Ein Schaufenster in London ist mit einem Gemälde von König Charles III. vor den Feierlichkeiten dekoriert /picture alliance

Krönung von Charles III. - Es bleiben die Souvenirs

Millionen aus aller Welt werden am Samstag die Krönung von Charles III. in Westminster Abbey mitverfolgen. Doch da sich Großbritannien, die Welt und auch die königliche Familie in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt haben, wird auch die Krönung anderen Erwartungen gerecht werden müssen.

Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

So erreichen Sie Christian Schnee:

Wer verstehen will, was die Krönung Charles’ III. für Großbritannien bedeutet, der sollte John Ruskin lesen. Der Schriftsteller und Kunstkritiker zeigte einen feinen Sinn für historische Entwicklungen. Als der aus London stammende Universalgelehrte die Geschichte der drei großen maritimen Mächte studierte, überkam ihn eine dunkle Vorahnung. Das antike Tyros sei nur noch eine Erinnerung, sinnierte er, Venedig wenig mehr als eine Ruine. Wenn seine Landsleute nicht aufpassten, sagte Ruskin voraus, widerfahre ihrem Weltreich ein ähnlicher Niedergang. Nur könnten sie nicht auf Mitleid hoffen, fügte er sarkastisch hinzu. Der Zeitpunkt von Ruskins Prophezeiung war erstaunlich. Er schrieb seine Prognose drei Jahrzehnte vor Königin Viktorias Ernennung zur Kaiserin von Indien 1877 und bewies gerade deshalb bemerkenswerte Weitsicht. 

Wer heute, in den Tagen vor der Krönung von Charles III., „Die Steine Venedigs“, Ruskins mahnendes Memento, liest, stößt auf eine verblüffende Parallele zu dem Szenario, das am 6. Mai in der Abtei von Westminster ein Millionenpublikum faszinieren wird. Obwohl die einst allmächtigen Dogen im 18. Jahrhundert ihre Herrschaft über die See längst eingebüßt, ihre unbezwingbare Flotte verkleinert und die Herrschaft über Zypern an die Osmanen verloren hatten, ließen sich die weltlichen Herrscher der Serenissima nach dem Beispiel ihrer Vorfahren, bekleidet in feinem Hermelin und schwerem Brokat, in einer prunkvollen Zeremonie zu Christi Himmelfahrt in einer goldenen Barke hinausfahren, um einen Ring in die grüne Lagune zu werfen und das Sposalizio del Mare, den Bund der Republik mit dem Meer, zu erneuern. Ihre Macht war vergangen, an der glanzvollen Oberfläche aber hielten sie fest. 

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Walter Bühler | Fr., 5. Mai 2023 - 09:22

Herr Schnee berichtet, dass Ruskins warnende Bemerkungen über die Vergänglichkeit großer Reiche aus dem Jahr 1847 stammen. Diese haben sich in der Tat inzwischen bewahrheitet - nicht nur in Großbritannien, sondern in allen europäischen Staaten (D, A, F, B, NL, I, RU, ...).

Vergänglichkeit: Marx hat 1848 das kommunistische Manifest verfasst. Was ist davon heute noch übrig geblieben? Was haben Labour und SPD von dieser Utopie retten können? Auch sie haben Bescheidenheit lernen und die Vergänglichkeit ihrer Hoffnungen und Ideale erleben müssen.

Ich wette heute eher darauf, dass die Monarchie in England den Sozialismus, den Feminismus, die Cancel Culture und wohl auch die Ideologie Greta Thunbergs überleben wird.

Der Sinn für Kontinuität in der Kette der Generationen, für die Verankerung der eigenen Identität in der Geschichte kann Menschen immer noch faszinieren.

Die Krönung ist daher in meinen Augen doch mehr als ein bloßes Theater für Touristen und mehr als ein CSD-Umzug.

Gerhard Lenz | Fr., 5. Mai 2023 - 09:47

ist nicht mehr als ein einziger Anachronismus. Sichtbar in einem Land, das sich noch immer für ein "Empire" hält - und außenpolitisch auch so auftritt - aber in seiner Bedeutung nach dem Brexit-Desaster selbst in Europa kaum noch mittlere Bedeutung hat. Mit einer Bevölkerung, die in aller Öffentlichkeit von Johnson & Co manipuliert und belogen wurde. Auf das Ergebnis dieses einzigartigen Betrugs zunächst auch noch stolz war, und jetzt, angesichts von Arbeitskräftemangel, leeren Regalen und trotz EU-ferne höchster Inflation seine selbstzugefügten Wunden leckt. Da kommt so ein Krönungsspektakel gerade recht. Aber Glanz und Gloria dürften von kurzer Dauer sein und nicht mehr alle Briten versöhnen. In der jungen Generation dort wächst die Ablehnung der stinkreichen Königsfamilie.
Allerdings fehlt der politische Wille, die Royals wenigstens wirtschaftlich zu beschränken. Keine der politischen Parteien (außer den 0,1%-Kommunisten) hat den Mut, die Abschaffung der Monarchie zu fordern.

... fühlt sich in der Welt dort wohl, wo es genau so ist, wie er selbst es zu Hause gerne hätte. Insofern findet er bei allen Nachbarvölkern etwas zu kritisieren, und kann jedem nichtdeutschen Europäer zahllose neunmalkluge Vorschläge machen, wie er besser und vernünftiger leben sollte.

Am deutschen Wesen kann ja bekanntlich die Welt genesen, besonders wenn es sich ein gutes grünes Gewissen bescheinigt.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 5. Mai 2023 - 12:06

Die britische Monarchie geht durchaus mit der Zeit: der Erzbischof von Canterbury ist nichtehelicher Herkunft, die Ehefrau des Königs stammt nicht aus dem Hochadel und der Premierminister ist indischer Herkunft. Nur für die Sicherstellung der Thronfolge musste die Mutter aus dem Hochadel sein. Anschließend war sie "Spare". Soviel Tradition muss sein. Vielleicht findet die nächste Thronfolge in Hongkong statt. Die künftige Führungsmacht liebt Traditionen.

Detlef Spitzbart | Fr., 5. Mai 2023 - 15:25

Beim Lesen der von der anglikanischen Kirche authorisierten Liturgie dieser Krönung dachte ich mir: Das ist niemals in 90 Minuten zu schaffen, geschweige denn in einer Stunde.
Übrigens: Der König von England ist, als Defensor of the Faith, nicht etwa Verteidiger des christlichen Glaubens, sondern des protestantisch-reformierten, den zu erhalten er den Eid ablegt.