- Die letzte Schlacht des weißen Mannes
In den USA herrscht politischer Stillstand. Shutdown wegen des Streits um ObamaCare. Doch bei dem Zwist, der Washington lahmlegt, geht es nicht um Demokraten versus Republikaner. Es geht darum, wer künftig bei den Republikanern, der Partei des weißen Establishments, das Sagen hat
Eigentlich war sie schon tot geglaubt, die Tea Party. Die amerikanischen Rechtspopulisten, lose innerhalb der Republikanischen Partei organisiert, hatten in den Präsidentschaftswahlen von 2012 den Kürzeren gezogen — Michele Bachmann, ihre Traumkandidatin, fuhr in der Vorwahlen ein nur einstelliges Ergebnis ein —, und Barack Obama wurde, aller Verschwörungstheorien zum Trotz, wiedergewählt. In ihren Zielen — keine ObamaCare, weniger Staatsverschuldung, weniger Immigranten, keine Schwulenehe — schien die Tea Party gescheitert.
Nun ist sie wieder da! Personell neu besetzt, wie Phönix aus der Asche, mit Rand Paul aus Kentucky und Ted Cruz aus Texas an der Spitze. Letzteres versprüht eine gewisse Ironie, denn der Senator aus einer kubanischen Familie ist in Kanada geboren und dürfte, nach Tea Party-Glauben, gar nicht Präsident werden. In diesen Tagen führt die Tea Party die Republikaner in Washington am Nasenring vor. Sie haben es geschafft, den Shutdown herbeizuführen, die Regierung so lahmzulegen - selbstredend mit Ausnahme des Pentagon und des Überwachungs- und Sicherheitsapparates. Aber die Nationalparks sind geschlossen, das Finanzamt, die Börsenaufsicht, es gibt keine Food Stamps, keine Beihilfen für schwangere Frauen oder Schulkinder. Selbst die „PandaCam“ im Washingtoner Zoo ist abgeschaltet. Und das mag nur ein Vorspiel zum 17. Oktober sein - die Fiskalklippe, wenn die USA womöglich zahlungsunfähig werden. Was dann?
Nicht konservativ oder Linksliberal, sondern ethnisch sortiert
Das Ende ist noch offen, aber mit diesem Stunt gelangte die Tea Party wieder ins Rampenlicht. Der Konflikt wirkt wie Konfrontation zwischen Republikanern und Demokraten. Aber die Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter. In dem Winner-takes-All, Zwei-Parteien-System der USA suchen neue politische Bewegungen ihre Heimat bei den großen Parteien. Und diese tendieren dazu, Dissidenten aufzunehmen, sobald die eine kritische Größe erreicht haben, auch wenn es inhaltlich nicht so gut passt. Die Wahl von 1992, als der libertäre Milliardär Ross Perot den Republikanern so viele Stimmen wegnahm, dass George H. Bush die Wahl an Bill Clinton verlor, dient Washington noch immer als Warnung.
Deshalb also ist die Tea Party bei den Republikanern untergekommen. Nun herrscht über die USA oft das Missverständnis, die Republikaner seien konservativ, die Demokraten hingegen linksliberal. Tatsächlich sind die Parteien in den USA ethnisch sortiert. Die Republikaner sind die Partei des weißen Establishments, der Immigranten, die schon länger hier sind, während die Demokraten die neueren Zuwandererscharen vertreten. So repräsentierten die Republikaner ursprünglich die WASPs, englischstämmige Alteingesessene, die sich „Patriots“ oder „Americans“ nannten. Hingegen bildeten schottische und irische, bald auch italienische und jüdische Immigranten die Basis der Demokraten. In den Südstaaten setzte sich Andrew Jackson, der erste demokratische Präsident, für sie ein und vertrieb die Indianer — für die distinguierten Republikaner war Jackson ein Barbar vor dem Tor.
Der Süden wurde erst ab 1960 republikanisch, als die Demokraten die Bürgerrechte für Afro-Amerikaner durchsetzten. Seitdem bilden diese, aber auch neue Immigranten aus Mexico, Guatemala oder der Dominikanischen Republik das Rückgrat der Demokraten. Italiener und Iren aber liefen zu den Republikanern über, wo die Deutschen und Skandinavier schon waren. Kurz, die Republikaner sind die Partei derer, die ihre Schäfchen im Trockenen haben, die Demokraten die Partei der Neuen, die noch ein Stück vom Kuchen wollen. Und die Tea Party ist die Partei derer, die einmal privilegiert waren, nun aber von Immigranten aus Asien, dem Nahen Osten, und Lateinamerika wirtschaftlich abgehängt werden.
Die Tea Party tritt gegen einen starken Staat ein, vor allem auf Bundesebene. Was Wunder, denn sie ist ein explosives Gemisch all derer, die mit Washington auf Kriegsfuß stehen. Sie besteht einmal aus den Libertären, unterstützt von Industriebossen wie die Koch-Brüder, die gegen staatliche Regulierungen sind, vor allem beim Umweltschutz. Ihre Gallionsfigur ist Rand Pauls Vater Ron Paul. Sie lehnen nicht nur Wohlfahrt und eine staatliche Krankenkasse ab, sie sehen auch NSA-Überwachung und Militäreinsätze kritisch. Besonders viel Anhänger hat Paul im Militär; kein Wunder, unter einem Paul-Regime dürften die Soldaten zuhause bleiben und würden trotzdem voll alimentiert, auch im Krankheitsfall, denn dass sich Soldaten auf dem freien Markt versichern, fordern selbst die Libertären nicht.
Das Problem der Libertären ist allerdings, dass sie — allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz — nie mehr als ein, allenfalls zwei Prozent Rückhalt in der Bevölkerung haben. Viel stärker innerhalb der Tea Party sind die ehemaligen Dixicrats, die Südstaatendemokraten, unter denen auch viele Southern Baptists sind, eine Strömung der Evangelikalen. Die sind pro Militär und auch generell für Law und Order, vor allem aber nehmen sie es den Yankees noch heute übel, dass sie erst die Sklaverei und dann Rassentrennung abgeschafft haben. Deren Widerstand gegen ObamaCare rührt daher, dass es ihnen zuwider ist, nun auch noch Sozialleistungen für schwarze und braunhäutige Minderheiten zu finanzieren.
Angeführt werden sie von Politikern, die teils der gleichen Ideologie verhaftet sind, teils aber nur die Stimmung ausnutzen, um Industrieinteressen zu bedienen und den Sozialstaat abzubauen. Der frühere Republikanerführer Newt Gingrich, der bereits die Clinton-Regierung lahmlegte, möchte gar den New Deal rückgängig machen, den unter Franklin D. Roosevelt eingeführten Sozialstaat. Und dann gibt es noch die Machthungrigen wie Rand Paul und Ted Cruz, die zwar gerne davon reden, dass sie gegen „Big Government“ sind, aber eigentlich doch lieber Präsident wären statt des Präsidenten. Natürlich sind all diese Politiker ausgezeichnet versorgt, und fühlen sich davon in ihrer Freiheit kein bisschen eingeschränkt.
Die Tea Party könnte für die Republikaner ein trojanisches Pferd sein
Die Tea Party treibt ein gefährliches Spiel, das die republikanische Partei sprengen kann. Denn innerhalb der Grand Old Party gibt es noch Fraktionen mit anderen Zielen. Da sind die Neokonservativen, die ihre Kriegspolitik im Mittleren Osten nicht aufgegeben haben. Oder die Interventionisten, deren Think Tank Council on Foreign Relations davor warnt, dass die Budgetkrise die militärische Macht und den Einfluss der USA im Ausland verringere. Die Neocons und die Interventionisten wollen einen starken Bundesstaat, sie sind für Immigration und haben kein Problem mit Wohlfahrt. Die Wall Street, die ohnehin die Waage zwischen Demokraten und Republikanern hält, freut sich über eine geschwächte Börsenaufsicht, will aber kein permanentes Chaos. Und die Republikaner alter Schule sind über die Barbaren vor den Toren entsetzt, mit denen sie um sicher geglaubte Senatssitze konkurrieren müssen.
Und so geht es letztlich bei dem Streit, der Washington lahmlegt, nicht um Demokraten versus Republikaner; es geht darum, wer künftig bei den Republikanern das Sagen hat. Mit dem Shutdown hat die Tea Party den Republikanern einen Erfolg beschert, dem das Verderben bereits innewohnt. Sie wird nur dann die moralische Oberhoheit gewinnen, wenn sich ObamaCare als Katastrophe erweist, und es mit der Wirtschaft steil bergab geht.
Geschähe das wirklich, könnte es aber gut sein, dass eine Mehrheit der Amerikaner der Tea Party die Schuld gibt und sie vom Hof jagt. Und mit ihr die Republikaner. Die Tea Party könnte für die Republikaner das sein, was das hölzerne Pferd für Troja war. Groß, hohl, und ein Danaergeschenk.
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