- In der Warteschlange der Weltgeschichte
Omid Nouripour, Grünen-Politiker und Mitglied des Bundestages, analysiert die sicherheitspolitische Lage im Nahen Osten mit Blick auf das vorläufige Atomabkommen zwischen dem Westen und dem Iran
Geschichte wird immer erst im Nachhinein geschrieben. Dennoch hat sich der Tag, an dem in Genf die internationale Verhandlungsgruppe P5+1 mit dem Iran ein vorläufiges Abkommen über die Lösung des iranischen Atomproblems abgeschlossen hat, in die Kandidatenliste für historische Wendepunkte eingetragen. Es ist denkbar, dass es eines Tages heißt, an diesem Moment habe sich das Schicksal des Nahen Ostens geändert. Ebenso aber kann man sich vorstellen, dass er sich in die lange Liste der geplatzten Träume einreiht.
Geschichte ist aber kein Schicksal, das uns ereilt. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir an einem Scheidepunkt stehen, an dem wir vieles richtig oder falsch machen können. Ob die Welt am Ende dieses Prozesses besser dasteht, das liegt nicht in den Händen einer einzelnen Person oder eines Staates, das ist eine Binsenweisheit. Aber wir müssen jetzt eine breite, internationale Debatte über die Perspektiven führen, die uns ein grundlegender Wandel in der internationalen Stellung des Iran bietet. Denn dieser Wandel ist jetzt konkret denkbar – und das ist ein Novum seit der Gründung der islamischen Republik im Jahr 1979.
Die Lage ist damit komplexer geworden. Man kann Khameneis Spielzug als ein geschicktes Manöver aus dem Lehrbuch von Tommasi di Lampedusas Prinzen von Salina sehen - die Dinge müssen sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist. Damit er ungestört weiter an seinem Atomprogramm arbeiten kann, hat er ein freundliches Gesicht installiert, das den Westen versöhnt und durch einige Alibi-Maßnahmen im Inneren den ärgsten Druck ablässt. Sobald das Regime das Atomprogramm weit genug getrieben hat, wird diese Maske dann fallengelassen.
Diesem Spiel aber setzt das Genfer Abkommen Grenzen. Die im Kern wichtigste Errungenschaft sind die umfassenden Kontrollrechte, gepaart mit dem Szenario, die geringfügigen Sanktionserleichterungen jederzeit wieder zurücknehmen zu können.
„Unlocking the middle east“ hat der Economist in der vergangenen Woche seinen Leitartikel zum Verhältnis mit dem Iran überschrieben. Der Schlüssel steckt nun im Schloss, um im Bild zu bleiben. Und hinter der Tür wartet ein Bündel von Aufgaben, aber auch Chancen.
Wir brauchen für diese Herausforderungen eine Strategie. Dies gilt zum einen, weil der amerikanische Kongress und die europäischen Regierungen davon überzeugt werden müssen, im Falle einer endgültigen Lösung die Sanktionen auch tatsächlich wieder abzubauen und damit ihren Teil des Deals einzuhalten. Dies gilt aber auch, um die vielfältigen Möglichkeiten, die sich durch eine Öffnung des Iran ergeben, tatsächlich nutzen zu können.
Die Perspektive muss die einer friedlicheren und stabileren Weltregion sein, die letztlich im Interesse aller Akteure liegt.
Die iranische Herausforderung
Zentral für die Entwicklung der Beziehungen zum Iran ist das Verhältnis zur iranischen Zivilgesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger keines anderen Landes in der Region sind dem Westen gegenüber derart positiv eingestellt, in keinem anderen Land dürften Worte und Taten europäischer und amerikanischer Akteure derart offen verfolgt werden. Die Iranerinnen und Iraner sind unsere größten Verbündeten, wenn es um eine Öffnung des Landes geht. Allein schon deshalb ist es geboten, demjenigen, den sie (bei allen Repressionen) mit großen Hoffnungen zum Präsidenten gewählt haben, ein gewisses Maß an Wohlwollen entgegenzubringen.
Deshalb müssen wir glaubwürdig bleiben und Rouhani nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch beim Wort nehmen. Wir dürfen nicht den Fehler wiederholen, den wir so oft in der Vergangenheit gemacht haben: allzu leichtfertig mit denen zusammenarbeiten, die ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger missachten. Deshalb dürfen wir nicht müde werden, auf die Menschenrechtsverstöße im Land aufmerksam zu machen, und diejenigen, die sie verüben, das Leben so schwer wie möglich zu machen. Das gilt auch und besonders nach einem möglichen endgültigen Atomdeal. Denn dann beginnt auch für den Iran eine neue Ära. Voraussetzung für einen stabilen und verlässlichen Iran in der Außenpolitik ist eine Achtung der Menschenrechte und ein wachsender Grad an Selbstbestimmung im Inneren.
Die Herausforderung am Golf
Saudi-Arabien war, zumindest in den letzten drei Jahrzehnten, der wichtigste Verbündete der USA in der arabischen Welt. Die Bilanz dieses Bündnisses ist gemischt. Zwar hat Saudi-Arabien vordergründig zuverlässig die strategischen Interessen des Westens in der Region vertreten – allen voran in der OPEC. Dennoch wurden auch zahllose Bewegungen, die gegen die freiheitliche Demokratie kämpfen, von Saudi-Arabien unterstützt. Auch die Menschenrechtslage im Land ist sehr problematisch. Das Gleiche gilt mit Abstrichen auch für die anderen Golfstaaten.
Das Land fürchtet nun einerseits einen sinkenden Ölpreis, andererseits eine iranische Hegemonie. Ersteres wird zumindest kurzfristig nicht zu verhindern sein, was ein Grund mehr sein sollte, mit dem Land wirtschaftliche Alternativen zu diskutieren. Letzteres muss Anlass sein, verstärkt regionale Initiativen zu fördern.
Hier aber gilt unter dem Strich für die Politik des Westens am Golf: Wer mehr Gesprächspartner, also Optionen hat, verringert seine Abhängigkeiten. Die Frage der Unterstützung bewaffneter Extremisten und die Menschenrechte müssen – ebenso wie beim Iran – auch in den Beziehungen zu den Golfstaaten eine Rolle spielen.
Die geostrategische Herausforderung
Durch die Isolation des Iran und die Fokussierung der regionalen Interessen Russlands auf den Erhalt des syrischen Regimes beobachten wir gerade das Entstehen einer russisch-iranisch-syrischen Achse, bei der sich Russland als Schutzmacht der Schiiten positioniert. Das kann langfristig nicht in unserem Interesse sein. Hier ergeben sich durch neue Gesprächskanäle gegenüber dem Iran neue Möglichkeiten, das Verhärten einer Art Blockkonfrontation zu verhindern. Ob dies gelingen kann, entscheidet sich in entscheidendem Maß in Syrien.
Die syrische Herausforderung
Die Situation in Syrien wird zum alleinigen gordischen Knoten der Region, sollte es eine Lösung für die Atomfrage geben. Der Willen, sich auf Syrien zu konzentrieren, dürfte auch eine der Motivationen für das iranische Einlenken im Atomstreit gewesen sein.
Syrien ist für die iranische Politik zentral. Es ist sein wichtigster Verbündeter in der arabischen Welt und sein einziger Zugang zu den von ihm unterstützten Hisbollah. Deshalb muss der Iran bei den Syriengesprächen in Genf mit an den Verhandlungstisch. Im Vergleich zu diesen Gesprächen waren, wenn man das so sagen darf, die Atomgespräche ein Spaziergang. Im besten Falle aber bietet das hoffentlich über die kommenden Monate langsam wachsende Vertrauen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft eine Grundlage dafür, auch für Syrien eine Lösung zu suchen.
Die israelische Herausforderung
Unser wichtigster Partner in der Region, Israel, hat angesichts der iranischen Bedrohung berechtigte Sicherheitssorgen. Die Debatte innerhalb des Landes zeigt aber auch, dass die rhetorischen Spitzen Netanyahus angesichts des Zwischenabkommens eher innenpolitisch motiviert sein dürften.
Israel muss verstärkt in die Irandiplomatie einbezogen werden. Das könnte sogar so weit gehen, dass die einstigen Verbündeten, zuerst sicher eher indirekt, wieder an einen Tisch gebracht werden. Wenn wir Israel eine Perspektive aufzeigen, wie Iran mittelfristig als konstruktiver Akteur in die regionale Politik mit eingebunden werden kann, dann könnten wir auch unseren wichtigsten Verbündeten für eine einhegende Rolle in der Iranpolitik gewinnen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber die Verlockungen sind so groß, dass die Unternehmung lohnt.
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