- Der gegen Obama schießt
So hatte sich das Barack Obama nicht vorgestellt: Mehr als drei Monate nach dem Amoklauf an einer US-Grundschule gibt es immer noch kein strengeres Waffenrecht. Einer, der das bislang verhindert hat, ist der Chef der einflussreichen amerikanischen Waffenlobby, David Keene
Es ist schwieriger geworden, in den USA Schusswaffen zu kaufen. Vor allem seit Adam Lanza im Dezember seine Mutter erschoss, bevor er 20 Kinder und sechs Erwachsene an der Sandy-Hook-Grundschule – mit einem für den Kampfeinsatz von Streitkräften vorgesehenen Sturmgewehr – tötete. Nur liegt das weder an staatlichen Regulierungen noch daran, dass Waffenhändler genauer überprüfen, wem sie Schusswaffen verkaufen. Der Grund ist sehr viel simpler: Es wollen so viele Menschen eine Waffe haben, dass es lange Wartelisten gibt, auch für Sturmgewehre. Wer sich bis an die Zähne bewaffnen will, muss sich hinten anstellen.
Für diesen Hype sind in erster Linie die National Rifle Association (NRA) und David Keene verantwortlich. Der Präsident der mächtigen Waffenlobby lässt keine Gelegenheit aus, um die Ängste der Bevölkerung vor waffenlosen Zuständen zu schüren. Davon überzeugt, dass US-Präsident Barack Obama Handfeuerwaffen nicht nur verbieten, sondern auch konfiszieren wird, kauft manch ein Amerikaner Waffen wie im Rausch. Dass laut einem FBI-Bericht die Kriminalitätsrate auf den tiefsten Stand seit den frühen siebziger Jahren gesunken ist, überzeugen Keene und seine Jünger nicht. Sie halten an ihrem unerschütterlichen Glauben fest, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen können, wenn sie Schutz brauchen.
Keine Organisation hat mehr dafür getan, diese Stimmung anzuheizen, als die NRA. David Keene und sein Verband, der sich rühmt, vier Millionen Mitglieder zu haben, stehen gut da. Seinem politischen Einfluss ist es zu verdanken, dass bislang jeglicher Versuch gescheitert ist, den Verkauf von Handfeuerwaffen zu regulieren. Dem Lobbyisten ist es gelungen, Abgeordnete der Demokraten so sehr einzuschüchtern, dass sie schweigen, wenn das Thema Waffengewalt zur Sprache kommt.
Konservative Werte sind der Leitfaden in Keenes Leben. Bevor er NRA-Präsident wurde, war er bereits ein äußerst erfolgreicher Vorsitzender der ältesten konservativen Lobbyorganisation der USA, der American Conservative Union. Als er antrat, hatte die Organisation 4000 Mitglieder und eine Million Dollar Schulden. Als er 2011 zur Waffenlobby wechselte, hatte die Union nach eigenen Angaben eine Million Mitglieder und war schuldenfrei. Keene symbolisiert eine geradezu geniale Liason von konservativem Liberalismus und Waffenlobby. Unter seiner Präsidentschaft stellt sich die NRA nicht als Unterstützerin von Gewalt dar, sondern als Verteidigerin der Freiheit und der Bürgerrechte. Keene suggeriert, dass jene, die keine Waffen besitzen, potenziell immer der Willkür von Kriminellen oder sogar einer despotischen Regierung ausgesetzt seien. Immer wieder betont er, die Vereinigten Staaten seien gegründet worden, weil Bürgermilizen die britischen Rotröcke bekämpften. Den Amerikanern das Recht auf Waffenbesitz abzusprechen, sei daher der erste Schritt zur Auflösung der amerikanischen Demokratie.
Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Keene aufrichtig an dieses Credo glaubt. Er selbst ist seit langem ein strammer Verfechter der Freiheit des Individuums. So war es nur konsequent, dass der 67-Jährige nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 Präsident Bushs Forderungen nach mehr Überwachung heftig kritisierte. „Das Problem ist“, sagte Keene damals, „dass wir nicht mehr im gleichen Land leben werden wie vor dem 11. September, sollten all diese Forderungen umgesetzt werden.“ Keenes Freiheitsdrang geht so weit, dass er mit der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union zusammengearbeitet hat, um die Rechte von Gefängnisinsassen zu stärken. Dies mag nicht zuletzt einem sehr persönlichen Hintergrund geschuldet sein. Musste doch Keenes Sohn Michael eine zehnjährige Haftstrafe verbüßen. Er hatte 2002 bei einem Streit im Straßenverkehr mit seiner Waffe auf ein anderes Fahrzeug geschossen – und dabei den Fahrer nur knapp verfehlt.
Seite 2: Geschickter, etwas onkelhafter politischer Strippenzieher...
Keene mag sich selbst als altmodischen Patrioten verstehen, der die amerikanischen Freiheiten verteidigt. Aber er ist sein Leben lang auch stets ein geschickter, etwas onkelhafter politischer Strippenzieher gewesen. Schon während seiner Zeit am College der University of Wisconsin gründete er einen Ortsverband der Young Americans for Freedom, einer erzkonservativen Gruppierung, die moderate Republikaner als Verräter des wahren Glaubens ins Visier nahm. Nachdem er 1964 ehrenamtlich für Barry Goldwaters erfolglose Präsidentschaftskampagne gearbeitet hatte – jene Kampagne, die als Sprungbrett für die Bewegung diente, die in Amerika später als New Right bekannt wurde –, war er als Berater für Richard Nixons Vizepräsidenten Spiro Agnew tätig. Danach hat Keene in zahlreichen republikanischen Präsidentschaftskampagnen eine tragende Rolle gespielt.
Bis heute hat er davon profitiert, dass er sich als Verteidiger des Rechtes für Durchschnittsamerikaner stilisiert, eine Waffe zu besitzen – eines Rechtes, so glaubt Keene, das die linksliberale Elite auszuhebeln versucht. Seine Haltung beruht auf einer kompromisslosen Interpretation des zweiten Verfassungszusatzes, wonach jeder Amerikaner das uneingeschränkte Recht hat, Waffen jeder Art zu erwerben. Aber wo soll das enden? Bei Bazookas? Bei Panzerfahrzeugen? Die NRA hat darauf keine Antwort.
Unter Keene, den Freunden „konservativer Forrest Gump“ nennen, flüchtet sich die Organisation in zunehmend abstruse Argumente, um die weitere Verbreitung von Waffen zu verteidigen. Die Waffengesetze, sagt Keene, seien „historisch betrachtet schon immer rassistisch“ gewesen. Ihr Zweck sei es gewesen zu verhindern, dass Sklaven in den Besitz von Waffen gelangen. Das mag vielleicht sogar richtig sein. Aber die vergleichsweise maßvollen Beschränkungen, um die es heute geht – wie die Überprüfung des Käufers oder das Verbot von Sturmgewehren –, sind wohl kaum der Versuch, irgendeine ethnische Gruppe erneut zu versklaven. Ein anderes abenteuerliches Argument der Waffenlobbyisten lautet: Es wäre nie zum Holocaust gekommen, wenn die deutschen Juden ordentlich bewaffnet gewesen wären. So haarsträubend diese Argumente sein mögen, sie sind nicht der Kern des Problems. Was wirklich hinter der pervertierten Debatte um Waffen steckt, ist vielmehr Geld. Die Republikaner haben zig Millionen Dollar an Spenden von der NRA erhalten.
So unerschütterlich sich die NRA auch gibt, nun könnte sie erstmals ihre Karten überreizt haben. Es ist noch unklar, ob Keene und seine Chefideologen diesmal die Stimmung in der breiten Öffentlichkeit richtig eingeschätzt haben. Die Menschen scheinen für minimale Regulierungen des Waffenbesitzes empfänglich zu werden. Umfragen zufolge stimmen inzwischen 91 Prozent der Amerikaner dem Vorschlag zu, potenzielle Waffenkäufer auf eine mögliche kriminelle Vergangenheit zu überprüfen. Keene & Co aber beharren weiterhin darauf, dass der Vorschlag ein nicht tolerierbarer Eingriff in die persönliche Freiheit sei.
Durch die jüngsten Amokläufe ist nun auch die NRA ins Kreuzfeuer geraten. Denn bislang ist es ihr nicht gelungen, angemessen auf die Vorfälle zu reagieren. Statt etwas einzulenken, äußern sich die Waffenlobbyisten immer radikaler. Keene hat erklärt, dass es sich beim Sturmgewehr AR-15 – das Adam Lanza bei seinem Amoklauf benutzte und das 700 Schüsse pro Minute abfeuern kann – um das Äquivalent zu der Muskete der revolutionären Amerikaner im 18. Jahrhundert handele. Unterdessen verkündete NRA-Geschäftsführer Wayne LaPierre, dass das Problem amerikanischer Schulen nicht darin liege, dass es in ihnen zu viele Waffen gäbe, sondern zu wenige. Lehrer, sagte er, müssten sich bewaffnen, um Angriffe abwehren zu können.
Dahinter stehen offensichtliche Motive. Die NRA repräsentiert nicht mehr die Waffenbesitzer, sondern vielmehr die Waffenhersteller, von denen eine Reihe im Aufsichtsrat der Lobbyorganisation sitzt und diese finanziert. Die NRA ist eine Dienerin der Waffenindustrie geworden. „Im ganzen Land hat die NRA den Markt für Schusswaffenhändler ausgeweitet, indem sie auf Bundesstaatenebene für Gesetze eintrat, die den Bürgern das Recht garantierten, in der Öffentlichkeit verdeckt Waffen zu tragen, und denen, die vorgeblich in Notwehr töten, erlauben, ungestraft davonzukommen“, schrieb der Rolling Stone zutreffend.
Das Interesse der Waffenhersteller unterscheidet sich nicht von dem einer Hamburger-Kette wie McDonald’s oder einem Textilunternehmen wie H&M. Sie sind an Wachstum interessiert. Jeder Amerikaner, der noch keine Schusswaffe besitzt, ist ein potenzieller Kunde für sie. Ein Käufer muss nicht überzeugt werden, diese Waffen auch zu benutzen; er wird es wahrscheinlich auch nie tun, allenfalls um einen Einbrecher aufzuhalten. Aber weil die NRA suggeriert, dass man Waffen genauso brauche wie ein Auto oder einen Geschirrspüler, können sie wie Alltagsgegenstände wahrgenommen werden.
Neue Märkte locken also – oder können erschlossen werden. Die NRA und die Waffenhersteller säen Angst und hoffen dabei auf ein Amerika, in dem jeder Bürger dem anderen bewaffnet gegenübersteht. Das wäre die ultimative Form der Abschreckung, zumindest nach der Vorstellung von David Keene und seinen Mitstreitern.
Wäre dieses Ziel eines Tages tasächlich erreicht, könnte Keene, wie er schon bei seinem Amtsantritt erklärte, sich wieder dem zuwenden, was er am liebsten macht: jagen, fischen und einen guten Whiskey genießen.
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