Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
Picture Alliance

Gaza-Konflikt - „Die nächste Auseinandersetzung ist programmiert“

Wenn nicht bald ein Waffenstillstand geschlossen wird, droht eine israelische Bodenoffensive im Gazastreifen. Doch selbst wenn eine weitere Eskalation abgewendet werden kann, erwartet der Nahost-Expertin Muriel Asseburg bereits den nächsten Gewaltausbruch

Autoreninfo

Simon Marti hat in Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert und die Ringier Journalistenschule absolviert. Er arbeitet für die Blick-Gruppe in der Schweiz.

So erreichen Sie Simon Marti:

Die von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe ist nicht zustande gekommen. Welche Chancen haben die Vermittlungsversuche von außen überhaupt noch?
Wenn jemand als Vermittler in Frage kommt, dann ist es Ägypten. Die Israelis haben ein Interesse daran, dass der Gesprächskanal über Kairo zur Hamas wieder etabliert wird. Die Chance ist also durchaus da. Premierminister Netanjahu versucht im Moment, eine Bodenoffensive zu verhindern. Wenn es nicht rasch gelingt, zu einer Waffenruhe zu kommen, dürfte es für ihn allerdings schwierig werden, sich dem Druck innerhalb seiner Regierung zu widersetzen.

Wie wahrscheinlich ist demnach eine Bodenoffensive?
Es gibt einige Faktoren, die dagegen sprechen. Erstens die internationale Kritik an Israel, die mit steigenden Opferzahlen auf einen solchen Schritt folgen würde. Weiter hat Israel kein Interesse daran, die Strukturen der Hamas im Gaza-Streifen vollständig zu zerschlagen. Denn dann droht entweder die Machtübernahme durch radikalere Gruppierungen oder Israel müsste selbst die Verantwortung für 1,7 Millionen Menschen in Gaza wieder übernehmen. Und zuletzt wären die israelischen Soldaten im Gaza-Streifen leicht angreifbar. Aber dennoch: Wenn die Hamas nicht bald Signale sendet, dass sie zu einer Waffenruhe bereit ist, könnten sich die radikalen Kräfte im israelischen Kabinett durchsetzen und die Offensive würde beginnen.

Als Premier Netanjahu die Luftangriffe zeitweise ausgesetzt hat, wurde er von seinen rechten Koalitionspartnern scharf kritisiert. Auch die Hamas ist uneins. Wie soll da eine rasche Einigung erzielt werden?
Es ist in der Tat schwierig. Die Ablehnung der Feuerpause durch die Hamas und die verstärkten Angriffe der israelischen Armee auf Wohnhäuser von Hamas-Führern schüren derzeit eine weitere Eskalation. Die Hamas scheint gespalten, was das weitere Vorgehen angeht. Dabei geht es aber für alle Strömungen darum, nicht das Gesicht zu verlieren bzw. einen konkreten Gewinn aus der Einstellung der Raketenangriffe zu ziehen. Sonst wird sie nicht zustimmen.

Und welchen Gewinn will die Hamas aus dem Konflikt ziehen?
Insbesondere eine dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge von Ägypten nach Gaza. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt irgendeine Entwicklung im Gazastreifen stattfinden kann.

Ist das mit der jetzigen ägyptischen Regierung überhaupt denkbar? Präsident Sisi verfolgt die Muslimbrüder, aus denen die Hamas einst entstanden ist.
Für die Hamas ist es essentiell, dass Ägypten in die Verhandlungen eingebunden ist. Denn die Regierung Sisi muss in der Tat einen Beitrag leisten, damit die Waffenruhe zustande kommt. Allerdings würde ein solcher Waffenstillstand die Situation im Gazastreifen auch nur kurzfristig beruhigen. Denn seit dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern im vergangenen März besteht keine Perspektive auf einen dauerhaften Frieden. Die nächste gewaltsame Auseinandersetzung ist damit programmiert.

Welche Folgen haben die Kämpfe für die palästinensische Einheitsregierung aus Hamas und Fatah?
Präsident Abbas von der Fatah wird durch sie weiter geschwächt. Er hat überhaupt keinen Einfluss auf die Kämpfe, ist nicht in die Verhandlungen über eine Waffenruhe eingebunden und kann nichts tun, um die palästinensische Bevölkerung in der Westbank oder im Gazastreifen zu schützen. Abbas hat den Palästinensern nichts anzubieten, während die Hamas einen scheinbaren Ausweg aufzeigt: den des bewaffneten Widerstandes.

Wie stark wurde die Hamas von den bisherigen Luftschlägen getroffen? Man spricht ja von beinahe 200 Palästinensern, die seit Beginn der Kämpfe ums Leben gekommen sind.
Menschenrechtsorganisationen stellen fest, dass etwa zwei Drittel der Opfer Zivilisten sind, darunter auch viele Frauen und Kinder. Je länger die Kampagne dauert, desto mehr zivile Opfer gibt es. Und das gilt umso mehr, wenn es zu einer Bodenoffensive kommen sollte. Je mehr zivile Opfer es gibt, desto stärker gerät Israel in die Kritik, desto schwächer wird die Position von Mahmud Abbas und desto kleiner die Chance auf eine Waffenruhe.

Aber kann die Hamas den Konflikt überhaupt noch lange durchhalten? Denn nicht nur aus Ägypten kommt keine Unterstützung, auch die Beziehungen zum verbündeten Iran sind gespannt.
Man schätzt, dass im Gaza-Streifen bislang lediglich rund ein Viertel des Raketenarsenals der Hamas und des Islamischen Dschihads zerstört worden ist. Es gibt also noch genügend Waffen, um den Kampf fortzusetzen. Zudem stellen die Gruppen im Gaza-Streifen mittlerweile selbst erfolgreich Raketen her und sind damit weniger als in der Vergangenheit auf Waffenlieferungen von Verbündeten angewiesen. Hinzu kommt , dass bisher nur wenige Top-Kader des militärischen Flügels der Hamas bei den Luftschlägen getötet wurden. Letztlich produziert jeder Militäreinsatz neue radikalisierte Kämpfer.

 

Dr. Muriel Asseburg forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zum Nahen Osten.

 

Update vom 18.7.2014: Die Vermittlungsversuche sind gescheitert. Gestern Abend hat die israelische Armee mit ihrer Bodenoffensive begonnen und ist in den Gaza-Streifen eingedrungen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.