- Salafisten suchen Kameradschaft
Die Verfassungsschützer Behnam T. Said und Hazim Fouad deuten den Salafismus auch als Jugendkultur: Er spreche vor allem junge Menschen auf Identitätssuche an. Im Cicero-Online-Interview fordern die beiden Islamforscher einen differenzierteren Umgang mit den religiösen Fundamentalisten
Die Terrorgruppe Isis ist im Irak auf dem Vormarsch. Von welcher Ideologie sind diese Kämpfer durchdrungen?
Said: Bei Isis handelt es sich um extreme, dschihadistische Salafisten. Grundsätzlich unterscheiden sie sich ideologisch nicht von al-Qaida, sind aber in ihrem Vorgehen noch kompromissloser und brutaler. Das zeigt sich bei ihrem massiven Vorgehen gegen Schiiten und Alawiten in Syrien und im Irak, wie auch in der Ablehnung der Zusammenarbeit mit anderen islamistischen Gruppen, die oft sogar von Isis bekämpft werden.
Fouad: Isis ist noch einmal viel schneller dabei, Menschen als Ungläubige zu bezeichnen und entsprechend brutaler ist ihr Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung. Al-Qaida hat nie ganze muslimische Bevölkerungsgruppen zu Ungläubigen erklärt, sondern verstand sich als Speerspitze aller Muslime.
Aber zeitweise hat Isis doch durchaus mit al-Qaida kooperiert?
Said: Isis entwickelte sich aus al-Qaida im Irak, die zwar formal der „Kern-al-Qaida“ unterstellt war. Doch schon der irakische Arm der al-Qaida hat sehr unabhängig von der al-Qaida-Zentrale operiert.
Die Erfolge machen Isis nicht zuletzt für gewaltbereite Salafisten in Europa interessant.
Fouad: Das ist richtig. Es scheint diesbezüglich einen Richtungswechsel zu geben. Die 2012 verbotene deutsche Gruppe Millatu Ibrahim, die zum Beispiel verantwortlich war für die Ausschreitungen in Solingen und Bonn, hat sich explizit auf al-Qaida bezogen. Mittlerweile existiert allerdings ein ideologischer Split zwischen al-Qaida und Isis. Die meisten Dschihadisten, die heute aus Deutschland ausreisen, landen tatsächlich bei Isis, eben weil sie derzeit so erfolgreich ist. Aber ohne diese Problematik kleinreden zu wollen: Die gewaltbereiten Salafisten, die tatsächlich ausgereist sind, bilden im Verhältnis eine kleine Gruppe. 95 Prozent der Salafisten gehen bisher eben nicht nach Syrien.
Wie werden die Kämpfe im Nahen Osten in der deutschen Salafisten-Szene rezipiert?
Said: Insbesondere der Krieg in Syrien strahlt nach Deutschland aus. Diesbezüglich gibt es einen sehr großen Mobilisierungseffekt in der hiesigen Szene. Allerdings muss man mit Pauschalisierungen vorsichtig sein: Wichtig sind die Kämpfe in erster Linie für die dschihadistischen, also die gewaltorientierten Gruppierungen. Man sieht aber auch, dass Exponenten, die bisher nicht unbedingt dem radikalen Spektrum der Salafisten zuzurechnen waren, wie Pierre Vogel oder Sven Lau, sich seit Ausbruch des Syrien-Krieges dem gewaltorientierten Flügel annähern.
Fouad: Baschar Al-Assad wird tatsächlich vom gesamten salafistischen Spektrum abgelehnt. Diese Einigkeit gibt es bei anderen Regimen im Nahen Osten nicht.
Warum sind es gerade die Kämpfe in Syrien, die einer Radikalisierung Vorschub leisten?
Fouad: Die Salafisten sehen in Syrien die sunnitische Bevölkerungsmehrheit von einem Regime unterdrückt, dessen Schlüsselpositionen von Alawiten besetzt sind. Die Alawiten gelten als abtrünnige Muslime und gaben schon immer ein großes Feindbild ab. Es kommt hinzu, dass die sunnitischen Regime im Nahen Osten, insbesondere Saudi-Arabien und Kuwait, die syrischen Oppositionellen, mitunter auch die dschihadisten, unterstützen. Als allerdings 2011 in Bahrain die schiitische Bevölkerungsmehrheit gegen die sunnitischen Herrscher aufgestanden ist, standen die Salafisten weltweit auf Seiten der Herrscher. Sie sind nicht per se auf der Seite des Volkes.
Salafistische Kämpfer in Syrien und im Irak werden mit Geldern aus Saudi-Arabien unterstützt. Erhält die deutsche Szene ähnliche Hilfe?
Said: Natürlich gibt es Kontakte nach Saudi-Arabien und in andere Golfstaaten. Auch mit Ägypten steht die deutsche Szene in Kontakt. Dieser Austausch ist bedeutsam. So kommen etwa regelmäßig Prediger nach Deutschland. Daneben existieren Organisationen, die Propagandamaterial kostenlos in deutscher Sprache zur Verfügung stellen. Große Geldströme fließen allerdings wohl nicht hierher.
Sie setzen sich für einen differenzierteren Gebrauch des Salafismus-Begriffs ein. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch am Diskurs?
Said: Der Salafismus ist keine monolithische Einheit und mehr als eine religiöse Legitimierung von Gewalt. Er hat viel mit der Suche nach Identität zu tun. Er ist, wenn Sie so wollen, auch eine Jugendbewegung. Mit unserem Buch möchten wir die innere Vielfalt und auch die Konflikte zwischen den verschiedenen Zweigen des Salafismus hervorheben.
Fouad: Nehmen Sie die Ausschreitungen von Solingen und Bonn 2012. Diese Taten der bereits erwähnten Gruppe Millatu Ibrahim wurden innerhalb des Salafismus in Deutschland breit und kontrovers diskutiert. Millatu Ibrahim gelang es nicht, einen Schulterschluss in dieser Angelegenheit mit anderen Salafsiten herzustellen, sondern stand plötzlich noch isolierter dar, als sie es ohnehin schon waren. Diese Entwicklung fand jedoch in der Berichterstattung so gut wie keine Beachtung.
Welche Strömungen lassen sich innerhalb des Salafismus denn unterscheiden?
Said: Grob unterscheidet man drei Gruppen: Puristische, politische und gewaltbereite dschihadistische Salafisten. Diese Gruppen unterscheiden sich am deutlichsten in ihrem Verhältnis zum Staat. Die Puristen akzeptieren die staatliche Ordnung und lehnen Gewalt außerhalb des staatlichen Monopols ab. Die politischen und dschihadistischen Gruppen hingegen verfolgen ein reformerisches bis revolutionäres Programm, mit dem Ziel, die Verhältnisse im Nahen Osten oder sogar in Europa umzustürzen und eine islamische Ordnung, oder was sie dafür halten, zu installieren.
Aber alle nehmen für sich in Anspruch, den „wahren“ Glauben zu leben.
Said: Ja, das stimmt. Das ist sogar mit ein Grund dafür, dass es auch innerhalb der drei grob skizzierten Strömungen zu heftigen Kontroversen kommt.
Wie sind die zahlenmäßigen Verhältnisse der Gruppen in Deutschland?
Fouad: Eindeutige Zahlen zu nennen ist schwierig. Der überwiegende Teil ist weder Dschihadistisch noch gewaltbereit.
Aber es besteht doch die Gefahr, dass sich einige innerhalb der salafistischen Szene immer mehr radikalisieren?
Said: Definitiv. Es gibt Fälle von Puristen, die zu gewaltbereiten Dschihadisten wurden. Aber auch umgekehrte Entwicklungen.
Müsste die Gesellschaft helfen, Aussteigewillige zu unterstützen?
Said: Im Salafismus gibt es keine Aussteigerproblematik wie etwa im Rechtsextremismus. Die Leute können zum Beispiel einfach aufhören, in eine salafistische Moschee zu gehen und stattdessen eine gemäßigte besuchen. Das ist zumeist problemlos möglich. Der soziale Druck, der sich aus dem Rückzug aus der Szene ergibt, ist jedoch nicht zu unterschätzen. Gerade Jugendliche, die sich auf der Suche nach Geborgenheit und Kameradschaft Salafisten anschließen, müssen sich nach ihrem „Ausstieg“ natürlich zunächst ein neues soziales Umfeld suchen. Das ist ähnlich wie bei einer Sekte. Bei dieser Problematik kann der Staat jedoch nur schwer helfen.
Das hieße aber auch, dass gerade jüngere Menschen nicht in erster Linie aus religiöser Überzeugung überhaupt erst zu Salafisten werden.
Said: Die Attraktivität liegt sicher nicht immer ausschließlich in religiösen Motiven begründet, das stimmt. Die Suche nach der eigenen Identität, der Wille zur Abgrenzung, auch von den traditionellen muslimischen Eltern, können weitere oder sogar wichtigere Faktoren sein.
Fouad: Die grundsätzliche Attraktivität liegt in der Aufnahme in eine „elitäre“ Gemeinschaft, egal aus welchem sozialen Hintergrund der Einzelne stammt.
Der Salafismus als Jugendbewegung, das ist doch eine Verharmlosung, angesichts deutscher Freiwilliger in Syrien und Irak!
Said: Man verharmlost kein Phänomen, nur weil man versucht, es zu verstehen. Aber das muss man, wenn man dem Salafismus entgegen treten will. In anderen extremen Gruppierungen ist es nicht anders. Nehmen sie sich den Rechtsextremismus in Ostdeutschland, dort geht rechte Jugendkultur über in feste nationalsozialistische Strukturen. Die Jugendlichen, die dort Anschluss suchen, haben oft auch ein Bedürfnis nach Freundschaft und Kameradschaft. Und die Rechtsextremen schaffen gezielt Angebote, um solche Jugendliche anzuziehen. Das festzustellen hieße aber nicht, dass man den Rechtsextremismus verharmlosen würde. Im Salafismus ist es ähnlich. Dessen Angebote, wie die Jugendsozialarbeit oder Fußballturniere, muss man kennen, um dem Phänomen den Nährboden zu entziehen.
Die Sprache spielt dabei offenbar eine entscheidende Rolle.
Said: Es ist ein Stück weit paradox. Die Salafisten predigen konsequent deutsch, wie es jahrelang in Deutschland gefordert wurde, jedoch nicht mit den Inhalten, die man sich dadurch erhofft hatte. Die Salafisten kennen aber auch die Bedürfnisse und die Lebenswelten der Jugendlichen genau und können sie gezielt ansprechen.
Fouad: Die Lingua franca des deutschen Salafismus ist Deutsch. Das zeigt auch die Bedeutung der Konvertiten in der Szene. Sie gelten als gute Beispiele dafür, dass der Salafismus eben nicht ethnisch definiert ist. Die Attraktivität fundamentalistischer Strömungen gilt aber für alle Religionen, frei nach dem Motto, wenn ich mich schon dieser oder jener Religion anschließe, dann „richtig“.
Behnam T. Said hat in Hamburg Islamwissenschaft, Politikwissenschaft sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte studiert. Er arbeitet als Islamwissenschaftler beim Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg.
Hazim Fouad hat in Bochum, Kairo und London Amerikanistik und Islamwissenschaft studiert. Seit 2011 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesamt für Verfassungsschutz Bremen tätig.
Gemeinsam haben Behnam T. Said und Hazim Fouad einen Sammelband veröffentlicht, in dem sie die Heterogenität des Salafismus betonen und aufzeigen, wie dem Phänomen begegnet werden kann. „Salafismus. Die Suche nach dem wahren Islam“,Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 528 Seiten, € 24,99.
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