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Ukraine - Pjotr Poroschenko und das Pulverfass

Pjotr Poroschenko wird sein Amt als ukrainischer Präsident statt mit einem Vertrauensvorschuss mit einem großen Erwartungsvorschuss antreten. Vor ihm stehen nicht nur Herausforderungen, vor ihm stehen Feinde

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Stefan Scholl ist Moskau-Korrespondent des Wirtschaftsmagazins brand eins, schreibt außerdem für Internationale Politik, Geo spezial oder Vanity Fair

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Die erste gute Nachricht des ukrainischen Wahlabends lautet: Diese Präsidentschaftswahlen haben stattgefunden, ohne Tote, ohne Verletzte. Sicher, schon am Tag danach dröhnte die russische Propaganda, die Wahlen seien ebenso gescheitert wie der gesamte ukrainische Staat, weil ja im ostukrainischen Donbass Bürgerkrieg herrsche. Wirklich haben in den zum Großteil von prorussischen Rebellen kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk nur 5 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen. Aber vorher veranstalteten die prorussischen Rebellen dort wochenlang Terror, bedrohten, verprügelten und verschleppten Wahlorganisatoren, kein Wunder, dass ein Großteil der Wahllokale dicht blieb. Aber in allen anderen ukrainischen Regionen ging die Abstimmung ohne Zwischenfälle und mit 60 Prozent Wahlbeteiligung für ukrainische Verhältnisse überaus rege von statten.

Wie Russland damals
 

Trotzdem ereifert sich der russische Kommunistenchef Gennadi Sjuganow, die ukrainischen Wahlen seien eine „Schande“ gewesen, die er als Vertreter der russischen Zivilgesellschaft nie anerkennen könne. Dabei hat der wackere russische Verbaloppositionelle offenbar vergessen, wie klaglos er 1996 seine Niederlage gegen Boris Jelzin akzeptierte. Obwohl der herzkranke und vergreisende Jelzin mit massenhaften Wahlfälschungen mühsam, in der zweiten Tour, zum Sieg gehievt worden war. Und obwohl damals schwerbewaffnete Separatisten in der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien das Kommando komplett übernommen hatten. Dort wurde damals keine einzige Wahlurne aufgestellt.

Als Staat, das haben die Präsidentschaftswahlen vom Sonntag gezeigt, funktioniert die Ukraine heute mindestens genauso gut wie Russland damals – und das unter viel größerem Druck.

Und es gibt eine zweite gute Nachricht für die Ukraine: Ihr Wahlvolk hat sich schon im ersten Wahlgang mit einer absoluten Mehrheit von 54 Prozent auf einen Kandidaten geeinigt. Bereits während des Wahlkampfes verzichteten die PR-Stäbe der Kandidaten auf die sonst üblichen Haß-, Hetz- und Schmutzkampagnen gegeneinander. Während bei den Europawahlen einige abendländische Kulturnationen mehrheitlich für Nationalpopulisten stimmten, krebsten rechts- und linksaußen stürmende Maulhelden der ukrainischen Politik wie Oleg Tjagnibok, der Chef der nationalistischen „Freiheits“-Partei oder Michail Dobkin, der Charkower Exgouverneur, bei 2 bis 3 Prozent herum. Die Nation steht – um es pathetisch auszudrücken – hinter dem neuen Präsidenten. Und mit der glatten Erstrundenentscheidung ist die Zeit der Interimsfiguren vorbei, der Präsident kann eine breitere, handlungsfähigere Führung um sich versammeln.

Pjotr Poroschenko wird den Bürgerkrieg gewinnen
 

Fehlt nur noch die dritte gute Nachricht: Pjotr Poroschenko, ehemaliger Wirtschaftsminister und Wirtschaftsoligarch, wird der Staatschef sein, auf den die Ukrainer hoffen. Er wird den im Osten tobenden Bürgerkrieg gewinnen, gleichzeitig einen neuen Ausgleich mit dem bösen großen russischen Bruder finden, die bis zur Pleite marode Wirtschaft retten und das Land nebenher nach Europa führen. Aber das ist keine Nachricht, sondern eine Hoffnung, hinter der ein gewaltiges Fragezeichen aufragt.

Poroschenko, laut Forbes 1,6 Milliarden Dollar reich, verdiente seine erste Million Anfang der 90er Jahre als Pfefferhändler, inzwischen ist der Diabetiker zum Schokoladengroßproduzenten aufgestiegen, seit 15 Jahren macht er Politik, ein gemäßigt liberaler Parlamentarier, der mehrere Ministerämter bekleidete. Aber er gilt nicht gerade als Charismabolzen, eher als Kompromissfigur. Referenzen als Schlechtwetterpolitiker hat er bisher schlichtweg keine.

Poroschenko versichert jetzt, er werde seine Schokoladenfabriken verkaufen, aber die Experten streiten weiter, ob es von Vorteil für die ukrainische Außenpolitik sein wird, dass er seine Süßware zum Großteil nach Russland exportiert. Poroschenko gilt als sehr ehrgeizig und soll sich schwer tun, auch kleinere Angelegenheiten zu delegieren. Erst einmal im Amt, könnte sich der Bentley-Fahrer ebenso in Machtrausch, Korruption und Intrigen verwickeln wie die Kutschmas, Jutschtschenkos und Janukowitschs vor ihm.

Die Feinde Poroschenkos
 

Außerdem paktierte er im Wahlkampf nicht nur mit Ex-Boxweltmeister Witali Klitschko, sondern ebenso mit den Wirtschaftsoligarchen, die hinter Klitschko stehen. Auch die früher regierende „Partei der Regionen“ und deren Geldgeber haben Poroschenko im Wahlkampf keine Knüppel zwischen die Beine geworfen. Mit anderen Worten – es scheint, als wäre er vor allem der Kompromisskandidat der ukrainischen Oligarchen. Die aber trampeln bekanntlich seit Jahrzehnten mit ihrem Geld und ihren Intrigen auf der politischen Kultur der Ukraine herum.

Allerdings, jetzt herrscht Krieg. Und vielleicht erweist es sich sogar als Segen, sollte es Poroschenko gelingen, die ewig einander bekriegende ukrainische Oligarchie um sich herum zu versammeln. In Regionen wie Dnjepropetrowsk oder Odessa bezahlen und organisieren zu Gouverneuren ernannte Wirtschaftsmagnaten schon jetzt den bewaffneten Widerstand gegen die Stoßtrupps der prorussischen Separatisten und „freiwilligen“ russischen Diversanten. Und das durchaus erfolgreich.

Jedenfalls geht Poroschenko mit viel weniger Vertrauens- als Erwartungsvorschuss an den Start. Und vor ihm stehen nicht nur Herausforderungen, vor ihm stehen Feinde. Schon am Sonntag erklärte der Wahlsieger, er wolle nach seiner Amtsübernahme als erstes ins rebellierende Donbass fliegen. Einen Tag später starteten die Separatisten einen blutigen Großangriff auf den Flughafen von Donezk. Die Friedenspfeife will dort offenbar niemand mit ihm rauchen.

 

 

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