- Der Rassismus kriecht in den Wahlkampf
Die Lokal- und Regionalwahlen in Großbritannien werden überschattet von einem Rassismus-Skandal. Einige Labour-Politiker äußerten sich antisemitisch, bei den Tories werden antimuslimische Aussagen gemacht. Gleich mehrere Labour-Politiker wurden suspendiert. Der linke Parteichef Jeremy Corbyn ist in Bedrängnis
Am Donnerstag wählt London einen neuen Bürgermeister. Zur Wahl steht der Sohn eines Milliardärs und der Sohn eines Busfahrers. Der erste stammt aus einer jüdischen, der zweite aus einer muslimischen Einwandererfamilie. Wie unter einem Brennglas zeigen diese Lokalwahlen die Gemengelage der britischen Metropole.
Arm und reich leben hier auf engstem Raum zusammen. London hat heute achteinhalb Millionen Einwohner. Mit 80 Milliardären hat die britische Hauptstadt mehr Superreiche als jede andere Weltstadt. 27 Prozent leben unter der Armutsgrenze, wenn man die Wohnkosten einbezieht, die exorbitant sind. In London leben heute 40 Prozent der britischen Muslime, sie machen 13 Prozent der Bevölkerung in der Hauptstadt aus.
Aller Voraussicht nach wird der Labour-Kandidat Sadiq Khan gewinnen. London wäre dann die erste europäische Metropole mit einem muslimischen Bürgermeister. Sadiq Khans Eltern stammen aus Pakistan, der Vater ist Busfahrer und die Mutter Näherin. Der Sohn besuchte öffentliche Schulen und wurde Rechtsanwalt, bevor er in die Politik ging. Da London traditionell links wählt, scheint Khan die Wahl sicher. In Umfragen liegen die beiden Spitzenkandidaten zwanzig Prozentpunkte auseinander.
Obama und die „kenianische Herkunft“
Dennoch gab sich Gegenkandidat Zac Goldsmith bis zum Schluss nicht geschlagen. Der 41-jährige Journalist tritt für die konservative Tory-Partei an. Vor seiner politischen Karriere war Goldsmith unter anderem Chefredakteur des Öko-Magazins „Ecologist“, das er selber besaß. Der Absolvent der Eliteschule Eton College ist per Erbschaft einer der reichsten britischen Politiker. Seine Fans bestätigen ihm, dass er elegante Umgangsformen besitzt. Seine Kritiker meinen, ihm fehle der Wille zur Macht.
Das war bei seinem Vorgänger anders. Boris Johnson ist als Londoner Bürgermeister bereits eine Legende. Geschickt hatte sich der charismatische Chaot in den vergangenen acht Jahren als Stadtvater inszeniert. Er flitzt auf dem Fahrrad durch die Stadt und nimmt kein Blatt vor den Mund. Allein seine Beliebtheit beim Volk machte es möglich, dass die rote Stadt zweimal einen blauen Kandidaten der konservativen Tory-Partei gewählt hat.
Johnson tritt nicht zum dritten Mal in London an, weil er nach Höherem strebt – dem Posten des Regierungschefs. Als Sprungbrett dient „BoJo“ – so sein Spitzname – die Brexit-Kampagne, die alle Briten auffordert, beim EU-Referendum am 23. Juni für einen Austritt aus der Europäischen Union zu stimmen. Boris Johnson ist zum Sprachrohr der EU-Skeptiker geworden und hofft, den britischen Premierminister David Cameron zu beerben, sollten die Briten für den Brexit stimmen.
Sein loses Mundwerk war bisher sein Trumpf. In diesem heißen politischen Frühling in Großbritannien allerdings schadet es dem Noch-Stadtvater, dass ihm die Pointe oft über den Inhalt geht. In einem seiner Pressekommentare äußerte sich der bisherige Bürgermeister nun rassistisch. Barack Obama hatte die Briten gebeten, in der EU zu bleiben, da dies für die transatlantischen Beziehungen besser sei. Johnson hielt dem US-Präsidenten daraufhin vor, dieser sei aufgrund seiner „kenianischen Herkunft“ antibritisch eingestellt. Selbst einer seiner engsten Freunde fürchtet, Boris habe sich damit „beschädigt“.
Rassistische Ausfälle
Auch Zac Goldsmith kam bereits nicht umhin, seinen faden Wahlkampf mit rassistischen Untergriffen zu würzen. Sein Gegenkandidat Sadiq Khan sei ein „Radikaler“, der Kontakte zu einem islamistischen Imam habe, hatte Goldsmith behauptet und den moderaten Muslim Khan damit in die ISIS-Ecke zu drängen versucht. Dann stellte sich heraus: Jener radikale Prediger in seinem Wahlbezirk hatte nicht Labour, sondern die Tories unterstützt.
Rassistische Auswüchse sind derzeit im britischen Politspektakel allerdings keineswegs die Domäne der Konservativen. Seit einer Woche schlägt sich der linke Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn mit dem Vorwurf herum, er greife nicht hart genug durch, wenn seine Mitstreiter Kritik an Israels Regierung mit antisemitischen Aussagen verwechseln. Erst musste er die Abgeordnete Naz Shah suspendieren, die Israel nach Amerika „umsiedeln“ wollte. Dann sprang der inzwischen pensionierte ehemalige Labour-Bürgermeister Ken Livingstone auf die Politbühne und verkündete in einer bizarren Wortmeldung, Hitler sei auch Zionist gewesen. Daraufhin wurden noch drei weitere Gemeinderäte suspendiert, die ebenfalls antisemitische Tweets versandt hatten.
Für den ohnehin umstrittenen Labour-Chef Corbyn kommt der Skandal zur völlig falschen Zeit. Niemand wirft ihm persönlich Antisemitismus vor, aber Ken Livingstone war seit Jahrzehnten einer seiner engsten Mitstreiter. Im linken antifaschistischen Lager, aus dem Corbyn stammt, finden sich unter den pro-palästinenischen Menschenrechtsaktivisten zumindest solche, die es an Sensibilität gegenüber der israelischen Lage vermissen lassen. Die zentristische Mitte der Partei ist seit seiner überraschenden Kür zum Labour-Chef im September im inneren Exil.
Am 5. Mai wird nicht nur in London der Bürgermeister gewählt. Es gibt Lokalwahlen in ganz England. Außerdem wird das schottische Parlament neu gewählt. Ebenso die walisische und die nordirische Volksvertretung. Überall droht der Labour-Party unter ihrem umstrittenen Vorsitzenden ein Debakel. Als einziger Lichtblick galt bisher der Urnengang in der Haupstadt. Sadiq Khan hatte bisher die besten Karten, London wieder zu einer rot geführten Stadt zu machen.
Jeremy Corbyn kann nur hoffen, dass die Wähler nicht den moderaten muslimischen Kandidaten Khan für die antisemitischen Tiraden des linken Ex-Bürgermeisters Livingstone verantwortlich machen.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.