- Geht die EZB zu weit?
Unbeschränkter Ankauf von Staatsanleihen? Das Tabu ist gebrochen. Nur der Bundesbankchef Jens Weidmann votierte im EZB-Rat dagegen. Wie die EZB in der Eurokrise vorgehen will und welche Mittel sie jetzt einsetzt
Mario Draghi selbst hatte die Erwartungen hoch geschraubt: Mit seinem Versprechen, die Europäische Zentralbank (EZB) werde „alles tun, was zum Schutz des Euros notwendig ist“, hatte der EZB-Präsident am 26. Juli ein Kursfeuerwerk an den Börsen ausgelöst. Seine Worte wurden als Ankündigung einer Anleihenkauf-Aktion der Währungshüter verstanden. Ob dies der richtige Weg ist, die Schuldenkrise einzudämmen, darüber wird seither heftig gestritten. Gerade aus Deutschland kommen Mahnungen, den Auftrag der Notenbank nicht zu überdehnen. Am gestrigen Donnerstag nun präzisierte Draghi den künftigen Kurs der EZB.
Was hat die Europäische Zentralbank genau beschlossen?
Die EZB wird in der Euro-Schuldenkrise weiter Feuerwehr spielen, allerdings unter klaren Bedingungen.
Gegen die Stimme von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann beschloss der 22-köpfige Rat der Notenbank am Donnerstag ein neues Programm zum Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten unter strikten Auflagen. So müssen die Staaten zuvor ein Anpassungsprogramm mit dem Euro-Rettungsfonds EFSF oder dem Nachfolger ESM vereinbaren, an dem sich möglichst auch der Internationale Währungsfonds (IWF) beteiligen soll. Hält sich ein Land nicht an die dort vereinbarten Reform- und Sparauflagen, will die EZB nicht kaufen oder bereits angekaufte Anleihen wieder abstoßen. Prinzipiell gebe es keine Obergrenze für den Kauf von Anleihen, sagte Draghi am Donnerstag nach der Ratssitzung. Er zeigte sich von dem Programm überzeugt: „Es wird ein sehr wirksames Mittel, um zerstörerische Szenarien zu vermeiden.“
Wie begründete Draghi die Maßnahmen?
Draghi zufolge geht es auch mit dem neuen Programm darum, die „Verzerrungen“ auf den Finanzmärkten zu verhindern und damit die Wirkung der Zinspolitik der Notenbank wieder herzustellen. Die niedrigen Leitzins der EZB – sie bleiben weiter bei 0,75 Prozent – können derzeit vor allem die Kreditvergabe in den Krisenländern nicht beflügeln. „Wir handeln absolut im Rahmen unseres Mandats“, sagte Draghi. Die EZB agiere unabhängig und tue alles um die Preisstabilität zu wahren und den Euro zu halten.
Draghi betonte, dass die EZB das über das neue Anleiheprogramm fließende Geld an anderer Stelle über Gegengeschäfte bei den Banken wieder einsammeln werde. Damit will sie möglichen Inflationsgefahren vorbeugen. Der seit knapp einem Jahr amtierende EZB-Präsident machte aber auch erneut deutlich, dass er von den Regierungen ein deutlich höheres Tempo bei den Reformen und den Sparmaßnahmen erwartet. „Die EZB kann nicht eingreifen, wenn die Politik nicht eingreift.“
Wer profitiert, wie war die Stimmung, wie verhielten sich die deutschen Vertreter Weidmann und Asmussen
Welche Länder könnten von dem Programm profitieren?
Der Italiener Mario Draghi ließ keinen Zweifel am Ernst der Lage und am festen Willen der EZB, die Krise zu bekämpfen, wenn auch die Regierungen mitziehen. Das neue Anleiheprogramm mit der sperrigen Bezeichnung „Outright Monetary Transactions“ zielt in erster Linie auf Spanien und Italien, ohne dass dies Draghi offen aussprach. Die Länder, die bereits gestützt werden – also Griechenland, Portugal und Irland – werden von den Käufen nicht profitieren. Zinsobergrenzen, über denen die EZB kauft, gibt es zumindest offiziell nicht. Gekauft werden sollen ausschließlich Anleihen mit einer Restlaufzeit von ein bis drei Jahren und dies ausschließlich nicht direkt von den Ländern, sondern auf dem Sekundärmarkt. Im Gegenzug zum neuen Programm stellt die EZB den bisherigen, allerdings seit Monaten ruhenden Kauf von Staatsanleihen wieder ein. Papiere für 211 Milliarden Euro hat sie bislang hereingeholt, sie sollen jetzt bis zur Fälligkeit gehalten werden.
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Wie war die Atmosphäre bei der Sitzung des EZB-Rates?
Selten in der Geschichte der EZB war der Medienauflauf im Eurotower so groß wie an diesem Donnerstag. Mehr als ein Dutzend Fernsehkameras, rund 30 Fotografen und etwa 100 Journalisten drängten sich im Presseraum im zweiten Stock der EZB-Zentrale am Willy-Brandt-Platz, als Draghi kurz vor 14.30 Uhr gemeinsam mit Vize-Präsident Vitor Constancio den Saal betrat. Draghi zeigte sich erkennbar beeindruckt, blieb aber trotzdem gelassen und lächelte während seiner Erläuterungen immer wieder. Der Italiener sieht generell keine Missstimmung im EZB-Rat. „Natürlich hat es eine Diskussion gegeben. Die war aber nicht dramatisch. Am Schluss sind wir fast alle zusammen gekommen.“ Er freue sich aber darauf, wenn in der EZB wieder völlige Einstimmigkeit herrsche. Auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker, der an dem Treffen teilnahm, sagte, es habe in der Sitzung keinen Ärger und keine Missstimmung gegeben.
Kurz vor der Pressekonferenz war der Zugang zum Eurotower für rund 20 Minuten gesperrt. In der Küche hatte ein Mitarbeiter ausgerechnet an diesem für die EZB so wichtigen Tag irrtümlich einen Feueralarm ausgelöst. Alle Aufzüge wurden daraufhin gestoppt. Erst nachdem die Feuerwehr die Lage überprüft und Entwarnung gegeben hatte, konnten die Aufzüge wieder in Betrieb genommen werden.
Wie verhielten sich die deutschen Vertreter im EZB-Rat?
Als einziger unter den 22 Mitgliedern des EZB-Rates hält Bundesbank-Präsident Jens Weidmann auch das neue Not-Programm der EZB für den falschen Weg. Er fürchtet eine Verwischung zwischen Fiskal- und Geldpolitik. Weidmann allein stimmte am Donnerstag wie erwartet gegen das neue Programm. Das deutsche Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen dagegen schloss sich der Mehrheit an. Draghi nannte Weidmann zwar nicht beim Namen. „Es gab eine abweichende Meinung. Sie können selbst spekulieren, wer das war.“
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