- Wie Barack Obama vor den Lobbyisten kapituliert
Eigentlich wollte Obama den Lobbyismus bekämpfen. Stattdessen gewinnen Strippenzieher immer mehr Einfluss auf die US-Politik und die Medien, kritisiert Mark Leibovich in „Politzirkus Washington“: Es ist das politische Buch des Jahres
Barack Obama trat als Präsidentschafts-Kandidat mit dem Versprechen an, dass Lobbyisten „mein Weißes Haus nicht leiten werden.“ Immer und immer wieder kündigte er an, „die Drehtür zu schließen, die Lobbyisten ungehindert an die Regierung lässt.“ Eine forcierte Anti-Lobby-Politik gehörte zur DNA von Obamas Profil. Eine Yes-we-can- Kernposition.
Zumindest im Wahlkampf und in der ersten Amtsperiode. Wie rasch diese „Keine-Lobbyisten-Regel“ unter der unsichtbaren Hand der Lobby zerbröselte, beschreibt Mark Leibovich in seinem Buch „This Town“ mit pathologischer Genauigkeit. An Dutzenden Beispielen belegt der Hauptstadt-Insider, wie die proklamierte Distanz zu Lobbyisten sich auch unter Obama in das genaue Gegenteil wandelte. Allein dieser Bruch zwischen Anspruch und Realität drückt die Macht der milliardenschweren Lobby aus.
Washington als „Schleimerstadt“
Der Chef-Innenkorrespondent des New York Times Magazine konzentriert sich auf die schmutzige Seite des von ihm verhassten „Politzirkus Washington“. Die Fülle des empirischen Materials, genaue Beobachtungen der politischen Klasse und die intime Kenntnis der „Schakale“ (Journalisten) verdichtet Leibovich zu einem Sittengemälde, in dem autonomes Regierungshandeln allenfalls noch in Konturen zu erkennen ist. Der US-Journalist hat ein Lehrbuch zum langsamen Verschwinden der Politik vorgelegt. Nicht mehr die gewählten Repräsentanten geben den Ton an, sondern eine ruchlos agierende Lobbyindustrie im Verbund mit einem rücksichtslos-selbstbezogenen Medienkartell. In der „Schleimerstadt“ Washington „monetarisieren“ Staatsangestellte systemisch ihre Kontakte für die Lobby, machen hysterisch aufgeladene (Online)-Medien Politik und verkümmern Politiker zu „Sklaven“ egomanischer Spin Doctoren, heißt es da.
Das klingt auf den ersten Blick martialisch, wird vom Autor aber auf 428 Seiten dicht belegt. Die Lobby-Industrie setzt in den USA für die Durchsetzung ihrer Ziele Milliarden ein. Personalwechsel werden mit astronomischen Gagen vergoldet.
Vor allem Online-Dienste wie politico oder die Flut von Politik-Talkshows sind die Treiber einer hysterisierten, völlig aus dem Ruder gelaufenen politischen Kommunikation. Ein extrem personalisierter medialer Dauer-Alarm – ein Cocktail aus Intrigen, Indiskretionen und Attacken- ist der Soundtrack des politischen Prozesses in der US-Hauptstadt.
Grabenkämpfe, Intrigen und Käuflichkeit
„Medien bedeuten sofortige Befriedigung. Dort findet das eigentliche Leben der meisten Politiker statt, in der Wahrnehmung und Beurteilung durch andere, im stündlichen Zustandsbericht ihrer massiv von außen bestimmten Definition“, schreibt Leibovich. Er schildert die Gefahren des in den Lobbyismus „eingebetteten Journalismus“. Der routinierte Wechsel auch von Journalisten in den Lobbyismus und wieder zurück in Spitzenpositionen der Politik bestimmt den Washingtoner Alltag. Im Politzirkus sind Journalisten („stinkefaul“ und abhängig von externen Zulieferungen) höchstens noch abgehalfterte one-trick-ponys, die die Skandalrunden im Politzirkus drehen.
Diese verkommene politische Kultur ist eingewoben in ein schier endloses celebrity-Business, in dem sich Politiker, Lobbyisten und Medienvertreter ständig begegnen, belagern und befruchten. Der US-Korrespondent hat sich für sein Buch, für das er auch den Alternativ-Titel „The Club“ vorgesehen hatte, in die offenbar permanente Polit-Party Washingtons gemischt. Heuchelei, Grabenkämpfe, Intrigen und Käuflichkeit sind die Narrative, die den Politzirkus am Laufen halten.
Merkwürdig nur, dass Leibovichs krasse Analyse sich nur sehr selten in der etablierten US-Berichterstattung in deutschen Medien wiederfindet.
Abgrundtiefer Zynismus des politischen Betriebs
Leibovich liefert mehr Substanz zum realen Amerika als viele Lehrbücher zusammen. „Keine Einzelentwicklung hat die Funktionsweise der amerikanischen Demokratie im letzten Jahrhundert so stark verändert wie die Politikberatung“, wird Jill Lepore mit seinem Text „Der Lügenfaktor“ zitiert. (The New Yorker, 24.9.2012) Diese Erkenntnis gilt natürlich auch für die europäischen Staaten wie für das „Raumschiff Brüssel“. Nur: im medialen und politikwissenschaftlichen Diskurs wird der Befund noch verdrängt.
Die Welt, die Tom Wolfe in seinen Romanen entfaltet, oder den abgrundtiefen Zynismus des politischen Betriebs, den die Serie „House of Cards“ dokumentiert, deckt sich mit Leibovichs Befund einer gekauften Politik. Mit einem (wesentlichen) Unterschied: Der US-Korrespondent liefert die puren Fakten, die angreifbaren Details, die harten Stories. Romane und Filme hatten sich mit den Stilmitteln der Fiktion gearbeitet.
Es kursiert ja häufig die These, dass die US-Entwicklungen in Politik und Gesellschaft eine Art Vorbote für europäische Länder seien. Leibovich geht mit seiner Analyse weit über die modischen Debatten der „Postdemokratie“ hinaus; selbst die wenigen fiktiv hochgetunten Betrachtungen des politischen Betriebs können mit seinen entlarvenden Fakten nicht mithalten.
Gemessen an den Abgründen, an die Leibovich seine Leser führt, sind die Zustände in Berlin scheinbar intakt, fast perfekt. Aber ein vergleichbares Buch über die Anatomie der „Berliner Republik“ liegt ja (noch) nicht vor.
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Mark Leibovich: Politzirkus Washington. Wer regiert eigentlich die Welt? Stuttgart, 2014 (sagas.edition), 428 Seiten,
Quelle: www.swr.de/leiftrifft - Die stille Macht im Land, SWR, 3.12.2014, 20.15 bis 21.00 Uhr
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