich Anfang April Vertreter von Griechenland, Serbien, Makedonien, Ungarn und der Türkei trafen, um sich über ein Pipeline-Projekt zu unterhalten, schrieb das russische Propagandamedium Sputnik schon von einer „Koalition der Gazprom-Freunde in Europa”. Zwei dieser Länder, Griechenland und Ungarn, sind Teil der Europäischen Union und könnten damit den Einfluss Wladimir Putins in Europa wesentlich stärken.
Orbán: keine langfristige Überlegungen
Hinter der griechischen und ungarischen Annäherung an Russland stehen jedoch unterschiedliche Motive. Bei den Ungarn ist die Russland-Freundschaft Folge einer politischen Entscheidung. Die griechische Regierung hingegen weiß bei ihrer Russland-Offerte einen Großteil der eigenen Bevölkerung hinter sich. Der ungarische Journalist und Historiker Péter Techet beschrieb diesen Unterschied in einem Artikel in der Onlinezeitung HVG.hu. Er meint, Orbán habe sich schon lange mit der Armut und der Verletzlichkeit seiner Landsleute abgefunden. Obwohl laut Eurostat-Daten eine durchschnittliche ungarische Familie mit zwei Kindern wesentlich weniger Geld verdient als eine griechische, ist es Tsipras, der über eine „humanitäre Katastrophe” in seinem Land spricht. Er betrachtet das Beenden der Sparpolitik als Hauptziel seiner Regierung. Orbáns Regierung hingegen verfolgt ganz eigene Interessen. „Für Orbán und seine Regierung ist die Armut ein Wettbewerbsvorteil”, schreibt Techet, denn er wisse, dass die westlichen Firmen, denen Ungarn sein BIP-Wachstum zu verdanken hat, nur deshalb im Land blieben, weil ein Arbeiter in Ingolstadt viermal so viel kostet wie einer in der westungarischen Stadt Győr.
Dennoch richtet sich Orbáns „Freiheitskampf” nicht gegen die Ausbeutung der ungarischen Arbeiter, sondern gegen Kritiker seiner „illiberalen Demokratie“. In diesem Konzept steht bei Weitem nicht der Wohlstand im Vordergrund. Geht es doch vielmehr darum, die Statistiken zu verbessern, beispielsweise indem Arbeitslose zur Arbeit gezwungen werden, um zumindest auf dem Papier Vollbeschäftigung zu suggerieren.
Obwohl Orbán allein wegen des systematischen Abbaus der ungarischen Demokratie und der Einschränkung der Freiheitsrechte immer öfter mit Putin verglichen wird, folgt die Annäherung an Putin des ehemaligen Antikommunisten Orbán einer ganz pragmatischen Logik. Das lässt sich am Beispiel seines Atomenergie-Deals mit Russland sehen: Russland soll den Ungarn einen Kredit von zehn Milliarden Euro bereitstellen, um damit das Kernkraftwerk in der ungarischen Kleinstadt Paks zu erweitern und indirekt etwas Geld in die ungarische Wirtschaft zu pumpen. Damit versucht Orbán, seine Wählerschaft bis zur nächsten Wahl zufriedenzustellen. „Langfristige Überlegungen, sowas gibt es nicht”, sagte Zoltán Illés, Orbáns ehemaliger Staatsekretär für die Umwelt, gegenüber Reuters.
Die ungarische Ostpolitik
Die zweite Orbán-Regierung hatte nach 2010 die sogenannte Politik der „Ostöffnung” eingeleitet und sich dadurch ungarische Exporte nach China, in die Türkei und die ehemalige Sowjetunion erhofft. Obwohl die „wirtschaftsdiplomatische Offensive” noch nicht zum ungarischen Wirtschaftswachstum beigetragen hat, blieb Viktor Orbán seiner Ostöffnung treu.
Noch enthusiastischer in Sachen Putin ist die rechtsradikale Jobbik-Partei, die vor ein paar Wochen in einer Nachwahl ihr erstes Direktmandat gewinnen konnte und die man aufgrund zunehmender Popularität schon bald ohne Übertreibung eine Volkspartei nennen kann. Vor zwei Jahren, als ich mit einem Jobbik-Abgeordneten ein Interview führte, entdeckte ich auf seinem Schreibtisch ein Russisch-Lehrbuch für Anfänger. Er sagte, er habe lange Zeit die Russen mit der Sowjetunion gleichgesetzt. Als er aber in Russland zu Besuch gewesen sei, habe er festgestellt, dass sich das Land unter Putin in ein „vorbildliches, christlich-konservatives Land” verwandelt habe. Die meisten Mitglieder der Partei teilen diese Auffassung, sie nahmen auch als Beobachter am Sezessionsreferendum auf der Krim teil. Außerdem wird vermutet, dass einer ihrer EU-Parlamentsabgeordneten, Béla Kovács (im ungarischen politischen Diskurs KGBéla genannt), als Spion für Russland tätig ist.
Meinungsforschungen zeigen aber, dass nicht einmal die Anhängerschaft von Jobbik diese pro-russischen Gefühle teilt: In einem neuen Kalten Krieg würden die meisten von ihnen lieber die USA als Russland als Verbündeten sehen. Die Frage ist nur, ob die öffentliche Meinung in einer gelenkten Demokratie wie Ungarn, wo es zur Zeit keine starke demokratische Opposition gibt, überhaupt noch einen Unterschied machen kann.
Griechenland: eine historische Affinität
„Man hatte die Griechen in den letzten Jahrzehnten mehrmals verdächtigt, dass sie die Trojanischen Pferde von Russland seien. Ich meinte immer, diese Klagen seien nicht gerecht... Jetzt bin ich mir aber nicht so sicher”, sagt Dimitrios Triantaphyllou, Professor für Internationale Beziehungen an der Kadir Has Universität in Istanbul dem Cicero. Demnach fühlten sich viele Griechen den Russen nahe, da beide Länder zum orthodoxen Christentum gehörten und auch nie Krieg miteinander geführt hätten. Sie hofften auch, dass sie mit russischer Hilfe zu einem Energieknotenpunkt Europas („Energy Hub”) werden könnten, und glaubten, dass Russland ein Gegengewicht sei gegenüber einer der größten außenpolitischen Herausforderungen Griechenlands: der Türkei.
Mit Syriza an der Regierung hat sich die ursprüngliche Affinität noch verstärkt. Der Grund dafür ist einerseits das Gefühl der Hoffnungslosigkeit aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation Griechenlands. Aber auch ideologisch rücke man näher, meint Triantaphyllou, denn der Energieminister Panagiotis Lafazanis und der Außenminister Nikos Kotzias bewunderten Russland und betrachteten es als die Mutter aller Revolutionen. Auch wenn das heutige Russland wenig mit der linken Ideologie zu tun habe.
Noch als Ministerpräsident der sozialdemokratischen PASOK-Partei besuchte 2010 Giorgos Papandreou Moskau. Es gab auch damals Gerüchte, dass er mit dem damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin über einen Kredit von 25 Milliarden Euro verhandelt, das Geld aber letztendlich abgelehnt habe. „Das wurde nie bestätigt. Aber wenn das so abgelaufen ist, bedeutet das, dass Papandreou wusste, dass er mit der Annahme des Kredits eine Grenze überschreiten würde. Letztendlich entschied er sich anders, denn wer weiß, was Griechenland außerhalb der EU und der NATO erwartet”, sagt Triantaphyllou.
Gleichwohl es immer schon die Neigung gab, sich Russland zu nähern, bestimmte die Aussage des ersten Ministerpräsidenten der Dritten Hellenischen Republik, Konstantinos Karamanlis, dass Griechenland zum Westen gehöre, für lange Jahrzehnte die Richtung der griechischen Politik.
Neu ist, dass Jetzt die öffentliche Meinung stärker ins Gewicht fällt. Denn Syriza ist eine populistische Partei. Zumindest im Sinne der Theorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, nach der auch linke Parteien ihre Botschaften in einfacher und emotional ansprechender Weise formulieren sollten. Nur so könnten breite Massen, und nicht nur die Eliten, an der Politik teilnehmen. Und die breiten Massen sind zurzeit nicht westlich orientiert.
Diesen Bevölkerungsschichten gilt es zu signalisieren, dass Griechenland auch andere Optionen prüft und nicht allein auf den Erfolg der Verhandlungen mit den Mitgliedsländern der Eurozone setzt. Russland ist also Plan B. Und natürlich auch ein Mittel, Druck auf die EU auszuüben. Da stört es die Regierung auch nicht, dass die russische Wirtschaft gerade etwas schwächelt. „Wenn die russische Wirtschaft in einer Krise ist, was sollen wir dann über Griechenland sagen?“, reagiert darauf der griechische Politikwissenschaftler Triantaphyllou. Auch vage Versprechen von Putin seien besser als nichts.
Triantaphyllou fügt aber noch optimistisch hinzu, es gäbe immer noch mehrere westlich orientierte Parteien in der griechischen Opposition. Und auch Tsipras sei nicht gewählt worden, um die Eurozone zu verlassen, sondern, um mit den Gläubigern des Landes zu verhandeln. „Die Mehrheit der Menschen will immer noch in der Eurozone bleiben und wenn die Situation sich nicht sehr verschlechtert, wird Griechenland seine Verpflichtungen gegenüber der NATO und der EU nicht vernachlässigen”, sagt er.
Turkish Stream: Für die Kleinen gibt es keine Alternativen
Eines der heißen Themen, wenn es um Putins mögliche Freunde in Europa geht, ist die Turkish Stream, eine Gasleitung, die von der Türkei über Griechenland nordwärts nach Zentraleuropa führen soll. Es verwundert also nicht, dass vor dem Treffen mit Gazprom-Chef Alexei Miller nicht genannte griechische Regierungsmitglieder mit der Aussage zitiert wurden, dass Russland bereit sei, bis zu fünf Milliarden Euro im Voraus zu bezahlen – aufgrund der erwarteten Gewinne aus der Turkish Stream. Aber zurzeit stehen die Vertreter der griechischen Regierung noch mit leeren Händen da.
Die Turkish Stream gilt als Nachfolger der South Stream Gasleitung, deren Bau Russland im Dezember aufgegeben hatte. Sie sollte der Versorgungssicherheit von Europas Verbrauchern dienen, indem sie russisches Gas an der Ukraine vorbei in die EU leitet. In der jetzigen geopolitischen Situation ist das natürlich ein heikles Thema und wegen der Annexion der Krim und des Konflikts in der Ostukraine auch heftig umstritten.
Der ungarische Energie-Experte András György Deák hat aber mit der Grundidee keine Probleme. Für ihn ist das Projekt per se nicht verdächtig, denn kleine Länder wie Ungarn oder Griechenland könnten die Turkish Stream nicht ignorieren, da ihre Energiepolitik von der Politik der größeren Länder abhänge. „Es gibt keine Alternative zum russischen Gas. Nach dem Scheitern des Nabucco-Projects in 2012 sieht es so aus, dass wir nirgendwo billiger Gas kaufen können als von Russland. Das stärkt die russischen Positionen unheimlich”, sagt Deák. Aber auch bei diesem Projekt ist zu bezweifeln, ob es wie geplant bis zum Jahr 2019 durchgeführt werden kann. Da verwundert es schon, dass Ungarn so sehr an den Erfolg des Projekts glaubt.
„Es gibt noch viele Unbekannte”
„Die Turkish Stream ist konzipiert aus eventuell vier Strängen, derselben Kapazität wie man sie für die South Stream geplant hatte, also insgesamt 63 Milliarden Kubikmeter jährlich. Es sind kaum Details bekannt, nur, dass der erste Strang wohl vor allem türkische Konsumenten versorgen soll, der zweite Strang dann vor allem für die südosteuropäischen Märkte gedacht ist”, sagt die Energieexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin dem Magazin Cicero. Rein rechnerisch könnte also Europa mit der Turkish Stream die ukrainischen Gasrouten völlig vermeiden. „Es gibt sehr viele Unbekannte, je nachdem, wie viele Stränge letztendlich realisiert werden, je nachdem, welche Vertragsmengen durch die Ukraine geliefert werden; und es kommt auch auf den Verhandlungsprozess zwischen den Firmen an. Wenn sie weiterhin auf den ukrainischen Korridor bauen, dann haben wir immer noch bestehende Vertragsmengen, die über die Ukraine bedient werden müssen, aber nicht mehr in dem Maße, wie vorher”, fügt sie hinzu.
Den Ukrainern schadet dieses Projekt, aber laut Deák ist das unvermeidlich. „Schon die Idee, dass wir uns in der EU auf eine Situation vorbereiten möchten, in der die Russen die Gaspipelines der Ukrainer abschalten, ist etwas, was die ukrainische Verhandlungsposition gegenüber den Russen wesentlich schwächt. Aber das machen wir in der EU nicht, weil wir den Ukrainern schaden wollen, sondern weil das schon vor Jahren passiert ist und die Europäer ihre Verbraucher schützen wollen.”
Westphal ist der Auffassung, man könne die Situation auch optimistischer beurteilen: „Vielleicht ist das wirklich eine Chance für die Ukraine, nicht immer nur wie das Kaninchen auf die Schlange, auf den Transit zu starren und zu hoffen, dass er als Einnahmequelle erhalten bleibt. Vielleicht ist es hilfreich, wirklich von der Ausgangssituation auszugehen, dass der Transit bedeutungslos wird. Das mag hilfreich sein, einen Umbau des Energiesystems und Reformen voranzutreiben und wirklich nachzudenken, wie der Energiebedarf reduziert und der Energiemix verändert werden kann.“
Weitere Versprechen
Anfang April ließen Aussagen von mehreren russischen Ministern vermuten, dass Russland vorhabe, seine Sanktionen gegenüber drei befreundeten Ländern in der EU, Zypern, Griechenland und Ungarn, aufzuheben. Die Gegensanktionen Putins verbieten nämlich die Einfuhr einer großen Zahl von Lebensmitteln aus der EU. Das Aufheben dieses Verbotes wiederum würde Griechenland helfen, da das Land im Jahr 2013 Waren im Wert von 400 Millionen Euro nach Russland exportierte, mit Beginn der Sanktionspolitik aber plötzlich auf vielen Früchten sitzen blieb. Im Treffen mit Tsipras verwarf Putin dieses Gedankenspiel.
Dasselbe Spiel mit Ungarn. Als Putin nach Ungarn reiste, sprach man noch von der Verlagerung der Produktion – aus wirtschaftlicher Sicht eine absolut irrationale Idee. Experten sehen in diesem Verhalten Putins klassische Kommunikationstricks. Die Russische Regierung wirft Köder aus, um heraus zu finden, was etwaige Länder bereit wären, für Russland zu tun. Die mutigsten bekämen dann vielleicht auch eine Belohnung. Denn die wirtschaftliche Krise in Russland ist nicht so fundamental, dass man den Ungarn oder Griechen etwa kein Geld mehr leihen könnte. „Autoritäre Regime können ihre Ressourcen anhand von Regime-Prioritäten fokussieren und müssen die potentiell längerfristigen Auswirkungen auf die einfachen Russen nicht berücksichtigen”, sagt Mark Galeotti, Russlandexperte der New York University, gegenüber Cicero.
Das nächste Treffen von Tsipras und Putin findet schon am 9. Mai statt, wenn der griechische Premierminister an der Militärparade teilnimmt, mit der Russland jährlich den Sieg über Nazi-Deutschland feiert. Zeit fände sich vielleicht auch dort, um über Kredite zu verhandeln.
Der ungarische Präsident, János Áder, hatte nach langem Zögern letztendlich an diesem Montag die Teilname abgesagt. Die Gründe sind nicht bekannt.
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