- „Kim Jong-un plant keine Versöhnung mit Südkorea“
Kim Jong-un ist kein Friedensstifter, sagt Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Im Cicero-Online-Interview verrät der Wissenschaftler, warum Nordkoreas Machtinhaber ein gerissener Stratege ist, der es versteht, sich China, Südkorea, Europa und die USA gefügig zu machen
Mit seiner Neujahrsansprache hat Kim Jong-un für Furore gesorgt: 2013 werde ein Jahr „großer Schöpfungen und Veränderungen sein, die einen radikalen Umschwung bewirken“, verkündete Nordkoreas Machtinhaber im Staatsfernsehen. Er wolle den Lebensstandard seines Volkes erhöhen und sein Land zu einem „wirtschaftlichen Riesen“ machen. Die größte Überraschung: Nach 60 Jahren Kriegszustand mit Südkorea könne „die Teilung des Landes beendet und seine Wiedervereinigung erreicht werden“. Die Vergangenheit habe schließlich gezeigt, dass die Konfrontation zwischen den Landsleuten zu „nichts als Krieg“ geführt habe.
Herr Hilpert, werden wir schon bald eine
Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas feiern können, so wie es Kim
Jong-un in seiner Neujahrsrede vom Dienstag in Aussicht gestellt
hat?
Wohl eher nicht. Eine Wiedervereinigung wäre für Kim Jong-un nur
dann interessant, wenn er als oberster Führer auch über Südkorea
herrschen würde. Das wird nicht geschehen. Genauso wenig wird er
selbst seine Koffer packen.
Warum dann die Ankündigung?
Kim Jong-un versucht, Südkorea als Sponsoren für sein Land zu
gewinnen.
Mit China hat Nordkorea doch aber schon einen starken
Verbündeten.
Die Volksrepublik China ist – wenn überhaupt – Nordkoreas einziger
Verbündeter. Ohne den Warenverkehr wäre Nordkorea vermutlich
innerhalb von vier Wochen erledigt. Insofern ist die Abhängigkeit
von China enorm. China könnte Nordkorea implodieren lassen, das
aber wollen sie nicht, denn Nordkorea dient als Pufferzone
gegenüber dem Süden. Dessen ist sich wiederum Kim Jong-un bewusst.
Er befindet sich in der Position, China trotzen zu können. Mit der
Zuwendung zu Südkorea geht es ihm nicht um eine Abkopplung von
China, sondern um einen zweiten Sponsor für sein Land – einen
Zugewinn an Handlungs- und Machtspielraum. Mit eigenen Ernten kann
Nordkorea frühestens im Mai rechnen. Die Lieferungen aus China und
die Schenkungen des World Food Program reichen kaum. Käme aus
Südkorea eine erste Kooperationsdividende, würde das dem Land sehr
helfen. Zugleich könnte Kim Jong-un damit seine Position als
„obersten Führer“ – so nennt er sich – stabilisieren.
Warum versucht Kim Jong-un nicht, die Wirtschaft im
eigenen Land anzukurbeln?
Die Wirtschaft Nordkoreas ist total zerrüttet. Da ist wenig zu
holen. Es findet eine De-Industrialisierung statt, die
Infrastruktur verrottet und die Böden sind ausgelaugt. Was am
schlimmsten ist: die Machtstrukturen verfallen, alle Ebenen sind
korrumpiert. Kim Jong-un kann da nur wenig bewegen. Er muss auf den
Kapital- und Know-how-Transfer aus dem Ausland setzen. Deswegen
wird er sicherlich auch immer wieder in Europa vorstellig
werden.
[gallery:Nordkoreas versteckte Wirklichkeit: Hungersnot, Elend und Arbeit]
Inwiefern?
Er wird versuchen sich als jemand darzustellen, der versucht,
Frieden zu schaffen – so wie in seiner Ansprache am Dienstag. Er
wird sich als der David im Kampf gegen den amerikanischen Goliath
zeigen und den USA die Schuld an den Verhältnissen seines Landes
geben, an der Teilung Nord- und Südkoreas sowie der ökonomischen
Schieflage, die ihn abhängig von wirtschaftlichen Zuwendungen
macht. Diese Argumentationslinie fährt Nordkorea seit langem und
ist damit auch durchaus erfolgreich. Sein Hauptziel muss es jedoch
sein, Südkorea als Sponsoren zu gewinnen.
Welches Interesse hat Südkorea, sich auf diese Rolle
einzulassen?
Nordkorea ist ein großer Unruheherd in Nordostasien. Wir erinnern
uns: 2010 hat Nordkorea das südkoreanische Kriegsschiff Cheonan
versenkte und die Insel Yeonpyeong beschossen. Und Nordkorea hat
viele weitere Möglichkeiten, militärisch aggressiv tätig zu werden.
Wenn sich Südkorea durch Dialoge und Kooperationen die Stabilität
auf der Halbinsel erkaufen kann, wird man es tun. Das ist immer
noch kostengünstiger und politisch zielführender als die
Konfrontationspolitik der vergangenen Jahre.
Im Februar löst Park Geun-hye Präsident Lee Myung-bak
ab. Im Wahlkampf kündigte Frau Park bereits an, stärker mit
Nordkorea zusammenarbeiten zu wollen. Wie schnell wird es zu
Gesprächen kommen?
Möglicherweise finden bereits erste Gespräche hinter verschlossenen
Türen statt. Substanziell kann jedoch erst nach ihrem Amtsantritt
im Februar etwas geschehen. Was genau herauskommen wird, lässt sich
noch nicht sagen. Frau Park ist dafür bekannt, sich mit einem
relativ kleinen Beraterkreis zu umgeben und Entscheidungen hinter
verschlossenen Türen zu treffen. Fest steht, dass sie auf
Diplomatie und Gespräche setzen wird und sich nicht wie ihr
Vorgänger Lee Myung-bak mit selbst erklärten Konditionalitäten
ihren Handlungsspielraum unnötig einengen wird.
Seite 2: Informationskontrolle, Führerkult und Terror – das Machtverständnis des Kim Jong-il
In seiner Neujahrsrede sprach Kim Jong-un von einem
„radikalen“ Wechsel in der Politik seines Landes. Oberstes Ziel sei
es, die Wirtschaft anzukurbeln und die Lebensbedingungen seines
Volkes zu verbessern. Wie viel geben Sie auf diese
Worte?
Bei einer wirklich „radikalen“ Wende würden die Grundlagen des
Systems, nämlich Macht wegbrechen. Ich halte sie daher für
unmöglich.
Kim Jong-un hat die Reihen der Mächtigen „gesäubert“.
Von der alten Führungsgarde seines Vaters Kim Jong-il ist nur noch
sein Onkel Chan Song-taek übrig. Lässt das nicht darauf schließen,
dass sich Kim Jong-un klar vom politischen Kurs seines Vaters
abkoppeln will?
Kim Jong-un stützt sich nicht so sehr auf die Militärs, so wie es
sein Vater getan hat. Vielmehr verschiebt sich das Regime hin zu
einer Parteiherrschaft. Dennoch tut er das gleiche wie sein Vater
Kim Jong-il: Er ersetzt die alte Führungsgarde durch Personen, die
er in das Amt gehievt hat und die ihm persönlich verpflichtet sind.
Er tauscht die Machteliten, aber es bleibt bei einer
personalisierten Herrschaft.
[gallery:Nordkoreas Massentanzspektakel Arirang]
Es zeichnet sich ab, dass Kim Jong-un vielmehr in die Fußstapfen seines Großvaters – dem Staatsgründer Kim Il-sung – denn seines Vater zu treten versucht. Kim Il-sung ist für die Nordkoreaner das Sinnbild des Übervaters, des ewigen Präsidenten, der verehrten Person schlechthin. Davon versucht Kim Jong-un einen Teil für sich zu entleihen. Er sieht seinem Großvater nicht nur sehr ähnlich sondern versucht, ihn auch im Habitus nachzuahmen. Dazu gehört auch die zu Zeiten Kim Il-sungs übliche Neujahrsrede. Sein Vater hatte sich niemals persönlich ans Volk gerichtet.
In der Substanz kann Kim Jong-il jedoch nicht viel ändern: Nordkorea befindet sich wirtschaftlich und politisch in einer Sackgasse. Sein einziges Faustfand ist die konventionelle Abschreckung und jetzt auch die Nuklearwaffe.
Dieses Faustfand hat er ja erst am 12. Dezember wieder
unter Beweis gestellt…
Eben. Der Raketenstart vom 12. Dezember war ein eindeutiger Verstoß
gegen die Resolution 1874 des Sicherheitsrates, wie auch schon der
missglückte Raketenstart am 13. April letzten Jahres. Jetzt steht
die Reaktion des Weltsicherheitsrates aber noch immer aus.
Deswegen die friedenstiftende Neujahrsrede, um die
Gemüter zu beruhigen?
Mit seiner friedensbetonten Botschaft hat Kim Jong-un sicherlich
dem Sanktionswillen der USA, Südkoreas und Japans den Zahn gezogen.
Es ist nicht mehr opportun, auf Nordkorea draufzuhauen. China hatte
sowieso bereits angekündigt, einer Verurteilung Nordkoreas nicht
zustimmen zu wollen. Die Reaktion des Weltsicherheitsrates wird
also sehr gemäßigt ausfallen. Es liegt im Übrigen in der
diplomatischen Tradition Nordkoreas, mit geschicktem Timing
positive Botschaften ins Ausland zu senden und damit auf den Gang
der Ereignisse Einfluss zu nehmen.
Eine Liberalisierung ist demnach nicht zu
erwarten?
Nein. Eine wirtschaftliche Liberalisierung zeichnet sich nur
ansatzweise ab. Im September erließ Kim Jong-un ein Gesetz, das es
den Bauern erstmals erlaubt, einen Teil ihrer Ernte privat zu
verkaufen. Dies war aber nur eine Anpassung an die verzweifelten
Versuche der Landbevölkerung ihr Überleben zu sichern und keine
grundsätzliche Liberalisierung. Würde Kim Jong-un diese anstreben,
würde sein Machtregime erodieren: Es würden sich unabhängige
Händlerklassen herausbilden, die aufgrund ihres Kapitals
innenpolitisch Einfluss nehmen könnten. Außerdem würde eine
Liberalisierung eine gewisse Informationsfreiheit voraussetzen. Das
würde wiederum dazu führen, dass hinterfragt wird, was das Regime
leistet und tut. Dieser Kritik wird man sich kaum aussetzen
wollen. Vielmehr hat Kim Jong-un in seiner bisherigen
Regierungszeit sein repressives, totalitäres Machtregime
konsolidiert mit allem was dazu gehört: Informationskontrolle,
Propaganda, Führerkult, Repression, Terror, Bedrohung der
Nachbarstaaten, Massenvernichtungswaffen. Da hat sich nichts
geändert. Dass er friedlicher spricht, ist reine Taktik.
Herr Hilpert, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Hanns Günther Hilpert ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Forschung in Berlin. Die Stiftung berät den Bundestag sowie die Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Integrationsprozesse in Ostasien sowie die Wirtschaft Koreas sind zwei von Hilperts Forschungsgebieten.
Das Gespräch führte Jana Illhardt.
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