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Sanktionen gegen Russland - Die Waffen der EU

Wirtschaftssanktionen gegen Russland gibt es für deutsche und europäische Unternehmen nicht zum Nulltarif. Trotz aller Risiken, die das für ihr eigenes Geschäft birgt, unterstützen auch einige Industrievertreter Sanktionen

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Tomas Sacher ist ein tschechischer Journalist. Er leitete das Wirtschaftsressort des Magazins „Respekt“ und moderiert Debatten zur Politik und Wirtschaft. Er lebt in Berlin und Prag

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Die Deutschen wissen, was auf dem Spiel steht: fast ein Prozent des BIP. So viel könnten Wirtschaftssanktionen gegen Russland laut einer Studie der EU-Kommision kosten. Je näher die Präsidentenwahl in Kiew rückt und je mehr sich die Gewalt im Osten ausweitet, desto realer wird dieses Szenario. Auch einige Industrievertreter unterstützen Sanktionen – trotz aller Risiken, die das für ihr eigenes Geschäft birgt. Ist die Wirtschaft darauf überhaupt vorbereitet? Und wie würden die Sanktionen funktionieren?

Null-Toleranz der deutschen Industrie
 

Der Industriemann Markus Kerber vergleicht den Untergang des Janukowitsch-Regimes in der Ukraine gern mit dem Mauerfall. „Es geht um den Wunsch der Menschen, die sich eine offene und demokratische Gesellschaft wünschen“, schrieb der Vorsitzende des Bundesverbands der Deutschen Industrie in der Financial Times. Russland ist in seinen Augen ein Aggressor, die Annexion der Krim durch Russland eine grobe Verletzung des internationalen Rechts. „Dies ist etwas, das die deutsche Industrie nicht tolerieren kann.“

Kerbers Artikel hat eine breite Diskussionen entfacht. Seine Botschaft: Mit Dialog allein ist es nicht immer getan. „Wirtschaftssanktionen können ein Weg sein, um Russland die westliche Entschlossenheit spüren zu lassen,” schrieb Kerber und fügte hinzu, die deutsche Wirtschaft werde mögliche Aktionen der Merkel-Regierung unterstützen. Doch nicht alle führenden Köpfe der deutschen Wirtschaft sehen die Situation genauso. Deutsche Energieanbieter warnen von einer Gefahr für die Gasversorgung. Die Medien zitieren „Ökonomen gegen Sanktionen.“

Die Europäische Kommission hat die deutsche Debatte selbst mit ihrer Studie befeuert. Der deutschen Wirtschaft drohen demnach erhebliche Einbußen, in diesem Jahr bis zu 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, nächstes Jahr bis zu 0,3 Prozent. Weitere Details der Studie, zitiert vom Magazin Stern, sind noch nicht bekannt. Die Ökonomen sagen aber auch deutliche Negativeffekte für die Euro-Krisenländer voraus. Nur ein Beispiel: Russland fördert den griechischen Tourismus mit einer Million Gästen pro Jahr. „Wir haben in Europa noch immer eine Krise, und gerade deshalb ist Europa besonders verwundbar,” sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf Anfrage von Cicero Online.

Andererseits hat der Kreml einen enormen Machthunger. Nur Europa hätte genug Kraft, Putin  zu stoppen. Das US-Handelsvolumen mit Russland betrug im vergangenen Jahr weniger als 40 Milliarden US-Dollar. In der EU waren es mehr als 400 Milliarden.

Anfang März hatten die EU- Politiker ein dreistufiges Sanktionssystem gegenüber Russland beschlossen. Zu Beginn hat die EU nur etwa zwanzig russische Funktionäre, die während der Krim-Annexion aktiv waren, sanktioniert. Seit Montag stehen zusätzlich insgesamt 61 Personen auf der EU-Sanktionsliste, inklusive zweier Firmen aus der Krim. Schritt Nummer drei – Wirtschaftssanktionen – seien fällig, wie die Kanzlerin bei ihre jüngsten Reise nach Frankreich erklärte, sollte Russland die Ukraine „unausweichlich weiter destabilisieren“. Die Russen jedenfalls nehmen das in keiner Weise ernst.

Trotz vieler leerer Versprechen Putins stehen die russischen Soldaten einsatzbereit an der ukrainischen Grenze. Überhaupt zeigt Russland wenig Respekt gegenüber der EU. Auf dem Weg nach Transnistrien ist der russische Vize-Premier Dmitry Rogosin mit dem Flugzeug eingereist. Der Weg führte über einen EU-Mitgliedstaat – Rumänien. Das Land hatte ihm den Überflug über das eigene Terrain verboten. Gegen ihn hatte die EU Sanktionen verhängt – neben Kontosperren auch ein Einreiseverbot. Rogosins flog  trotzdem. Kurz nach dem Ausflug twitterte er:  „Nächstes mal fliege ich mit TU-160” – gemeint ist ein russischer Tupolew-Bomber.

Die Waffen der EU
 

Wie genau könnten die Sanktionen aussehen? Das heutige US-Embargo gegen Kuba betrifft zum Beispiel Geschäfte mit Luxusgütern, Geld und Waffen. Im Fall Nordkoreas decken die Amerikaner nur Luxusgüter und Waffen ab, mit dem Ziel, die kommunistischen Führer und nicht etwa die Bürger zu treffen. Europa könnte auch Zollschranken errichten, die Importabgaben erhöhen, oder gar ein Handelsembargo verhängen. Dies könnte bestimmte Waren oder staatliche Organisationen betreffen oder einem Unternehmen in der EU verbieten, Geschäfte mit Russland zu machen.

Im Notfall hat die EU eine noch viel stärkere wirtschaftliche Waffe: die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT). Die von Banken verwaltete Brüsseler Firma ist der Schlüssel zum heutigen Finanzsystem. Durch SWIFT laufen fast alle internationalen Zahlungen. Das Beispiel Iran zeigt, dass die westlichen Politiker damit eine Möglichkeit zum handeln haben. „Die Westmächte haben im Endeffekt die Macht, Russland vom Finanzsystem der Welt auszuschließen,” schreibt der Kommentator der Financial Times, Gideon Rachman.

Das wäre ein sehr kontroverser Schritt. Russland versucht schon längere Zeit – zusammen mit China – ein alternatives Zahlungssystem zu entwickeln. Sanktionen würden diese Versuche sicher verstärken. Am Ende könnte das wiederum den Westen schwächen. Andererseits sind alle Versuche, eine solche globale SWIFT-Alternative zu entwickeln, bis heute gescheitert.

Eine neue Langzeitstudie des Peterson Institute in den USA behauptet hingegen, von 174 Sanktionen nach Ende des Ersten Weltkrieges seien nur etwa die Hälfte erfolgreich gewesen, vorausgesetzt es handelte sich um bescheidene Ziele wie zum Beispiel die Freilassung von politischen Gefangenen. Wenn das Ziel zu ehrgeizig wurde, wie die Änderung einer wichtigen politischen Entscheidung, sank die Erfolgsquote auf nur etwa ein Drittel.

Erfolgreiche Sanktionen gegen Iran
 

Zuletzt haben die Sanktionen gegen Iran, die Blockaden von Öl-und Auslandsbankkonten enthalten, dabei geholfen, die Iraner an den Verhandlungstisch zu bringen. Sie stimmten Inspektionen ihres Atomprogrammes schließlich zu. Die iranische Wirtschaft litt unter den Sanktionen, welche im Jahr 2012 verhängt wurden. Das BIP sank um fast 6 Prozent im letzten Jahr und die Inflation explodierte im zweistelligen Bereich auf rund 40 Prozent. Auch damals musste die Welt mit den Folgen leben; vor allem stiegen die Ölpreise. Doch am Ende haben die Maßnahmen ihren Zweck erfüllt.

„Sanktionen sind keine Wunderwaffe, aber eine angemessene Reaktion der europäischen Seite ist einfach verpasst worden. Bis heute reagiert Europa nur auf das, was Russland tut, es handelt passiv,“ sagt ein Analyst des Brüsseler Think-Tanks Center for European Policy Studies. „Die Angst vor wirtschaftlichen Folgen ist groß. Europa sollte aber nicht vergessen: das BIP von Russland ist genau das gleiche wie das BIP von Italien, einem Mitgliedsstaat der ganzen Gruppe.“

Sanktion und Solidarität
 

Über eines sind sich Politiker und Wissenschaftler vollkommen einig: Die nächsten zwei Wochen werden entscheidend sein. Wenn die Situation eskaliert, und die Präsidentschaftswahlen nicht im ganzen Land organisiert werden, scheinen härtere Sanktion mehr und mehr wahrscheinlich.

Und dann kommt wieder die Frage der Solidarität. Der Staatssekretär im Außenministerium Michael Roth erklärte dem Handelsblatt, die Sanktionen müssten Solidarität bringen. Der liberale EU-Spitzenkandidat, Guy Verhofstadt, teilte in gleicher Weise mit: „Einige EU-Länder werden wesentlich stärker als andere von den Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen betroffen sein. Die betroffenen EU-Länder müssten für den wirtschaftlichen Schaden kompensiert werden,” sagte der Chef der europäischen ALDE-Fraktion der Zeitung Die Welt.

Das könnte ein Weg sein. Ohne Solidarität stimmen die EU-Staaten wahrscheinlich nicht einfach zu. „Wir sehen die mitteleuropäischen Staaten zusammen mit Großbritannien als Hauptakteure. Dabei  spielen die Gegner Deutschlands eine Schlüsselrolle“, erklärt Paul Ivan vom Center for European Policy Studies (CEPS). Am Ende zähle jede Stimme, fügt er hinzu. Mit Erfolg sabotierte zum Beispiel Griechenland die Pläne, Syrien den Export von Phosphor in die EU zu verbieten, weil gerade griechische Firmen damit arbeiten.

Ein stärkeres Miteinander könnte solche Fälle verhindern. Die andere Möglichkeit ist, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen ohne gemeinsames EU-Mandat einzeln einführen. Dann  wäre ihre Erfolgschance allerdings noch geringer.

 

Was hält die deutsche Wirtschaft von Sanktionen gegen Russland? Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), im Interview

 

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