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(picture alliance) „Everybody wants to have a choice, but nobody likes to choose"

Ufa-Chef Wolf Bauer - „Deutsches Fernsehen hat Weltklasse“

Der Ufa-Chef Wolf Bauer erklärt, warum das deutsche Fernsehen doch gut ist, Youtube eigene Inhalte braucht und internetfähige Fernseher ganz neue Geschäftsmodelle ermöglichen

Herr Bauer, wie muss ich mir einen regulären Fernsehabend bei Ihnen zu Hause vorstellen? Haben Sie vorher im Fernsehprogramm herausgesucht, was Sie gucken wollen?
Ich bin schon aus beruflichen Gründen ein Fernsehfan. Da ich abends oft nicht dazu komme, sehe ich meist zeitversetzt fern. Das habe ich mir dann vorher digital aufgezeichnet oder finde es in den Mediatheken der Sender. Die Programmvielfalt über Kabel, Pay-TV und das Internet ist inzwischen fast unüberschaubar. Ins Wochenende gehe ich häufig mit einem großen Packen DVDs. Teil meiner Aufgabe ist eben, dass ich alle Programme kennen muss. Das ist zeitaufwendig, aber ich schaue immer noch mit großem Vergnügen, auch die Angebote von neuen Programmaggregatoren wie Youtube, Netflix oder Hulu.

Aber hat das Fernsehen in seiner heutigen Form überhaupt noch eine Zukunft?
Alles, was ich gerade beschrieben habe, ist doch das Fernsehen in seiner heutigen Form, nämlich Bewegtbilder, die, über welche Plattformen auch immer, zum Konsumenten gelangen.

Und die großen Fernsehsender mit ihren fixen Programmschemata werden trotzdem überleben?
Wenn sie sich diese neue Fernsehdefinition zu eigen machen, haben sie die allerbesten Chancen. Das Beispiel USA zeigt, dass das funktioniert. Dort nutzen die großen, klassischen Broadcaster wie NBC, CBS und ABC konsequent alle Kanäle und Plattformen und haben ihre Vormachtstellung bisher verteidigt, weil sie über attraktive Inhalte und schlagkräftige Marketingmaschinen verfügen. Sie sind mir bisweilen sogar noch etwas zu mächtig. Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass viele Zuschauer eine Vorauswahl haben wollen, also ein Programmpaket, das unverlangt zu ihnen nach Hause kommt. Es gilt immer noch der schöne Spruch: Everybody wants to have a choice, but nobody likes to choose.

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Aber wer soll das bezahlen, wenn das Publikum des traditionellen Fernsehens immer älter und dadurch für Werbetreiber uninteressant wird?
Das stimmt nicht. Die Gesamtnutzung TV ist 2011 noch mal gestiegen, auch bei den jüngeren Zielgruppen. Die Werbeindustrie vertraut auch weiterhin den großen Sendern, weil sie die einzigen sind, die noch ein Millionenpublikum erreichen. Die Werbewirksamkeit in sozialen Netzwerken wie Facebook wurde dagegen gerade erst wieder infrage gestellt, nach der Entscheidung von General Motors, dort überhaupt keine Werbung mehr zu schalten. Untersuchungen zeigen, dass 80 Prozent der Facebook-Nutzer die dort platzierte Werbung überhaupt nicht wahrnehmen.

Was bleibt denn dann noch für die Youtubes, Googles oder Telekoms?
Im Moment sind sie meist noch Ergänzungsangebote. Wer aber ein großes Publikum erreichen will, muss kollektive Erlebnisse schaffen wie exklusive, selbst produzierte Filme und Serien, Liveübertragungen von Unterhaltungsshows oder Sportereignissen, die der Zuschauer in Echtzeit erleben will.

Können die neuen Anbieter das nicht?
Anbieter wie Hulu und Netflix haben inzwischen realisiert, dass sie eigene attraktive Programme zeigen müssen, um die Zuschauer zu binden. Daher geben sie originäre Serien in Auftrag oder beteiligen sich an der Finanzierung größerer Projekte. Auch Youtube hat erkannt, dass die von Usern hochgeladenen „funniest home videos“ kein Treiber des Geschäftsmodells sind. Deswegen starten sie eigene Channels mit professionell produzierten Inhalten. Wir als Produzenten freuen uns natürlich über jeden dieser neuen Player im Markt.

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Also bekommen Sie ein paar neue Kunden und sonst bleibt alles beim Alten?
Nein, die Branche befindet sich mitten in einem Paradigmenwechsel, weil gerade die jüngeren Zuschauer ganz anders fernsehen. 40 Prozent der 14- bis 24-Jährigen nutzen beim Fernsehen gleichzeitig einen Second Screen, also ein zweites Gerät, sei es ein Laptop, ein Smartphone oder einen internetfähigen Fernseher. Darüber kommunizieren sie mit Freunden live über das aktuelle Programm. Das bietet für uns und die Sender wunderbare Möglichkeiten der Programmerweiterung. Wer „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ sieht, kann sich dann über eine Second-Screen-App etwa Tagebücher der Protagonisten anschauen, die zukünftige Handlungsstränge andeuten. Auch neue Geschäftsmodelle sind auf diesem Wege denkbar: Wem das Hemd des Hauptdarstellers gefällt, der kann es direkt über die App bestellen.

Führt das nicht zwangsläufig zu einer weiteren Verflachung des Niveaus?
Das muss uns eher aus gesellschaftlicher Sicht Sorgen machen, weil es zeigt, dass die Jüngeren, sogenannten „digital natives“, durch ständiges Multitasking ihre Konzentrationsfähigkeit verlieren. Mangelnde Aufnahmebereitschaft lässt sich nur mit besonders hoher Qualität bekämpfen. Unsere Sendungen müssen noch mehr als zuvor eine Sogwirkung entfalten. Denken Sie nur an die fantastischen Serien der amerikanischen Pay-TV‑Sender wie Mad Men, The Sopranos, The Wire, die zeigen, dass sich die Qualität des Fernsehens immer weiter verbessert.

Und wie steht das deutsche Fernsehen im internationalen Vergleich da?
Das deutsche Fernsehangebot gehört zu den besten in der Welt. Wir haben hier viele gut gemachte Fernsehfilme und Unterhaltungsformate. Die große Vielfalt verdanken wir dabei vor allem dem dualen System von starken öffentlich-rechtlichen Sendern und kommerziell ausgerichteten Privatsendern.

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Aber die Qualität der angesprochenen US-Serien erreichen wir nicht.
Aber wie viele erfolgreiche Pay-TV-Sender haben wir denn in Deutschland?

ARD, ZDF …
Nein, das ist Unsinn, das können Sie so nicht sagen. In den USA haben Pay-TV-Sender wie HBO, Showtime oder AMC irgendwann begriffen, dass sie ihre Zuschauer nur dann dauerhaft an sich binden können, wenn sie unverwechselbar sind. Das schafft man nicht, wenn man nur auf die Erstausstrahlung von Kinofilmen und auf Sport setzt. Dafür brauchen sie originäre Produktionen höchster Qualität. Die absorbieren damit doch inzwischen das gesamte Kreativpotenzial Hollywoods. Regisseure wie Martin Scorsese drehen lieber eine HBO-Serie als einen Hollywood-Film, weil sie dort viel freier arbeiten können. Ich traue Sky in Deutschland zu, einen ähnlichen Weg zu gehen. Wir entwickeln gerade neue Programmideen dafür. An talentierten Autoren, Regisseuren und Produzenten mangelt es hier jedenfalls nicht.

Aber wenn die qualitativ hochwertigen Programme von Pay-TV-Sendern kommen sollen, wie lassen sich dann noch die Milliardengebühren rechtfertigen, mit denen ARD und ZDF derzeit ihr mutloses Programm zusammenschustern?
Ach, das ist doch eine Legende. ARD und ZDF sind wertvolle Programmanbieter, die immer noch die Hauptauftraggeber der deutschen Produktionswirtschaft sind. Ohne sie gäbe es diese Kreativindustrie hier gar nicht. Unabhängig davon muss sich eine demokratische Gesellschaft ein öffentlich-rechtliches Rundfunk- und Fernsehsystem leisten, um die Vielfalt im Bereich Information, Bildung und Unterhaltung zu sichern. Das ist wichtig für einen gemeinsamen Diskurs – als Kitt einer modernen demokratischen Gesellschaft.

Das Gespräch führte Til Knipper.

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