- Ein Königreich für die Union
Das schottische Referendum über die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich zeichnet die Debatte um einen britischen Austritt aus der EU vor. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel
Zwischen Angst und Hoffnung verlief die Front in der TV-Debatte, die am Dienstag den Endspurt zum Schottland-Referendum am 18. September einleitete. Plötzlich war der Optimismus des schottischen Premierministers und Befürworters der Unabhängigkeit, Alex Salmond, etwas verflogen. Fragen nach den Risiken einer Abspaltung, von Unabhängigkeitsgegner Alistair Darling pedantisch vorgetragen, wogen schwerer. Vielleicht sind die Schotten am Ende doch nicht ganz so romantische Nationalisten, wie Erinnerungen an alte Schlachten suggerieren. Entschieden ist noch nichts, doch lernen kann man viel.
Auch für die Parallelschlacht 2017, in der es nicht um den Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich gehen wird, sondern um den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Als „wichtigstes Duell der britischen Geschichte“ war die Debatte angekündigt worden, aber die englischen Partnersender des schottischen Produzenten STV rafften sich nicht zur Ausstrahlung auf. Die Schotten streiten um ihre Zukunft – bei den Engländern dagegen herrscht Apathie. Und die Meinung, für sie werde sich nichts ändern: „Sollen sie, wenn es ihnen bei uns nicht passt“. Diese Haltung trifft man ja auch bei manchen Europäern gegenüber den Briten.
Dabei wird nichts so bleiben, wie es war. Noch stehen die einen erstarrt in Ehrfurcht vor dem Alten – dem „United Kingdom of Great Britain“, über 300 Jahre alt, der „erfolgreichste Staatenbund der Geschichte“, wie Premier David Cameron behauptet, ein Erfolgsmodell für das Zusammenleben unterschiedlicher Nationen. Die schottischen Abspalter beziehen ihre Energie aus dem Hass genau darauf – die Übermacht Englands, die ferne Westminster-Bürokratie, von der sie vor 307 Jahren in Zeiten finanzieller Not übernommen wurden. Genau wie das Vereinigte Königreich, der Volksmeinung nach, beim EU-Eintritt vor mehr als 40 Jahren von Brüssel.
Wachsende Autonomie
Doch das Referendum entscheidet über eine Antwort auf Probleme, die nicht mehr von der Hand zu weisen sind. Im Hintergrund geht es um grundlegende Veränderungen, die sich seit Jahren ankündigen. Die Interessenlage, die Selbstwahrnehmung hat sich auf beiden Seiten verändert. Londons Arm reicht nicht mehr wie in den Zeiten Queen Victorias bis Edinburgh. Und Brüssel muss akzeptieren, dass die Interessenlage Großbritanniens ohne Euro nicht mehr deckungsgleich ist mit einer von der Eurozone dominierten EU.
Deshalb arbeiten die Briten seit Jahrzehnten an ihrer „Devolution“, dem Umbau des Königreichs, um neuen Bedürfnissen mit wachsender Autonomie zu begegnen. Dieser Prozess, asymmetrisch, chaotisch – für europäische Bürokratenherzen unbegreiflich – wird weitergehen, egal wie das Referendum ausgeht. Den Schotten wurde nun Eigenständigkeit in der Sozialpolitik in Aussicht gestellt, sollten sie bleiben. Wenn das Vereinigte Königreich zusammenhalten sollte, dann nur wegen der Flexibilität, mit der es zu Reformen und Lockerungen seiner Institutionen bereit ist.
Wenn nicht, dann ist diese Flexibilität erst recht gefragt. Denn die Nachbarschaft bleibt. Die britische Union steht, egal wie es ausgeht, vor so tiefgreifenden Umbauten wie die europäische. Gefragt sind nicht Furcht oder blinde Hoffnung, sondern Flexibilität, Pragmatik und der gemeinsame Nenner des Vernünftigen, den man im Englischen „common sense“ nennt. Insofern ist das, was in Schottland nun kommt, ein Testlauf für kommende EU-Entscheidungen.
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