- „Europa ist kein populistisches Spielzeug"
Mehr Europa ist der Weg, die Krise zu bewältigen und einen Crash zu verhindern, sagt der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Im Interview mit Cicero Online kritisiert er die Abwatschpolitik seiner Unionskollegen Markus Söder und Alexander Dobrindt und spricht von einer „epochalen Situation“ in Europa
Herr Brok, das ist nun vielleicht etwas unkonventionell,
aber ich komme gerade von einem sehr aufgeregten Gespräch mit
Jürgen Vogel. Eigentlich wollten wir über seinen neuen Film
sprechen, dann sind wir aber vollkommen abgeschweift und Herr Vogel
startete einen leidenschaftlichen Monolog über die Unfähigkeit der
Politik. Ich solle Ihnen ausrichten, Sie seien alle
Verbrecher. Und überhaupt wäre ihm die
Chaostheorie am liebsten. Wir sollten doch einfach alles
zusammenbrechen lassen und dann wieder von vorne anfangen. Was
halten Sie davon?
Die Chaostheorie gab es früher alle
20, 30 Jahre, nämlich durch den Krieg. Damals wurde alles zerstört
und das bedeutete ein ungeheures Leid für die einfachen Leute. Seit
gut 60 Jahren haben wir diese Chaostheorie nun vermieden und ich
möchte sie gerne auch weiterhin vermeiden.
Aber wir haben schon so viel Kraft in das europäische
Projekt investiert. Man kommt nicht umhin zu denken, dass hier im
Zuge der Eurokrise zwangsläufig immer mehr und immer neue Probleme
auftauchen. Vielleicht wollen die Bürger gar nicht unbedingt mehr
Europa, sondern weniger Krise? Wäre es also nicht langsam Zeit,
Bilanz zu ziehen und sich einzugestehen, dass wir gescheitert
sind?
Wir sind doch nicht gescheitert. Die letzten 60
Jahre sind eine ungeheure Erfolgsgeschichte! Krisen wird es immer
geben, Europa ist aber der Weg, sie zu bewältigen und den Crash zu
verhindern.
In Bezug auf die Eurokrise.
Bisher haben
wir auch hier den Zusammenbruch vermieden, den es 1929 gegeben hat,
mit einem Heer an Massenarbeitslosen, mit der Zerstörung von
Vermögenswerten und demokratischer Entwicklungen. Das Jahr 1929 hat
uns Hitler beschert und den Faschismus in vielen anderen
europäischen Ländern. Wir sehen heute, wie gefährlich solche Zeiten
für die Demokratie sind. Das sind Augenblicke für Populisten linker
und rechter Spielart. Herr Vogel macht sich keine Gedanken, mit
welchen politischen Partnern man welche Folgen in Kauf nimmt,
gerade für die normalen Bürger, die alles, auch ihre soziale
Sicherheit, verlieren würden.
Wiederholte Enttäuschung schafft ein hohes
Frustpotenzial. Frust, der populistisches Denken fördert. Wie kann
man dem also entgegenwirken?
Nur dadurch, dass die
verantwortlichen Bürger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
versuchen, diese Krise zu lösen, indem sie sich an die Regel
halten. Und indem sie sich solidarisch und mutig zeigen, die
gewaltige Macht des internationalen Finanzsektors zu überwinden.
Der war doch 2008 der Auslöser.
Um einen Weg aus der Eurokrise zu finden, fordern viele
einerseits mehr Demokratie und andererseits mehr Europa. Dagegen
ist eigentlich nichts einzuwenden. Aber impliziert die Forderung
nach mehr Demokratie nicht auch im Umkehrschluss, dass es bisher
undemokratisch zugeht? Vorbei an Parlamenten, Bürgern und
Gerichten?
Nein, das bedeutet es nicht. Alle Entscheidungen, die in Europa
getroffen werden, beispielsweise in der europäischen Gesetzgebung,
werden vom Ministerrat, der aus demokratisch legitimierten
Regierungen besteht, und durch das direkt gewählte Europäische
Parlament beschlossen. Das ist ein Zweikammersystem wie in
Deutschland.
Gerade der italienische Ministerpräsident Mario Monti
hat sich nun aber gerade zweideutig zur parlamentarischen Kontrolle
geäußert. Er meinte, wenn sich Regierungen durch die Entscheidung
ihrer Parlamente binden ließen, ohne einen eigenen
Handlungsspielraum zu bewahren, wäre das Auseinanderbrechen Europas
wahrscheinlicher als eine engere Integration. Ist das nicht ein
Affront gegen die Parlamente?
Nein, so hat er das auch
nicht gesagt. Er hat gesagt, dass im Ministerrat, in dem die
nationalen Regierungen vertreten sind, jede Regierung Spielraum für
Verhandlungen haben muss – sonst gibt es keine Verhandlung und
keinen Kompromiss. Im Bundesrat haben die Landesregierungen ja auch
einen Verhandlungsspielraum, der ihnen nicht von den
Landesparlamenten verweigert wird. Jede Regierung muss sich dabei
ihrer parlamentarischen Mehrheit vergewissern. Die nationalen
Parlamente sind in den Entscheidungsprozess auf EU-Ebene sehr viel
stärker eingebunden als die Landesparlamente gegenüber dem
Bundesrat, aber bestreitet jemand die demokratische Legitimation
Deutschlands?
Warum sind die europäischen Parlamentarier so
unterrepräsentiert in der Diskussion um die Zukunft
Europas?
Wir sind nur in einem Punkt nicht dabei: Bei
den Rettungsschirmen – und das ist richtig so. Hier geht es um das
nationale Haushaltsgeld und das muss von den nationalen Parlamenten
beschlossen werden. Wir können ja nicht über Geld bestimmen, das
nicht unserer Autorität unterliegt. Ansonsten ist das Europäische
Parlament bei allen Fragen der Gesetzgebung, auch in der Krise –
etwa beim Stabilitäts- und Wachstumspakt und all diesen Fragen –
gleichberechtigter Mitgesetzgeber. Wir haben die Regeln für die
fiskalische Solidität der Mitgliedsstaaten verschärft. Wir brauchen
aber eine engere Kooperation zwischen dem Europäischen Parlament
und den nationalen Parlamenten.
Wie sähe denn ein konstanter und systematischer Dialog
zwischen Regierungen und Parlamenten aus?
Jede
nationale Regierung muss ihre Position vor den nationalen
Parlamenten vertreten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem
Lissabon-Urteil hier sehr scharfe Regeln ausgelegt, unter welchen
Bedingungen die Bundesregierung entscheiden darf, hat aber auch
Spielraum gelassen, eben jenen Handlungsspielraum der Regierungen,
den Monti meint. Das Europäische Parlament wiederum prüft die
Kommission ständig. Sie kann Vorschläge einbringen. Aber
europäische Gesetze gibt es nur aufgrund einer Einigung zwischen
dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat, sprich, den
nationalen Regierungen wie in Deutschland bei
zustimmungspflichtigen Gesetzen durch Bundestag und Bundesrat.
Im jetzigen Krisenstadium spielen die Märkte, die EZB
und vielleicht noch die ein oder andere Exekutive die größten
Rollen. Institutionen also, die keine wirklich demokratische
Legitimation besitzen… Quo vadis, Demokratie?
Es war
der ausdrückliche deutsche Wunsch, eine unabhängige Zentralbank zu
haben, die keiner politischen Opportunität unterworfen ist, um die
Währungsstabilität eines funktionierenden monetären System zu
gewährleisten. Der Präsident der EZB muss vier Mal im Jahr im
Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments
Bericht erstatten. Weisungen kann ihm niemand geben. Dobrindt und
Söder zündeln aber an der Unabhängigkeit der EZB.
Sprechen wir noch kurz über die Lage der SPD. Der Chef
der Sozialdemokraten,
Sigmar Gabriel, hat sich für eine gemeinschaftliche Schuldenhaftung
der Euro-Staaten ausgesprochen. Voraussetzung seien strikte
Haushaltskontrollen, sowie eine gemeinsame Steuer- und
Wirtschaftspolitik. Plant die SPD hier einen
Kurswechsel?
Nein. In der Berichterstattung geht auch
immer wieder verloren, dass Gabriel Kontrollen fordert, eine
Fiskalunion, in der klar festgelegt ist, dass sich jeder an die
Regeln halten muss. Und es ist auch eine Bedingung für Solidarität
– gleich der Merkel’schen Politik –, dass jeder seinen Haushalt in
Ordnung bringt, Strukturveränderungen schafft, um
Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren und damit ein Ungleichgewicht
zu beseitigen. Die Bundeskanzlerin hat sich durchgesetzt bei der
Verstärkung der Regeln für fiskalische Solidität. Die Länder
arbeiten auch erfolgreich an der Wiederherstellung ihrer
Wettbewerbsfähigkeit.
Seite 3: Der Ausfall Söders und epochale Zustände
Haben Sie in diesem Zusammenhang auch den gemeinsam
verfassten Essay von Jürgen Habermas, Julian Nida-Rümelin und
Peter Bofinger gelesen, der sich gegen die „Fassadendemokratie“
in Deutschland erhebt? Sie fordern den nächsten großen
Integrationsschritt, um eine politische Union
anzusteuern.
Ja. Ich würde zwar nicht jedes Detail
unterschreiben, aber die grundsätzliche Zielrichtung unterstütze
ich schon. Sie schlagen eine langfristige Lösung vor, die wegen der
Zeitdauer von Vertragsänderungen nicht die aktuelle Krise löst. Was
mich dabei aber natürlich am meisten stört, ist die Diskussion, die
wir in Deutschland geradezu flegelhaft gegenüber anderen Ländern
führen.
Sie spielen auf den Ausfall des bayrischen
Finanzministers, Markus Söder (CSU), an, der Griechenland gerne bis
Jahresende aus der Eurozone werfen möchte.
Nicht nur
Söder. Auch Rösler und Dobrindt. So kann man nicht über andere
Völker reden. Bei aller Kritik, die wir an einzelnen Ländern üben,
müssen wir sehen, dass wir selbst nicht immer sauber gewesen sind.
Wir sind die ersten, die die Regeln gebrochen haben und wir müssen
außerdem anerkennen, dass diese Länder, Italien, Spanien und auch
Griechenland, inzwischen ungeheure Leistungen unternehmen. Völker
darf man nicht abwatschen und in Kollektivschuld stellen.
Die Süddeutschen Zeitung schrieb, Geistesarbeiter wie
Philosophen und Journalisten müssten das praktische Leben nicht
wirklich fürchten, weil sie sich ja nur theoretisch damit
befassten. In der Politik gehe es etwas
praktischer zu. Gibt es denn Grund sich zu fürchten?
Wenn es zum Crash kommt – und nichts ist teurer als ein Crash –,
dann müssen wir feststellen, dass wir 60 Jahre weggeworfen haben.
Und dann trifft es nicht nur Griechenland. In einem weltweiten
Crash bleibt auch Deutschland nicht verschont. Das wäre mit
Millionen von Arbeitslosen verbunden, mit großer sozialer Not, mit
der Zerstörung von Werten und der Gefährdung der Demokratie. Wir
stecken in einer epochalen Situation und wir müssen das wahrnehmen.
Deshalb habe ich große Sorgen, dass wir nicht mit der notwendigen
Ernsthaftigkeit dabei sind und manche diese Lage als
parteipolitisches und populistisches Spielzeug benutzen, was
absolut nicht angemessen ist. Es geht letztlich um das
wirtschaftliche, politische und kulturelle Überleben dieses
Kontinents und damit auch Deutschlands. Die Kritiker scheinen sich
keine Gedanken darüber zu machen, wer und was in das Vakuum stößt,
das bei einem Scheitern Griechenlands, aber auch Italiens und
Spaniens entstehen würde. Will dieses stolze Europa an der eigenen
Handlungsunfähigkeit in einer Finanz- und daraus zum Teil
resultierenden Staatsschuldenkrise untergehen? Auch durch
Unfähigkeit zur Solidarität?
Herr Brok, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
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