Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Arme haben keine Lobby

Mitt Romney und der Armutsbericht - Immer Ärger mit den Armen

Auf einem heimlich gedrehten Video würdigte Mitt Romney die Hälfte der Amerikaner zu Verlierern herab. Romney wetterte gegen die Armen, doch wirkliche Proteste blieben aus. Im Vergleich zu aufgebrachten Muslimen, denen ein schlechtes Video genügte, um die halbe Welt in Flammen zu setzen, hat Armut keine Lobby

Das ist jetzt wirklich ganz blöde gelaufen für Mitt Romney. Wer konnte aber auch ahnen, dass sich einer der Besucher seines kleinen Dinners illoyal verhalten würde. Romney beschimpft in einem heimlich gedrehten Video die 47 Prozent der Amerikaner, die keine Steuern zahlen als Menschen, um die er sich nicht kümmern müsse. Denn diese würden sich eh nicht darum scheren, nie ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Lieber liegen sie dem Staat auf der Tasche. Klar, was er damit sagen will: Hier werde ich, liebe Spender, meine, beziehungsweise unsere Zeit nicht vergeuden. Dabei handelt es sich bei den 47 Prozent keinesfalls nur um arbeitsfaule Nichtsnutze sondern zu großen Teilen um Rentner oder Veteranen, die von der Steuer befreit sind oder um Menschen, die sehr wohl arbeiten, deren Einkommen aber so gering ist, dass es unter dem Freibetrag der Steuergrenze liegt.

Wer immer der anonyme Kameramann hinter dem Mitschnitt ist – auch er wird die 50.000 Dollar für das Gedeck bei dem Bankett entrichtet haben. Er wird damit den republikanischen Wahlkampf mitfinanziert – ihm aber gleichzeitig einen Schaden eingebracht haben, der fern der 50.000-Dollar-Marke liegt.

Während ein anderes amerikanisches Video die gesamte muslimische Welt in Atem hält, hat Mitt Romney mit seiner Einlage kurzerhand die Hälfte der Amerikaner brüskiert. Gotteslästerung kann dem gläubigen Mormonen keiner vorwerfen, dagegen aber Menschenlästerung. Nun werden aber keine Romneyplakate abgefackelt oder republikanische Parteibüros in Brand gesetzt. Niemand ist stolz auf seine Armut. Während die islamische Lobby einen weltweiten Sturm der Entrüstung entfacht, fällt die Empörung auf Seiten der sozial Schwachen gedämpfter aus.

Armut hat keine kraftvolle Lobby, keine Mittel, keinen Einfluss und ist deswegen als amerikanische Wählerschaft unattraktiv – diese Lehre könnte man ziehen aus Romneys Auslassungen.

Nun befindet sich das ganze Szenario weit entfernt auf der anderen Seite des Atlantiks. Wir haben keinen Mitt Romney, der die Nation so zielgerichtet mit der Nase auf den Misthaufen stößt. Dafür haben wir seit einigen Tagen einen Armuts- und Reichtumsbericht, der noch vom Bundestag beschlossen werden muss und deswegen die Parteigemüter erregt. Im Zentrum der Debatte: Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen.

Seite 2: Die Sehr-Reichen werden viel reicher

Sie streiten jetzt über den Wahrheitsgehalt des Berichts, wobei sich trotz aller methodischen Schwächen bei der Debatte herauskristallisiert: Die Schere wächst, die Armen werden ärmer, die Normal-Reichen werden ein bisschen reicher. Vor allem aber werden die Sehr-Reichen noch sehr viel reicher.

Da kommt neben den üblichen Verdächtigen im linken Spektrum der Parteienlandschaft selbst bei der CDU der Gedanke auf, dass es so nicht weiter gehen kann: Und so steht im vorläufigen Reichtumsbericht: Die Bundesregierung prüfe, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann."

Damit ist sie eingeleitet, die verhasste Debatte über die Vermögenssteuer. 1996 als verfassungswidrig abgeschafft, geistert sie immer wieder durch die Arbeitsgruppen des Bundestages. Die letzte erhobene Zahl der Einkommensmillionäre in Deutschland liegt bei 16.846 im Jahr 2007. Da müsste doch etwas zu holen sein?

Passend dazu rufen am kommenden Wochenende Organisationen wie Attac, Gewerkschaften und Sozialverbände zur Aktion Umfairteilen auf. Die Idee: Ein Steuersatz von 1,5 Prozent für die Vermögenden, Freibeträge von einer Million Euro für jeden Erwachsenen, 250.000 Euro für jedes Kind und fünf Millionen Euro für Betriebsvermögen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet bei diesem Modell einen Ertrag von 20 Milliarden Euro pro Jahr.

Philipp Rösler ist schockiert in welche Richtung sich die Diskussion entwickelt. „Freiwillige Spenden- und Stiftertätigkeiten“ als Konsequenz aus dem Bericht, das ja, lässt er aus dem fernen Vietnam verlautbaren. Aber ansonsten solle man doch bitte die positiven Aspekte des Berichts herausstellen, anstatt immer an den Zuständen herumzunörgeln. Was Rösler auch sagen könnte: Lasst das doch mal mit diesem Armutsbericht. Das betrifft nicht meine Wählerschaft. Darum mag ich mich nicht kümmern. Und Mitt Romney winkt von der Küste herüber.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.