- „Tsipras wird die Schuldenlast abtragen“
Griechenland hat eine neue Regierung. Links- und Rechtspopulisten machen gemeinsame Sache. Im Interview erklärt der Deutsch-Grieche Jorgo Chatzimarkakis, was Linke und Rechte eint und warum auch Alexis Tsipras keinen Schuldenschnitt fordern wird
Der Deutsch-Grieche Chatzimarkakis war für die FDP von 2004 bis 2014 Mitglied im Europäischen Parlament. Dann verließ er die Partei, weil er den Europakurs des damaligen Vorsitzenden Philipp Rösler nicht mehr mittragen wollte. Vor der Europawahl 2014 gründete Chatzimarkakis in Griechenland die Partei Hellenische Europabürger, die den Einzug ins Europäische Parlament verpasste. 2014 ist er vom griechischen Außenminister zum Ehrenbotschafter der Regierung in Athen ernannt worden. 2011 wurde Chatzimarkakis im Zuge einer Plagiatsaffäre der Doktorgrad aberkannt.
[[{"fid":"64650","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1129,"width":750,"style":"width: 150px; height: 226px; margin: 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Herr Chatzimarkakis, hat Sie der deutliche Wahlerfolg der linken Syriza-Partei überrascht?
Dass sich die Partei Syriza von einem Randphänomen zu einer Regierungspartei entwickelt, ist auch auf die Krise zurückzuführen: auf die Wirtschaftskrise, aber auch auf die gesellschaftliche Krise in Griechenland. Deshalb hat es mich nicht überrascht. In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Jetzt sieht es so aus, als würde die griechische Gesellschaft zum ersten Mal ihr politisches System ernsthaft in Frage stellen.
Wohl weitaus mehr als der sich abzeichnende Wahlerfolg der Linken erstaunt die Koalition mit einer Partei am ganz anderen Ende des politischen Spektrums – mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“. Wie geht das zusammen?
Für eingefleischte Kenner der griechischen Politik war das weniger überraschend. Denn innerhalb des griechischen Parlaments haben diese Parteien sehr häufig zusammengewirkt. Insbesondere dort, wo es um den gemeinsamen Feind ging, nämlich das Sparprogramm. Das schmiedet diese Partner zusammen.
Linke und Rechte einen die Feindbilder Angela Merkel und Troika. Aber reicht das, um zu regieren? Auf dem Papier ist das doch eher ein destruktives Bündnis …
Es gibt aber auch viele konstruktive Ansätze: Auch der neuen Regierung wird es darum gehen, die Schuldenlast abzutragen, also Griechenland in die Lage zu versetzen, seinen Gläubigern die Schulden tatsächlich zurückzuzahlen. Der Ansatz, den Schuldenberg hochzuhalten, ist in der deutschen Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg gescheitert. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man dann der jungen Bundesrepublik ein anderes Angebot gemacht und die Schuldenlast auf über fünfzig Jahre verteilt. Das ist eine der Kernforderungen der neuen Regierung, die Streckung der Schulden auf fünfzig Jahre. Gar nicht mal so sehr der Schuldenerlass. Der Anspruch, das Geld zurückzubekommen, wird nicht aufgegeben, auch wenn das einige extreme Stimmen im Wahlkampf verlangt haben. Die werden sich jetzt aber am Verhandlungstisch mit den Europäern beruhigen.
Alles nur Wahlkampfrhetorik also?
Auch die neue Regierung weiß, dass ein Schuldenschnitt nicht private Gläubiger trifft, sondern die öffentliche Kasse. Was wiederum bedeuten würde, dass dieser Schuldenschnitt durch die Parlamente in ganz Europa müsste. Auch in anderen Ländern im Süden herrscht Krise. Da wird es kein Verständnis geben. Ich glaube schon, dass die griechische Regierung zunächst einmal den Weg einschlagen wird, die Zinslast zu senken. Das andere ist eben die Streckung der Zinsen. Das sind Ansätze, mit denen man beginnen wird.
Die Wahlversprechen waren aber andere. Wie fände das die Bevölkerung, die doch einen klaren Kurs gewählt hat?
Die griechische Bevölkerung hat – wenn man den Wahlslogans glaubt – zunächst einmal die Hoffnung gewählt. „Die Hoffnung kommt…“, hat Alexis Tsipras immer gesagt. Hoffnung aber ist ein sehr interpretierbarer Begriff. Konkret hat Syriza gesagt, dass die Troika nicht mehr kommt. Zwar wird die Troika definitiv Ende Februar noch einmal anrücken, aber dann wohl zum letzten Mal. Zumal sich der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs in einer Stellungnahme gegen die wirtschaftspolitische Tätigkeit der EZB ausgesprochen hat. Und die Teilnahme an der Troika ist eine wirtschaftspolitische Maßnahme. Das darf die EZB nicht. Deswegen kann Tsipras gegenüber seinem Wahlvolk sagen, die Troika ist beendet.
Das zweite Wahlversprechen war, die Schuldenlast neu zu verhandeln. Wegen des Primärausschusses, den Griechenland erzielt hat, hat es laut Vertrag ganz offiziell Anspruch auf die Neuverhandlung der Schulden. Schwieriger wird es, was die Ankündigen betrifft, neue Stellen in der öffentlichen Verwaltung zu schaffen. Die Kassen sind nach wie vor leer.
Die neue Regierung will im Euroraum bleiben, gleichzeitig macht sie ihren Wählern horrende Wahlversprechen. Wie will Tsipras diesen Konflikt lösen?
Wenn die neue Regierung realistisch an die Neuverhandlung herangeht und erst in zweiter Linie das Schaffen von Arbeitsplätzen umsetzt, dann wäre es machbar, sowohl die Wahlversprechen einzuhalten als auch Griechenland im Euro zu belassen. Das ist eine Frage der Zeitabläufe. Ich baue da auf den neuen stellvertretenden Regierungschef Giannis Dragasakis, ein Urgestein der Linken. Er wird die Verhandlungsführung übernehmen. Ein sachlicher Mann, den ich persönlich kenne und schätze.
Wie steht es um das Feindbild Angela Merkel?
Die Bundesregierung war bemüht, sich komplett aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Das ist ihr auch gelungen. Es hat kaum Einflussnahme deutscher Regierungspolitiker auf den griechischen Wahlkampf gegeben. Insofern ist das Bild von Angela Merkel nicht mehr so negativ wie noch zu Hochzeiten der Krise 2012. Die Lage hat sich stark normalisiert.
Sie sind Ehrenbotschafter der griechischen Regierung. Gilt das auch für die neue Regierung? Entschieden wird die Frage durch den neuen Außenminister und durch den Ministerpräsidenten.
Und Sie wollen weiterhin diese Funktion ausüben?
Ich stehe zur Verfügung! Die Jobbeschreibung meiner Botschafterposition ist, dabei zu helfen, dass Griechenland nach dem Sparprogramm sanft landet. Insbesondere, weil Syriza zwar am linken Rand Europas tatsächlich gut vernetzt ist, aber bei den übrigen politischen Partnern durchaus noch offen ist für Kontaktaufnahme.
Das Interview führte Timo Stein.
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