- Aufstand der Internet-Riesen
US-Internetkonzerne wehren sich mit einer gemeinsamen Kampagne gegen die Praxis der massenhaften Datenabschöpfung durch die Geheimdienste. Was können sie erreichen?
Auf eine besondere Art und Weise hat der amerikanische Geheimdienst NSA die Netzindustrie zusammengeschweißt. Denn mit den massiven Spähprogrammen und Spionagemöglichkeiten bedroht die NSA die Grundlage der großen Netzkonzerne: das Vertrauen in ihre Technik. Facebook, Google und Co. sorgen sich darum, dass immer mehr Menschen befürchten, mit den angebotenen Diensten ihre Privatsphäre aufzugeben. Die Konzerne fordern daher ein strikteres Handeln gegen die Überwachungspraxis. Ihre Forderung könnte Wirkung zeigen, nicht weil Microsoft und seine Verbündeten moralische Instanzen sind, sondern weil dieser Industriezweig mittlerweile eine große wirtschaftliche Kraft besitzt.
Was fordern Microsoft, Google und Co. – und wie ist das zu bewerten?
Den Netzgrößen geht es vor allem darum, Vertrauen in ihr eigenes Geschäft wiederherzustellen. Denn viele Kunden der Konzerne geben ihre Daten preis, um den Service der Dienste nutzen zu können. Sind diese Daten nicht mehr sicher, könnten sich immer mehr Nutzer von den Unternehmen abwenden, was sich dann auch in deren Bilanzen niederschlagen dürfte. Dass sich beispielsweise Google und Microsoft, zwei, die sich normalerweise spinnefeind sind, zusammenschließen, zeigt schon, wie groß die Not ist. Bisher hatten die Konzerne mit der Politik kaum Probleme. Im Gegenteil. Beide Seiten profitierten voneinander – der Staat, weil sich das Silicon Valley zu einem großen und wichtigen Wirtschaftsstandort entwickelt hat, und die Konzerne, weil die US-Politik recht angenehme Datenschutzrichtlinien erlassen hat. Das Netz ist sogar erst durch den Staat und sein Militär entstanden.
Doch nun droht das staatliche Handeln den Konzernen die Bilanzen zu verhageln. Das führt zu einem Bruch dieser Allianz. Dabei dürfte weniger das Geheimdiensthandeln an sich ausschlaggebend gewesen sein für die konzertierte Aktion, als vielmehr der Umgang der Politik damit. Vertretern der Branchengrößen war das Handeln zu zögerlich. Als vor wenigen Wochen auch noch bekannt wurde, dass die NSA Nutzerdaten systematisch zwischen den Rechenzentren von Google und Yahoo sowie möglicherweise auch Microsoft abgreift, war die Geduld der Unternehmen am Ende.
Die Gefahr des Vertrauensverlustes, so der Vorwurf der Unternehmen, sei von der Politik unterschätzt worden. „Die Sicherheit der Nutzerdaten ist entscheidend“, sagte Google-Chef Larry Page. Und Microsoft-Chefjustiziar Brad Smith ergänzte: „Die Leute werden keine Technologie nutzen, der sie nicht vertrauen.“ Die Konzerne fordern deshalb unter anderem, selbst für mehr Transparenz sorgen zu können, indem sie die exakte Zahl der Geheimdienstanfragen nach Nutzerdaten nennen dürfen. Ganz prinzipiell heißt es in der Kampagne: „In zahlreichen Ländern hat sich das Gleichgewicht extrem zugunsten des Staates und zulasten der Persönlichkeitsrechte verschoben, die in unserer Verfassung festgeschrieben sind.“ Damit werde die Freiheit untergraben.
Spannend ist aber auch, wer auf der Liste der Unterzeichner fehlt: Telekommunikationskonzerne wie At&T oder Verizon beispielsweise. Dabei gehören sie nach den bisherigen Berichten, die auf den Dokumenten von Edward Snowden basieren, zu den Hauptpunkten, an denen die NSA Daten abzweigt. Auch Amazon fehlt, obwohl der Versandkonzern große Cloud-Dienste anbietet. Nur würde das Unternehmen gern auch die Cloud-Systeme für die CIA aufbauen, und da will man es sich möglicherweise nicht mit einem potenziellen Auftraggeber verscherzen. Auch Apple ist nur bei der Hälfte der Kampagne dabei. Den Brief an das Weiße Haus hat das Unternehmen zwar mitunterzeichnet, nicht aber den weltweiten Reformaufruf. Hintergrund könnte sein, dass Apple weniger stark als datenabhängig erscheinen will, wie das bei Google beispielsweise der Fall ist. Apple hat immer noch seine eigene Hardware als ökonomisches Pfand.
Wie will die künftige Bundesregierung mit dem Thema Datenschutz und Lehren aus dem NSA-Skandal umgehen?
Im Koalitionsvertrag spielt der Abhörskandal um die NSA keine große Rolle, aber immerhin ist ihm ein kleines Unterkapitel gewidmet. „Wir drängen auf weitere Aufklärung, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste die Bürgerinnen und Bürger und die deutsche Regierung ausspähen“, heißt es dort. Mit einem „rechtlich verbindlichen Abkommen zum Schutz vor Spionage“ soll Vertrauen wiederhergestellt und „die Bürgerinnen und Bürger, die Regierung und die Wirtschaft vor schrankenloser Ausspähung geschützt werden“.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies am Montag darauf, dass die Verhandlungen liefen und federführend vom Bundesnachrichtendienst betrieben würden. Außerdem wird im Koalitionsvertrag pauschal angekündigt, die Spionageabwehr zu stärken. Konkreter wird es aber nicht. In Sicherheitskreisen wird bereits über mehr Geld und Ressourcen für die Abwehr von Spionage, die federführend beim Bundesamt für Verfassungsschutz liegt, diskutiert. In puncto Datenschutz machen sich Union und SPD im Koalitionsvertrag für einheitliche europäische Datenschutzstandards stark und auch für eine schnelle Verabschiedung der EU-Datenschutzgrundverordnung, gleichzeitig mahnen sie: „Die strengen deutschen Standards beim Datenschutz, gerade auch beim Datenaustausch zwischen Bürgern und Behörden, wollen wir bewahren.“
Viel Lob haben Union und SPD für diesen Teil ihres Koalitionsvertrages nicht erhalten. Das liegt vor allem an dem Eindruck, den sie erwecken: Während die Konsequenzen aus dem NSA-Skandal eher allgemein gehalten sind, wird es bei einem anderen Punkt, der Vorratsdatenspeicherung, sehr konkret. Auf deren Wiedereinführung haben sie sich geeinigt, was vor allem bei Netzpolitikern beider Seiten auf Skepsis und Ablehnung stößt. Ihre Befürchtung: Den Sicherheitsdiensten werden keine neuen Grenzen gesetzt, wie es angesichts des NSA-Skandals nötig wäre, sondern neue Befugnisse gegeben. Und die Kritik zeigt Wirkung. Denn während die Union die Vorratsdatenspeicherung so schnell wie möglich umsetzen will, spielt die SPD auf Zeit. Sie will erst einmal das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten und auf eine Reform der EU-Richtlinie hinarbeiten. Die sieht derzeit eine Mindestspeicherfrist bei den Telekommunikationsanbietern von sechs Monaten für Verbindungsdaten vor. Die Sozialdemokraten wollen diese auf drei Monate verkürzen.
Ist Schwarz-Rot mit seiner digitalen Agenda auf der Höhe der Zeit?
Man muss zunächst mal festhalten, dass erstmals in einem Koalitionsvertrag mehrere Seiten nur dem Thema digitale Entwicklung und Chancen gewidmet sind. Es werden also nicht nur Risiken betont. Besonders zufrieden sind viele Start- ups. Deren Gründung soll erleichtert werden. Kritik vor allem aus der Wirtschaft gibt es für die zunächst geplante dann aber wieder gestrichene Zusage, eine Milliarde Euro zusätzlich in den Ausbau schneller Internetverbindungen über Breitband zu stecken.
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