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Geschäftsmodell Crowdfunding - „Man wird zum Teil des Reporterteams”

Journalismus durch Crowdfunding finanzieren – mit diesem Ziel ist vor einem Monat die Website krautreporter.de gestartet. Das erste Projekt ist inzwischen finanziert. Im Interview erklärt Geschäftsführer Sebastian Esser die Plattform

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Herr Esser, wie funktioniert Krautreporter?
Krautreporter ist eine Finanzierungsplattform für Journalismus. Die Leute bezahlen im Voraus für eine journalistische Idee, und nicht – wie bei Zeitungen und Rundfunk – erst im Nachhinein. Das heißt: Die Finanzierung geschieht direkt durch die Leser, Hörer oder Zuschauer. Wir lassen den Zwischenhändler weg.

Sebastian Esser (Foto: S. Esser)Welchen Vorteil hat das?
Journalisten finanzieren ihre Arbeit unabhängig, ohne Redaktionszwang, schlechte Honorare, Zeitdruck. Sie bearbeiten Themen, die ihnen wichtig sind. Und zwar genau so, wie sie das möchten.

Ob ein Projekt umgesetzt wird, hängt also davon ab, ob sich genug Sponsoren finden?
Genau. Ein Journalist hat eine Idee, die anderen Leuten Geld wert ist. Die unterstützen sein Projekt finanziell, und er setzt es dann um. Die Vermarktung des journalistischen Produkts findet also im Voraus statt. Aber, das ist mir wichtig: Es handelt sich nicht um eine „Spende“ ohne Gegenleistung. Der Unterstützer bekommt eine Gegenleistung.

Nämlich?
Zum einen kann er sich ganz handfest für eine der Prämien entscheiden, zum Beispiel ein Buch, eine DVD, ein Magazin. Mindestens genauso wichtig ist für viele Unterstützer aber die nichtmateriellen Gegenleistung: Man wird zum Teil des Reporterteams, bekommt einen Blick ins Cockpit. Vielen ist das allein schon das Geld wert. Dazu kommt das gute Gefühl, ein Stück unabhängigen Journalismus zu ermöglichen, das es sonst vielleicht nicht gegeben hätte. Die Unterstützer nehmen fast die Rolle von Verlegern ein.

Journalism-on-demand also?
Sie dürfen es nennen, wie Sie möchten. Diese Bezeichnung ist aber vielleicht etwas irreführend. Wir erfüllen keine Wünsche. Es ist nicht so, dass Sie bei uns eine Idee einreichen, und wir suchen dann einen Reporter, der das macht. Der Reporter macht einen Vorschlag und die Leute können sein Projekt unterstützen.

Krautreporter ist seit einem Monat online. Wie viele Projektvorschläge wurden bislang eingereicht?
Wir haben zehn Projekte gestartet. Noch mal so viele haben wir abgelehnt. Nicht jedes Thema lässt sich gut durch Crowdfunding finanzieren.

Was geht zum Beispiel nicht?
Der Reporter verpflichtet sich, grundlegende journalistische Regeln der Wahrhaftigkeit, Unabhängigkeit und Transparenz zu respektieren; außerdem versichert er, dass er sich an den Pressekodex gebunden fühlt. Und ein Krautreporter-Projekt braucht ein klares Ziel, ein konkretes Ergebnis, es hat kein offenes Ende.

Woher kommen die Vorschläge?
Es haben sich ganz verschiedene Leute gemeldet. Manche sind netzaffin, andere weniger, manche Anfang 20, andere Ende 50. Die Bandbreite ist groß. Wir wenden uns aber nur an Profi-Journalisten – um sicherzustellen, dass die Projekte wie versprochen umgesetzt werden können.

Welche Rolle spielen die Interessen der Sponsoren?
Gar keine. Die Projekte werden ja im Voraus finanziert. Die Sponsoren haben keinen Einfluss auf die Richtung der Geschichte. Die Unabhängigkeit der Berichterstattung ist ins System eingebaut.

Gibt es den typischen Sponsor?
Nein. Wer wie viel Geld gibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Thema, Reporter, und natürlich von der Gesamtsumme. Es gibt Projekte, die von sehr vielen Unterstützern mit kleinen Beträgen finanziert werden, zum Beispiel „LobbyPlag“.

… eine Open-Source-Plattform, auf der Lobbyarbeit dokumentiert werden soll.
... oder vielmehr der Einfluss von Lobbyisten auf die EU-Gesetzgebung. Dann wiederum gibt es Projekte, die von wenigen Unterstützern mit größeren Summen – mehreren Hundert Euro – finanziert werden, zum Beispiel „Viktors Kopf“.

… ein Filmprojekt, in dem Carmen Eckhardt die Geschichte ihres von den Nazis enthaupteten Urgroßvaters nachzeichnen möchte.

Können Sie die Möglichkeit eines Missbrauchs durch Interessengruppen ausschließen?
Nein. Aber ich finde es kurios, dass das überhaupt ein Thema sein soll, denn Journalismus-Crowdfunding ist viel transparenter und unabhängiger als traditionelle Medien es sein können. Es ist bei Zeitungen üblich, dass der Verleger die politische Richtung bestimmt. Das darf er auch – es gibt den Tendenzschutzparagraphen. Wenn Sie bei einer Lokalzeitung arbeiten, in der Aldi jeden Monat massenhaft Anzeigen schaltet, und Sie schreiben etwas Schlechtes über Aldi, dann bekommen Sie erfahrungsgemäß schnell Probleme. Von vollständiger Unabhängigkeit kann bei den traditionellen Medien also nicht die Rede sein. Bei Krautreporter ist die Finanzierung vollkommen transparent. Sie können bei jedem Projekt sehen, wer welchen Betrag beigesteuert hat.

In den Unterstützerlisten finden sich auch anonyme Unterstützer. Außerdem verwenden nicht alle Nutzer Klarnamen.
Stimmt.

In den USA ist gesponserter Journalismus längst gang und gäbe, die Spenden für journalistische Projekte belaufen sich jährlich auf rund 100 Millionen Euro. Ein Vorbild für Deutschland?
Da möchte ich noch mal einen Unterschied machen. Diese Summe bezieht sich vor allem auf stiftungsfinanzierten Journalismus, ProPublica zum Beispiel. Krautreporter ist etwas anderes. Beim Crowdfunding wird Journalismus nicht durch „Spenden“ von „Sponsoren“ subventioniert. Es handelt sich um eine ganz normale marktwirtschaftliche Transaktion –  nur der Zeitpunkt des Bezahlens ist nach vorne gelegt.

Vor wenigen Tagen ist die Finanzierung der ersten Vollrecherche gelungen. Worum handelt es sich?
Es geht um ein Buch über Taiwan von Klaus Bardenhagen. Der hat gesagt: Nur wenn ich 2.000 Euro zusammenbekomme, schreibe ich dieses Buch. Ohne Crowdfunding hätte es dieses Buch also nie gegeben. Er wird übrigens weit mehr zusammenbekommen. Ich bin sicher, dass auch LobbyPlag das Finanzierungsziel bald erreicht hat. Das beweist: Auch aktueller Journalismus kann auf diese Weise finanziert werden.

Herr Esser, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

 

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