- Europa ist die AfD egal
In Deutschland etabliert sich mit der AfD eine neue rechtskonservative Partei – und Europa reagiert mit Schulterzucken. In ausländischen Medien findet die Alternative kaum statt
Wenn es nach der AfD geht, sollte man Italien einfach aus der EU rauswerfen. Sprecherin Frauke Petry ätzte, man wolle keine italienischen und französischen Renten bezahlen, denn schon jetzt seien die Deutschen die „Zahlmeister“ in Europa. Aus Italien kämen zudem jene Flüchtlinge, die die mecklenburgische AfD-Vorstandsfrau Petra Federau auf Facebook beleidigte: „Wir holen uns Krankheiten ins Land!“
Man müsste meinen, das könnte die Italiener im Moment sehr interessieren. Zumal, nachdem die Alternative für Deutschland nun nicht mehr nur im Europaparlament, sondern auch in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg vertreten ist. Weit gefehlt. Wer auf der Webseite des „Corriere della Sera“ nach „AfD“ sucht, findet den letzten Eintrag vom 2. Juni. Aber das ist keine reine AfD-Meldung: Dort geht es um Beppe Grillo, eine europäische AfD-Abgeordnete liefert lediglich ein Zitat. Der nächstfrühere Artikel stammt vom 23. September 2013, dem Tag nach der Bundestagswahl.
Weniger Deutschlandberichte wegen „der Krise und so“
Da feiert eine rechtskonservative Kraft einen historischen Sieg in Deutschland, will die Südeuropäer aus dem Euro schubsen, und der wortgewaltigen Mailänder Tageszeitung ist das keine Zeile wert? Anruf bei den Büros in Frankfurt und Berlin. Drucksen, Erklärungsversuche. Ein Kollege sei krank. Es gebe nicht mehr so viel Platz in der Zeitung wie früher. „Die Krise und so.“ Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Wir machen nur EZB und „Frau Merkel“.
In der Tat: Die Zeitung „La Stampa“, in der man immerhin etwas von den Landtagswahlen liest, titelt, „die CDU von Merkel“ sei „alarmiert“. Die Korrespondenten oder gar die Italiener scheinen es nicht zu sein: Offenbar hat man dort genug eigene Probleme, als sich um selbst ernannte Altparteienjäger zu kümmern.
AfD und die braune Suppe
Erstmals seit Ende des Kalten Krieges ist eine Partei rechts der CDU dabei, sich dauerhaft im politischen Spektrum der Bundesrepublik zu etablieren. Zwar gibt sich die Partei den Anstrich der Gelehrsamkeit, der Vorsitzende Bernd Lucke wischt jeden Bezug zur radikalen Rechten weg. Wer sich in Blogs und auf den Facebookseiten der AFD umsieht, trifft aber auf antifeministische, rassistische und homophobe Tendenzen. In Sachsen legten interne Papiere offen, dass sich der Geschichtsunterricht aus Sicht vieler AfD-Mitglieder zu intensiv mit der „Schreckensherrschaft der NSDAP“ befasse. Im Dresdner Landtag musste das Fraktionsmitglied Detlev Spangenberg sogar auf das Amt des Alterspräsidenten verzichten, weil er sich in eindeutig rechten Gruppen engagiert hatte. In Ostdeutschland wird eine braune Suppe angerührt, die der Politik noch übel aufstoßen könnte. Der Rechtspopulismus scheint endgültig in Deutschland angekommen.
Für ausländische Medien scheint dies eine Art Ankommen in der europäischen Normalität zu sein – gemessen an der Aufmerksamkeit, die die AfD über Deutschlands Grenzen hinaus eben nicht bekommt. Überall in Europa gewinnen die Rechtspopulisten an Zulauf. Auch wenn sie im Europaparlament teils gegeneinander arbeiten, so eint sie doch die Ablehnung der europäischen Errungenschaften, der Integration und der Gemeinschaftswährung.
Die britischen Medien halten sich mit Kritik an der AfD zurück. Zwar attestierte der Economist der sächsischen Landespartei „ausländerfeindliche Untertöne“ und verglich die AfD mit der amerikanischen „Tea Party“. Insgesamt aber fällt das Urteil verhalten aus.
Der Guardian mutmaßte, der Erfolg der sächsischen AfD sei von den Medien in Großbritannien „als klares Zeichen einer wachsenden und begeisterten Anti-Euro-Stimmung in Deutschland“ begrüßt worden. Das Blatt zählte 86 Erwähnungen der AfD in britischen Zeitungen, knapp 4200 Erwähnungen bei Google News UK und um die 400 beim Economist. Das Blatt verglich die Nennungen mit den deutlich selteneren der spanischen Partei „Podemos“ und den österreichischen Liberalen „Neos“ in Großbritannien und nahm die Deutschen in Schutz: Erstens könne nicht von einem raschen Aufstieg der Eurokritiker in der Bundesrepublik die Rede sein und zweitens lasse die häufige Erwähnung der AfD darauf schließen, dass offenbar „britische Medien den Euro nicht besonders mögen“.
Vielleicht ist das ja auch ein Weg, mit der AfD umzugehen – nicht hinzuschauen, bzw. einfach woanders hingucken. Denn die Briten haben mit dem Schottland-Referendum gerade ohnehin andere Themen. Aber auch hier hätte die Frage erlaubt sein müssen, ob man vor dem Hintergrund der starken UKIP nicht einmal den Blick nach ganz Europa hätte richten können. Auf die übergreifenden Gefahren des Rechtspopulismus, in all seinen Facetten.
Während die spanische Tageszeitung El País die AfD als „Antieuro“- bzw. „antieuropäische“ Partei klassifiziert, ist im französischen Le Figaro (16. September) allenfalls von „Euroskeptikern“ die Rede. Als „Protestbewegung, (…) die viele als national-konservativ bezeichnen“, wird sie dort verharmlost. Die Pariser Zeitung Le Monde schrieb nach der Sachsen-Wahl am 3. September, dass die AfD dabei sei, eine „neue deutsche konservative Partei“ zu werden. In dem ganzen Artikel findet sich kein einziger Hinweis auf die fremdenfeindlichen Sprüche der sächsischen Landesgruppe.
Rechtspopulismus-Begriff in Frankreich vermieden
Gefragt, ob für ihn die AfD rechtspopulistisch sei, sagt Frédéric Lemaître, der Autor des Textes und Deutschland-Korrespondent von Le Monde: „Ja, eindeutig.“ Schließlich bezeichne die Partei Polen als Betrüger und Kriminelle. Aber er vermeide den Begriff „Rechtspopulismus“ bewusst in seinen Berichten, weil die Franzosen die Alternative für Deutschland sonst mit dem Front National gleichsetzen würden. „Ich denke, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen diesen beiden Parteien gibt“, sagt Lemaître. Zudem bilde die AfD im Europaparlament mit den britischen Konservativen eine Fraktion (die Europäischen Konservativen und Reformisten), „und nicht mit dem Front National“.
Die Schweizer Medien interessieren sich traditionell sehr stark für deutsche Innenpolitik und räumen dem Phänomen AfD einen entsprechend breiten Raum in der Berichterstattung ein. Abgesehen vom „Tagesanzeiger“ und dem linken „Blick“, die die AfD als klar „rechtskonservativ“ benennen, ist der Grundton sonst eher wohlwollend. AfD-Sprechern wird viel Platz für die Abgrenzung gegen den Rechtsradikalismus eingeräumt; in der Gratiszeitung „20 Minuten“ wird der Vergleich mit der rechten Schweizer Volkspartei angestellt, nur um ihn dann aber von einem Sozialdemokraten und einem Professor wieder zu relativieren. Das St. Galler Tagblatt schreibt (12. September), die AfD werde wahlweise „totgeschwiegen oder in die rechte Ecke gezwängt“.
Wohlwollend auch die Neue Zürcher Zeitung (7. September), die demnächst im deutschen Markt Fuß fassen will: „Eine Partei, die sich rechts der bürgerlichen Mitte positioniert, ist an sich noch kein Skandal. Dass die CDU trotzdem so tut, als sei es dies, ist verständlich, taktisch aber falsch.“
Die Geburt einer Zehn-Prozent-Saubermann-Protestgruppe in Deutschland wird in Europa entweder kaum zur Kenntnis genommen oder erscheint harmlos. Vielleicht ist das der wirkliche Skandal.
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