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Linkenchefin Kipping: - Wir brauchen einen New Deal gegen den Terror

Fundamentalistischer Terror, staatlicher Sicherheitswahn und rassistische Mobilisierungen schaukeln sich gegenseitig hoch und bedrohen die Demokratie. Die Ursachen dafür liegen in der Ungleichheit des neoliberalen Systems, schreibt die Chefin der Linkspartei Katja Kipping in einem Gastbeitrag

Autoreninfo

Katja Kipping ist Vorsitzende der Linkspartei

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Kein Zweifel: „Dass man sich eher das Ende der Welt, als das Ende des Kapitalismus vorstellen kann“, wie der Kulturtheoretiker Mark Fisher mal die Hoffnungslosigkeit im neoliberalen Kapitalismus auf den Punkt gebracht hat, scheint spätestens seit dem Siegeszug des Islamischen Staates und dem Aufkommen der Pegida-Bewegung auch eine passende Beschreibung der gesellschaftlichen Stimmung. Überall auf dem europäischen Kontinent und der Welt – und quer zu allen „Kulturen“, von christlich-evangelikal über russisch-orthodox bis hin zu islamistischen Kreisen – ist ein Anwachsen reaktionärer Bewegungen zu beobachten, die im Namen von Kultur und Religion in die Schlacht gegen die jeweils „Anderen“ ziehen wollen. Teilweise gehen sie mit terroristischen Mitteln vor, immer aber weisen sie ein wachsendes gesellschaftliches Umfeld auf.

Doch so klar es ist, dass sich der rassistische Terror eines Anders Breivik und der islamisch-fundamentalistische Terror von Paris als feindliche Brüder ähneln und nur zusammen bekämpft werden können, so klar ist zugleich auch: fundamentalistischer Terror und rassistische Gewalttaten sind nur die Spitze des Eisberges. Schon seit einiger Zeit ist in unserer Gesellschaft insgesamt ein schleichender Legitimationsverlust zentraler Werte der Aufklärung festzustellen. Dieser Legitimitätsverlust verweist letztlich auf die multiple Krise des neoliberalen Gesellschaftsmodells, das beständig Menschen ausschließt.

Was vielen nach dem 11. September noch als vereinzelter Ausreißer erschien, scheint nun zum Normalzustand zu werden: fundamentalistischer Terror, staatlicher Sicherheitswahn und rassistische Mobilisierungen schaukeln sich gegenseitig hoch, es droht eine Eskalationsspirale, die die Grundprinzipien der Demokratie zersetzt, wenn nicht bald etwas Grundlegendes passiert. Denn diese Form der Konfrontation kann eine verhängnisvolle Dynamik in Gang setzen, die den krisenbedingten Barbarisierungsprozess entscheidend befördert.

Die Spirale der Traurigkeit durchbrechen
 

Wenn wir nicht über eine soziale Perspektive für alle reden, werden wir die nächsten Jahre stattdessen umso mehr mit Fragen des Anstandes und Betragens, mit Abendland und Islamisierung zu tun haben. Die Überreste demokratischer, ja zivilisatorischer Errungenschaften würden dann in einem Konflikt zwischen konkurrierenden Wahnsystemen zerrieben. Der dystopische Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq spielt einmal fiktional durch, wohin ein solcher Konflikt führen kann. Denn diesem Kulturkampf geht es um „das größte aller rechten Projekte: Die Vernichtung von Neugier, Interesse und Zweifel." (Georg Seeßlen 2015) Er zielt damit auf die Auslöschung der Erkenntnis, dass die Regeln, an die man sich halten soll, von irgendjemandem gemacht werden – und also auch von irgendjemandem verändert werden können. So gesehen ist es tatsächlich eine Schicksalsfrage für die Demokratie: Es gilt, die Spirale der Traurigkeit zu durchbrechen, wir brauchen eine umfassende Exitstrategie.

Dafür gibt es bereits eine ganze Reihe von Ansätzen und auch eine Menge Menschen, die sich engagieren und die Mut machen. Die massenhaften Demonstrationen gegen den Rassismus von Pegida (und all der verwandten –gida-Märsche), die deutlichen Zeichen von Muslimen gegen Terror, die riesigen gemeinsamen Demonstration in Paris nach den Anschlägen im Januar 2015 haben deutlich gemacht: Die Mehrheit der Menschen will sich nicht in ein hochtechnisiertes Mittelalter zurückkatapultieren.

Aber klar ist auch, dass es gilt, jetzt aktiv zu werden und wir nicht warten sollten, bis es das nächste Mal knallt. Zumal die „Terrordividende“, wie die Auswirkung von Attentaten wie dem auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder am Freitag dem 13. November 2015 in Paris zynisch genannt wird, ausgerechnet jenen rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen zukommt, die an einer weiteren Eskalation des Kulturkampfes und einer weiteren Ethnisierung des Sozialen arbeiten.

Der Backclash, also der Rückschritt unter dem Banner von Kultur und Religion ist eben „nicht nur eine Frage der Lesart (Terroristen oder religiöse Begleiter terroristischer Nationalisten hätten mithin ihre heiligen Schriften nur falsch gelesen oder Dinge ‚aus dem historischen Zusammenhang gerissen‘, wie uns die zivilgesellschaftlichen Wissenschaftler aller Religionen nicht müde werden zu erklären), sondern extrem schmerzhaftes Symptom einer Modernisierungskrise. Die Umwandlung des Konsenskapitalismus in den Finanzkapitalismus, die Umwandlung der nationalen Demokratie in universale Steuerungsinstanzen ohne andere Legitimation als ihre Funktionalität.

Kurzum, die fundamentale Umwandlung der Weltordnung nimmt eine ungeheure Masse Menschen einfach nicht mit. Als Identitätsrettung bieten sich dafür – wie Georg Seeßlen treffend schreibt – zwei Konstrukte an, „die objektiv so überflüssig werden, wie sich so manche Menschen subjektiv fühlen: Nationalismus und religiöser Fundamentalismus. Beides verlangt Menschenopfer, Blutbäder, Terrorakte, das Unbewohnbar-machen immer weiterer Zonen der Welt“. (Georg Seeßlen 2015)

Terrorismus als Krisensymptom
 

Die Anschläge von Paris haben das nochmal deutlich gemacht. Die identifizierten Attentäter sind junge Franzosen zwischen 20 und 31 Jahren mit arabischem Migrationshintergrund, die in den Vororten von Paris und Brüssel aufwuchsen und lebten. Sie hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser oder waren erwerbslos. Mindestens einer war bereits durch Kleinkriminalität aufgefallen. Mehrere hatten mit ihren Familien gebrochen. Das bedeutet sozialpsychologisch:

Das „Gros der jungen Männer, die solche Attentate begehen, zeichnet sich durch einen Mangel an gesellschaftlichem Status aus, einen Mangel an Ich-Stärke, an Souveränität, an Bildung und an Distanzvermögen. Intrapsychisch sind die Pendants dazu am Werk, ein quälender Überschuss an Abwertung, Ichschwäche, Reizüberflutung, Desorientiertheit. Negative, innere Instanzen senden die Signale: Du bist wenig wert, wirst nicht gewollt, kannst und weißt nichts". (Caronline Fetscher: Woher kommt der Fanatismus?, in Tagesspiegel vom 10.01.2015)

Selbstverständlich ist das keine Rechtfertigung für den Terror, aber ein Ansatz für eine endlich erfolgreiche Gegenstrategie kann es schon sein. Denn selbst die konservative Neue Züricher Zeitung stellt fest: „Immer mehr verdichtet sich der Verdacht, dass die in der Vorstadt herrschenden Lebensumstände die Radikalisierung junger Leute begünstigen – bis zu dem Punkt, an dem sie ihrer eigenen Gesellschaft, dem eigenen Land den Krieg erklären“.

Das zeigt: Die aktuelle Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist insgesamt ein Krisensymptom des neoliberalen Kapitalismus. Denn ein selbstragender Verwertungskreislauf fehlt, stattdessen dominieren kurzfristige Profitinteressen, Finanzialisierung, Klimakatastrophe, Prekarisierung, geopolitische Konflikte, postdemokratische Verhärtung von Staatlichkeit, Transnationalisierung vor Wertschöpfungsketten. Damit verbunden ist eine zunehmende vertikale Differenzierung zwischen Armen und Reichen innerhalb aller Länder sowie zwischen Ländern und Regionen. Dies wiederum führt grenzübergreifend zu Verteilungskonflikten, einem Anwachsen reaktionärer bzw. rechtspopulistischer Bewegungen und gesellschaftlicher Polarisierung.

Kapitalismus als Nährboden gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
 

Es ist also mitnichten ein kulturelles Problem vermeintlicher Rückständigkeit, das uns fundamentalistischer wie rassistischer Terror zeigen. Das Gegenteil ist wahr: Es sind die soziale Verheerung eines höchst gegenwärtigen Kapitalismus, die überall die Grundlage für das Anwachsen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit legen. Das zeigt sich auch am Beispiel Syrien. Hier werden von Experten neben der geostrategischen Einflussnahme durch rivalisierende Groß- und Mittelmächte vor allem die langfristig hohe Jugenderwerbslosigkeit, die Ungleichverteilung des Reichtums und der Klimawandel als wesentliche Gründe der Eskalation und Konfessionalisierung des Konfliktes genannt (vgl. Asseburg 2014).

Ähnliche Ursachen lassen sich auch in Bezug auf viele andere Konfliktherde finden. Der Neoliberalismus hat sich zwar in den verschiedenen Teilen der Welt höchst unterschiedlich ausgewirkt. Doch klar ist, dass sowohl der „katastrophale Niedergang des subsaharischen Afrika, wie der steile Abstieg der arabischen Welt, dessen dramatische Ausmaße schon im UN-Weltentwicklungsbericht 2002 dargestellt wurden" (Moishe Postione 2015: Geschichte und Ohnmacht. Massenmobilisierung und aktuelle Formen des Antikapitalismus) wesentliche Bedingungsfaktoren von Staatszerfall und Terrorismus sind.

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