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(picture alliance) Deutsche Soldaten in Afghanistan - wozu und wie lange noch?

Michael Naumann zu Afghanistan - Der Krieg ist verloren

Der Einsatz der deutschen Bundeswehr mit bereits 52 toten Soldaten am Hindukusch ist schon lange fragwürdig. Gekämpft wird dort nicht für die deutsche Sicherheit - und auch die afghanische Sicherheitslage eskaliert zunehmend. Ein Kommentar

Mitfühlend werden sie sein – die Weihnachtsgrüße an „unsere Soldaten in Afghanistan“, die derzeit in den Amtsräumen der Bundeskanzlerin und des Verteidigungsministers formuliert werden.
Wahrscheinlich gibt es bereits eine Anweisung der zuständigen Staatssekretäre an ihre Schreibstuben: „Lassen Sie sich mal was Neues einfallen.“ Nun, wie wäre es mit folgenden Zeilen: „Liebe Soldaten, eigentlich wollten wir nur 800 von euch im nächsten Jahr nach Hause holen, aber ihr könnt alle zurückkommen; denn der Krieg ist verloren.“

Womöglich erinnert sich auch der eine oder andere Abgeordnete daran, das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr seit dem 22. Dezember 2001 immer wieder erneuert zu haben. Und dies, obwohl es ein Jahrzehnt lang keine einzige Regierungserklärung gab, mit der die Bundeskanzlerin oder ihr Vorgänger eine umfassende sicherheitspolitische Strategie für Deutschland ohne Klischees und Bündnisphrasen vorgestellt hätten.

Weißbücher und Bundeswehrreform addieren sich nicht zu dieser Strategie, sondern sind vor allem Reaktionen auf das Ende des Kalten Krieges nach dem Fall der Mauer. Dass inzwischen lediglich vier Bataillone der Bundeswehr einsatzfähig sind, entspricht jedenfalls nicht dem Selbstverständnis Deutschlands als „Mittelmacht“ mit humanitärem, völkerrechtlich abgesichertem Interventionspotenzial.

Dass die deutsche Armee in Afghanistan wirklich „Krieg“ führt, wenn auch einen wahrhaft kleinen, sollte Angela Merkel erst verspätet erkennen. Was war noch einmal sein strategisches Ziel? Politische Bündnistreue? Daraus erwächst keine realistische militärische Taktik im Feld. Und dass die Amerikaner ihren Krieg am liebsten allein führen, erfahren deutsche Offiziere in Kundus oder Kabul an jedem Tag aufs Neue. Nicht das Weiße Haus, sondern die wechselnden Befehlshaber der US Army definieren seit eh und je die Strategie in Afghanistan. Wofür kamen also bisher 52 deutsche Soldaten dort ums Leben?

War das Ziel ein aufgeklärter, gleichwohl islamischer, demokratischer Staat, souverän im Sinne des Westfälischen Friedens von 1648? Klingt grotesk – aber genau das erhoffte sich der große Bündnisbruder in Washington, D. C. Die Afghanen sollten so ähnlich werden wie wir im Westen. Demokratisch, rechtsstaatlich und drogenfrei. Nichts liegt ihnen ferner.

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Was die Bundeswehrsoldaten längst wussten, hat sich auch in der Heimat herumgesprochen. Deutschlands Sicherheit wird nicht am Hindukusch verteidigt. Al Qaida war von den Amerikanern bereits mit Luftschlägen Richtung Pakistan vertrieben worden, als unsere Armee in dem fernen Land ihre Baracken aufbaute. Im Exil trafen die Terroristen auf die paschtunischen Taliban und ihre Helfer im pakistanischen Nachrichtendienst. Ist der wahre Feind also Pakistan?

Von westlichen Truppen verteidigt wurde seit einem Jahrzehnt eine der korruptesten Regierungen der Gegenwart in Kabul. Ohne seine Prätorianer wagt sich Karsai nicht unter das Volk. Geduldet wurde ein blühender Rauschgifthandel; ausgebildet wurde eine afghanische Truppe illoyaler Analphabeten, die in zwei, drei Jahren die Truppen der ISAFNationen ersetzen sollen. Und die wiederum waren nicht in der Lage, höchstens 30000 meist unsichtbare Taliban-Kämpfer in Pluderhosen zu „neutralisieren“. Wie denn auch? Mit Bombardements und Drohnen-Attacken? Die Parallelen zum Vietnamkrieg werden in amerikanischen Fachzeitschriften schon längst gezogen.

Die traurige Prognose ist nicht gewagt: In spätestens drei Jahren können bewährte Taliban-Führer in einer Nationalen Einheitsregierung (gewiss ohne Karsai und seine bestechliche Sippe) ihren religiösen Fundamentalismus auf Kosten der Mädchen, der Frauen, der Meinungs- und Religionsfreiheit durchsetzen – und Afghanistan wird sich zurückverwandeln in das, was es seit Jahrhunderten war: ein bitterarmes Konglomerat verfeindeter Ethnien mit unterschiedlichen Sprachen, zusammengehalten von dörflichen Clanstrukturen und religiösen Geboten der Scharia, die bereits heute Teil der Verfassung sind. Einig sind sich die Stämme allerdings seit 160 Jahren in der erfolgreichen Abwehr westlicher oder nördlicher Invasoren. In den Worten des Feldmarschalls Frederick Roberts, der 1879 im zweiten englisch-afghanischen Krieg Kabul eroberte: „Je weniger sie von uns sehen, umso weniger werden sie uns hassen.“ Er zog ab.

Der Krieg für eine bessere Zukunft Afghanistans ist nicht zu gewinnen. Der einzige Trost: Jene jungen Frauen, die im vergangenen Jahrzehnt mit den Freiheitsangeboten des Westens konfrontiert wurden, die Schülerinnen, die Auslandsstipendien wahrnahmen und im Internet heimisch wurden – sie alle wissen, dass sie auswandern können. Wir sollten sie mit offenen Armen aufnehmen. Afghanische (und iranische) Kinder in Deutschland haben jetzt schon die höchste Abiturquote.

Und was sind die Lehren, die Deutschland aus dem Debakel ziehen sollte? Die Umwandlung der Streitkräfte in eine Interventionsarmee setzt eine berechenbare nationale Bündnis- und Sicherheitsstrategie voraus, die Angela Merkel und ihr Außenminister im Falle Libyens vermissen ließen. Dass Deutschland Kriege führen darf, wenn es um seine Sicherheit geht, dürfte politischer Konsens sein. Dass es solche Kriege auch verlieren kann, ohne deshalb in echte Gefahr zu geraten – dies anzuerkennen, scheint ein politisches Tabu zu sein. Die kommende Mandats­debatte im Bundestag sollte es brechen.

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