- Die perverse Logik der Nicht-Intervention
Die Logik der westlichen Syrienpolitik ist pervers: Statt den Konflikt zu beenden, verlängert sie ihn und stärkt dabei die Extremisten innerhalb der syrischen Opposition. Wer ein „zweites Irak“ verhindern will, der muss die gemäßigten Rebellen jetzt mit Waffen und Geld unterstützen
In Damaskus gab Syriens Präsident Assad am Wochenende erstmals zu, dass seine Regierung die Kontrolle über Teile des Landes verloren hat. Anfang Dezember sagten der amerikanische Geheimdienst CIA und NATO-Generalsekretär Rasmussen deshalb seinen baldigen Fall voraus. Sogar Russland, Assads wichtigster Unterstützer, schien sich zu distanzieren.
Davon ist mittlerweile nichts mehr zu spüren. Trotz großer Anstrengungen ist es den Rebellen nicht gelungen, Damaskus oder Aleppo, die zwei größten Städte des Landes, einzunehmen. Ein Ende des Konflikts, der nach UN-Angaben in den vergangenen zwei Jahren fast 60.000 Leben gefordert hat, ist derzeit nicht in Sicht.
Mehr noch: Die westliche Position ist weiter unklar. Zwar haben Präsident Obama, Bundeskanzlerin Merkel und andere westliche Regierungschef Assad zum Rücktritt aufgefordert. Tun dafür wollen sie aber nichts. Die Amerikaner haben CIA-Agenten in die Region geschickt und Deutschland beteiligt sich an einer Nato-Mission zum Schutz der Türkei. Doch politische, finanzielle und militärische Hilfe für die Rebellen gibt es keine.
Obwohl verständlich, so ist die zögerliche Haltung des Westens kurzsichtig und kontraproduktiv. Die Amerikaner fürchten vor allem, dass ihre Waffen in den Händen von Al-Qaeda-nahen Extremisten landen. Erst vergangenen Monat hat das amerikanische Außenministerium deshalb Al Nusra, die größte jihadistische Rebellengruppe, zur Terrororganisation erklärt.
Auf deutscher Seite teilt man diese Sorge. Hinzu kommt der traditionell pazifistische Grundinstinkt, wonach das Einmischen in fremde Konflikte – noch dazu militärisch –grundsätzlich falsch ist. Wer eine Kriegspartei unterstützt, der macht aus deutscher Sicht die Situation nur schlimmer: Die Folge sind mehr Konflikt, mehr Gewalt, mehr Tote.
In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Assad wird längst vom Ausland unterstützt: Aus Russland bekommt er Waffen und politischen Beistand, der Iran schickt Ausbilder und Spezialkräfte. Auch die Jihadisten haben ausländische Sponsoren: Der winzige (aber sehr reiche) Golfstaat Katar und Saudi-Arabien haben Al Nusra zur am besten finanzierten und ausgestatteten Rebellengruppe gemacht.
Die einzigen, die momentan leer ausgehen, sind die gemäßigten und sekulären Kräfte innerhalb der Freien Syrischen Armee, die zwar von westlicher Seite wegen ihrer Zerstrittenheit und Unprofessionalität häufig kritisiert werden, aber fast keine konkrete Hilfe bekommen.
Die Konsequenz? Während die Freie Syrische Armee an den Rand gedrängt wird, gewinnen die Jihadisten an Macht und Einfluss. Der Übergang zu einer neuen (und demokratischen) Regierung wird dadurch komplizierter, der Konflikt länger und blutiger. Ländern wie Deutschland und den USA wird nach dem Fall Assads niemand einen Gefallen schulden.
Kurzum: Die Logik der westlichen Politik ist pervers. Aus Angst davor, dass Waffen und Geld in die falschen Hände gelangen, überlässt man die Opposition sich selbst und stärkt damit genau die Extremisten, deren Aufstieg ja eigentlich verhindert werden soll. Der Konflikt wird dadurch nicht kürzer, sondern länger, und am Ende könnten ein Syrien stehen, das weder friedlich noch demokratisch ist, sondern einer neuen Generation von Terroristen Unterschlupf gewährt.
Niemand will ein „zweites Irak“, doch ein dem Irak ähnlicher Bürgerkrieg ist das wahrscheinlichste Szenario, sollte sich die westliche Politik nicht ändern. Die gemäßigten Kräfte innerhalb der syrischen Opposition brauchen keine westlichen Truppen, aber sie wollen finanzielle und militärische Hilfe. Es ist im humanitären, aber auch im westlichen Eigeninteresse, dem Ruf nach einem Ende Assads auch Taten folgen zu lassen.
Peter Neumann (Twitter: @PeterRNeumann) ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London und leitet dort das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR).
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