- Will der Staat jetzt an unsere Altersvorsorge?
Lebensversicherungen sind das wichtigste Standbein privater Altersvorsorge – doch seit langem sinken die Erträge. Ein von der Bundesregierung geplantes Gesetz sieht vor, dass die Versicherten noch mehr abgeben sollen. Dagegen regt sich nun Widerstand. Was geschieht da gerade?
Wahrscheinlich ist Michael Schreiber schuld. Mitte November erfuhr der Notar und stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Ludwigsburg aus der Zeitung, dass die Regierungskoalition im Bundestag kurz zuvor im Eilverfahren eine einschneidende Kürzung der Auszahlungen an die Inhaber von Lebensversicherungen beschlossen hatte. Demnach sollten die Versicherten für auslaufende Verträge vorerst nicht mehr an den Kursgewinnen auf die Wertpapiere beteiligt werden, welche die Versicherer mit dem Geld ihrer Kunden erworben haben. Mit diesen sogenannten Bewertungsreserven, so hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble argumentiert, sollten die Versicherungsunternehmen gestärkt werden, damit sie auch in Zukunft über genügend Reserven verfügen, um allen Kunden ihre garantierten Leistungen auszahlen zu können.
„Aber das war mir nicht verständlich“, sagt Schreiber. „Die Versicherungsgesellschaften melden Rekordgewinne, aber die Ansprüche der Versicherten sollen gekürzt werden“, das passe nicht zusammen. Darum beantragte er beim Bundesparteitag der CDU Ende November, die Regierung möge diese Kürzung zurücknehmen – und fand dafür so breite Unterstützung, dass sein Antrag gegen den Willen der Parteiführung eine Mehrheit fand. So fiel die CDU-Basis ihrer eigenen Regierung in den gesetzgebenden Arm. Prompt lehnten daraufhin auch die Vertreter CDU-regierter Länder Mitte Dezember gemeinsam mit den SPD-geführten Landesregierungen im Bundesrat die Neuregelung ab und forderten, „auch die Unternehmen“ sollten „einen Beitrag leisten“. Nun soll der Vermittlungsausschuss am kommenden Dienstag einen Kompromiss ausloten.
Wie sicher sind die Lebensversicherungen?
Das Thema ist gerade im Wahljahr heiß. Mit fast 90 Millionen Verträgen sind Lebensversicherungen das wichtigste Instrument der privaten Altersvorsorge in Deutschland. Mehr als 750 Milliarden Euro haben die Bürger bei den Versicherungen auf die hohe Kante gelegt. Doch die Erträge daraus werden seit vielen Jahren immer kleiner. Ursache dafür sind die stetig gesunkenen Zinsen auf Anleihen von Staaten und Unternehmen, in denen fast 90 Prozent der Versichertengelder angelegt werden.
Darum senkten die verschiedenen Bundesregierungen den gesetzlich vorgeschriebenen „Garantiezins“ seit 1999 von vier auf jetzt nur noch 1,75 Prozent ab. Weil aber für alle älteren Verträge der alte hohe Garantiezins gilt, könnten die Unternehmen irgendwann in Not geraten, weil die Erträge für die Auszahlung der ursprünglich garantierten Leistungen nicht mehr ausreichten, beklagen Branchenvertreter seit langem. Passend dazu lancierte das Finanzministerium Anfang November die Meldung, es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass einzelne Unternehmen in Schwierigkeiten geraten“. Für „das schwächste Fünftel“ der Anbieter könnten bei einer dauerhaft niedrigen Verzinsung von Staatsanleihen „die vorhandenen Kapitalanlagen ab 2018 nicht mehr“ ausreichen, um die vorgeschriebenen Anforderungen zu erfüllen.
Doch diese Einschätzung ist höchst umstritten. Denn nach wie vor haben die Unternehmen enorme Reserven. Das ermittelte jetzt die Finanzexpertin Barbara Sternberger-Frey für die Zeitschrift „Öko-Test“ aus den Bilanzdaten der Versicherer. Demnach verfügen die Lebensversicherer über bereits erwirtschaftete, aber noch nicht ausgeschüttete Gewinne von mehr als 43 Milliarden Euro. Für den Branchenführer Allianz versicherte denn auch Vorstand Markus Faulhaber sofort, der Konzern könne „auch bei einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld jahrzehntelang“ alle Garantien einhalten. Auch Elke König, Chefin der Aufsichtsbehörde Bafin, stellte klar, die Versicherer stünden „ganz eindeutig nicht am Abgrund“. Die ganze Debatte sei „ein großes Missverständnis“.
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Warum sollen die Versicherten auf die Bewertungsreserven verzichten?
Das „Missverständnis“ hinderte die Regierungskoalition nicht daran, am späten Abend des 8. November 2012 fast nebenbei und ohne Debatte die nun umstrittene Änderung der Vorschriften für die Auszahlung von Lebensversicherungen zu beschließen. Diese soll die Versicherer in Zeiten niedriger Zinsen von der Pflicht entbinden, ihre Kunden bei Auslauf oder Kündigung ihrer Versicherung an den Kursgewinnen zu beteiligen, die in den mit dem Geld der Versicherten gekauften Wertpapieren stecken. Erst 2008 hatten Verbraucherschützer mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht erreicht, dass die Kunden wenigstens zu 50 Prozent an diesen Bewertungsreserven beteiligt werden müssten. Diese Pflicht nun teilweise auszusetzen, sei „schon verfasssungsrechtlich gar nicht zulässig“, sagt Axel Kleinlein, Vorsitzender des Bundes der Versicherten, der gut 50 000 Versicherungskunden vertritt. Tatsächlich würde die Neuregelung den demnächst ausscheidenden Kunden erhebliche Verluste von bis zu 10 000 Euro bringen, berichten Verbraucherschützer. Dabei bekommen gerade die Inhaber älterer Lebensversicherungen meist ohnehin nur noch zwei Drittel dessen, was ihnen bei Vertragsabschluss in Aussicht gestellt wurde.
Zur Begründung führte das Finanzministerium gemeinsam mit dem Branchenverband GdV an, dass die derzeit sehr hohen Bewertungsreserven von zurzeit gut 40 Milliarden Euro reine Buchgewinne seien, die sich aus dem Zinstief ergeben. Hochverzinste Anleihen aus früheren Jahren gewinnen mit fallenden Zinsen automatisch an Wert. Würden diese Kursgewinne zur Hälfte ausbezahlt, müssten die Versicherer diese ertragreichen Papiere zum Teil verkaufen. Dann stünden sie aber für die übrigen Kunden, deren Verträge später auslaufen, nicht mehr zur Verfügung. Es müsse daher verhindert werden, „dass die jetzt ausscheidenden Versicherten den Kapitalbestand zulasten der verbleibenden Versicherten zu sehr verbrauchen“, erklärten Minister Schäubles Beamte. Auch die Branchenlobby GdV versicherte, es gehe nur um „mehr Gerechtigkeit innerhalb der Versichertengemeinschaft“.
Was fordern die Verbraucherschützer?
Nach Meinung der Fachleute aus den Verbraucherschutzzentralen ist dies jedoch eine Schutzbehauptung. Anders als bei den staatlichen Sozialkassen gebe es bei den Privaten rechtlich keine Versicherungsgemeinschaft, erklärt die Versicherungsexpertin Edda Castello von der Verbraucherzentrale Hamburg. Vielmehr gebe es vertragliche Ansprüche der Kunden, wozu auch die Bewertungsreserven zählten. Wenn einzelne Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten könnten, „sollten sie vom Markt gehen“.
Nur weil vielleicht kleine Unternehmen Probleme haben, sei „nicht einzusehen, warum die ganze Branche begünstigt werden soll“, sagt auch Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Ohnehin habe die Aufsicht schon bisher das Recht, im Notfall die Auszahlung der Bewertungsreserven zu kürzen. Als Kompromiss wolle die Bundesregierung nun anbieten, dass die Zahlungen aus den Reserven nicht mehr vollständig, sondern nur noch um die Hälfte gekürzt werden, berichtete einer der an den Verhandlungen beteiligten Beamten. Aber nach Meinung der Kritiker sollten sich die Länder damit nicht abspeisen lassen. Wenn überhaupt eine Änderung beschlossen werde, dann sollten die Unternehmen im Gegenzug zur vollen Offenlegung ihrer Erträge und deren Verteilung verpflichtet werden, fordert Schick. Die „Intransparenz“ der Leistungen aus Lebensversicherungen sei das Hauptproblem, meint auch Verbraucherschützerin Castello. Die Berechnung der Überschussbeteiligung sei „für niemanden nachvollziehbar“.
Wie werden die Überschüsse berechnet?
Tatsächlich ist das System, mit dem die Versicherer ihre Leistungen kalkulieren, höchst verworren. Nicht zuletzt deshalb sind ihre Gewinne auf Rekordhöhe gestiegen, während die Auszahlungen an die Versicherten stetig sinken. Eigentlich müssen die Unternehmen ihre Kunden zu 90 Prozent an den Kapitalerträgen beteiligen, die über den Garantiezinssatz hinaus erwirtschaftet werden. Doch in der Praxis wird nur ein kleiner Teil der Gewinne den Kunden tatsächlich jedes Jahr individuell zugeschrieben. Ein weiterer Teil wird für einen „Schlussgewinnanteilsfonds“ zurückgelegt und ein noch größerer Teil wandert in die sogenannte freie „Rückstellung für Beitragsrückerstattungen“ (RfB).
Doch wann und wie diese RfB-Mittel den Versicherten zufließen, ist unklar. Denn dieses Geld dürfen die Unternehmen gleichzeitig auch als „Eigenmittel“ ausweisen, also jenes Kapital, das sie gesetzlich vorgeschrieben zur Sicherheit dauerhaft vorhalten müssen. Schon jetzt umfassen die „freien RfB“ rund 20 Milliarden Euro. Mit der geplanten Änderung der Vorschriften solle dieser Topf noch einmal „aufgebläht werden“, kritisiert Verbraucherschützer Kleinlein. Denn neben der Kürzung der Bewertungsreserven will die Bundesregierung erlauben, dass die Versicherer künftig für bis zu 80 Prozent ihrer benötigten Eigenmittel den RfB-Topf nutzen. Damit müssten „die Kunden dafür bezahlen, dass das Unternehmen überhaupt Geschäfte machen darf“, empört sich Kleinlein, der früher selbst bei der Allianz Kundenansprüche berechnete und die Tricks der Branche kennt. Das sei, „als ob die Banken ihren Kunden die Zinsen kürzen, um damit die Einlagensicherung zu finanzieren“. Dies müsse der Bundesrat unbedingt verhindern.
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