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(Flickr, James Good) Das Internet schickt den Fernseher in die Wüste

Programmstörung Internet - Das Ende der TV-Ära

Internetfähige Fernseher erobern die Wohnzimmer, die Tagesschau läuft auf dem Handy, Filme werden auf dem iPad geguckt – die Medienwelt steckt mitten in einer Revolution, die unsere Öffentlichkeit strukturell verändert

ARD, ZDF, RTL, SAT.1 hier – das World Wide Web dort: In wenigen Monaten ist das Vergangenheit. Denn derzeit werden auf der ganzen Welt die letzten Zäune zwischen dem herkömmlichen Programmfernsehen und dem Internet eingerissen. Dabei verabschieden wir uns immer mehr vom linearen Fernsehprogramm. Jeder ist sein eigener Programmgestalter. Zwei Milliarden Menschen nutzen täglich Youtube, 35 Stunden an Videos werden pro Minute bei Googles Tochterunternehmen hochgeladen.

Zwar wird der Fernseher nicht aus dem Wohnzimmer verschwinden, aber er wird in Zukunft selbst online gehen können – und nur noch eines von mehreren Abspielgeräten sein. Mausklick statt Fernbedienung – schon heute laden wir uns immer häufiger Filme und ganze Serien aus dem Netz. Je jünger die Nutzer, desto häufiger. Über internetfähige Smart-TVs wird bald gegoogelt und geskyped, auch Zeitungen und E-Mails lassen sich so lesen, nebenbei auf einem Split-Screen, während auf dem Hauptbild Fußball läuft.

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Die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten, das Programmfernsehen insgesamt, geraten dabei in den Sog einer Entwicklung, die Zeitungen und die Musikbranche schon seit einigen Jahren erleben: die Implosion des klassischen Medienmarkts – einhergehend mit einem rapiden Verlust lang tradierter Bedeutung. Das Zusammenwachsen von Laptop, Internet, Smartphone und Fernsehen steckt noch in den Anfängen. Aber es zeigt schon Wirkung: Fernsehen und Zeitungen lösen sich mehr und mehr vom Fernseher und dem Papier. 30 Millionen Amerikaner telefonieren nicht nur mit ihrem Smartphone, sie schauen darauf auch fern.

Was in Zukunft bleibt, sind starke Marken wie hierzulande Tagesschau, Tatort oder auch Spiegel Online. Schon werden erste Serien direkt fürs Netz produziert. Das verändert die Dramaturgie des Erzählens. Zurzeit steckt die Medienwelt in einer Revolution, so radikal wie die Entwicklung der Druckerpresse von Johannes Gutenberg und die Erfindung des Films durch die Brüder Lumière zusammengenommen. Das Katz-und-Maus-Spiel, das sich dabei Künstler, Journalisten, Produzenten, Verlage, Fernsehanstalten und ihre Verbände mit Google, Facebook und Co, aber auch mit den Nutzern in der digitalen Welt liefern, ist noch der sichtbarste Ausdruck dieser Revolution. Verbissen streiten die Verlage mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten darüber, ob und wie lange die ihre Archive umsonst ins Netz stellen und inwieweit sie dort auch Nachrichtenartikel kostenlos verbreiten dürfen.

Doch der Strukturwandel von Öffentlichkeit ist viel weitreichender, und seine Folgen sind noch unabsehbar.

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Rückblick: 1967. Irgendwo in der westdeutschen Provinz versammeln sich die Kinder am Sonntagnachmittag in der Dorfkneipe: Starren Blicks, manchmal mit einer Sinalco-Brause vor der Nase, sitzen sie andächtig an kleinen Tischchen und verrenken sich den Hals. Fast unter der ­Zimmerdecke der Gaststube steht auf einer alten Glasvitrine, einem heiligen Gral gleich, der Flimmerkasten. Das Programm ist erst in jenem Sommer farbig geworden, und die Dorfjugend schaut Fury, Flipper und Lassie.

Die Älteren dürfen auch noch Ben Cartwright und seinen drei Söhnen in „Bonanza“ zuschauen, wie sie für Recht und Ordnung sorgen. Vorher müssen aber die Kleinen das Gasthaus verlassen, da kennt der Wirt keine Gnade. Schließlich war die Serie ein paar Jahre zuvor noch wegen besonderer Brutalität von der ARD nach nur einer Staffel abgesetzt worden.

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In der Nicht-TV-Wirklichkeit der 60er Jahre reicht die Welt gerade mal bis zur nächsten Kreisstadt. Che Guevaras Tod im bolivianischen Dschungel, Martin Luther Kings erste öffentliche Rede, der Tod von Benno Ohnesorg in Berlin, diese Welt der Tagesschau erreicht die Dorfjugend damals noch nicht. Erst die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko bringt die Fernseher auch in die Wohnzimmer der Provinz.

Die Bundesrepublik der Vor-Willy-Brandt-Zeit hatte noch viele Häutungen vor sich. Es gehört inzwischen zu den Gemeinplätzen deutscher Geschichtsschreibung, dass die Revolte der 68er Studentenbewegung die Bundesrepublik erst zu dem zivilen Land geformt hat, das es heute ist. Man könnte aber auch fragen, was Kommune 1 oder Vietnam-Kongress, Woodstock oder Beatclub ohne die Spiegelung im Fernsehen in der Gesellschaft tatsächlich bewirkt hätten.

Heute, knapp ein halbes Jahrhundert später, schauen die 14-Jährigen kein herkömmliches „Programm“-Fernsehen mehr. Wenn ihnen eine Serie gefällt, dann wollen sie möglichst alle Folgen und Staffeln sofort sehen. Amerikanische Fernsehserien streamen sie auf ihren Laptops, lange bevor die Staffeln von deutschen TV-Kanälen abgespielt werden, gerne auch im Original, wodurch sie nebenbei auch ihr Englisch verbessern. Die Medienkinder von heute wissen genau, wie sie Hindernisse beim Internetsehen umgehen können, und sind Experten für die Lücken des deutschen Urheberrechts. Auf den Schulhöfen tauschen sie die neuesten Web-Adressen, über die sich Serien, aktuelle Kinofilme und Musik streamen lassen. Filesharing ist für sie selbstverständliche Normalität – natürlich umsonst. Wenn sie doch mal unerlaubte Kosten verursachen, akzeptieren sie murrend das elterliche Internetverbot auf Zeit.

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Multitasking ist für sie beim Medienkonsum Standard. Während sie fernsehen, spielen sie gleichzeitig auf ihrem iPod Touchscreen ein Computerspiel oder ätzen mit Freunden über die letzte Lateinarbeit auf Facebook.
Selbstverständlich empfinden diese Jugendlichen Acta, den vorerst gescheiterten Versuch des Gesetzgebers, das Urheberrecht an die digitale Welt anzupassen, als Einschränkung ihrer Freiheit. Und Freiheit heißt für sie vor allem: alles sofort und alles kostenlos. Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 2288 Spielfilme illegal ins Netz gestellt, darunter elf vor dem offiziellen Kinostart. Die vor einiger Zeit dichtgemachte Filesharing-Plattform Kino.‌to, deren Gründer gerade zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, soll zum Schluss auf täglich 400 000 Besucher gekommen sein.

Dass pubertierende Jugendliche die Grundregeln von Markt und Öffentlichkeit nicht beherrschen und virtuelles, immaterielles Eigentum, das sich im Netz als gestreamter Film oder illegal heruntergeladene Musik jeglicher Gegenständlichkeit entzieht, nicht achten, ist verständlich. Doch auch in der Welt der Erwachsenen kam es lange nur selten zur offenen Attacke gegen die neue Copy-and-Paste-Kultur im Netz. Man schämte sich geradezu, für Urheberrechtsschutz im Internet einzutreten – das Image, Freiheitsrechte einzuschränken, wollte sich gerade in der Politik keiner anheften lassen.

Da bedurfte es schon eines fünf Minuten langen Wutausbruchs von Sven Regener im Bayerischen Rundfunk vor ein paar Wochen. Der Autor und Sänger der Band Element of Crime schimpfte über die Piraten und die ganze „Umsonst-Kultur“ des Internets: „Das Rumgetrampel darauf, dass wir uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt: ‚Euer Kram ist nichts wert. Wir wollen das umsonst haben.‘ Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“

Er formulierte damit ein Unbehagen, das auch andere Urheber umtreibt, wie die 51 Tatort-Autoren, die sich in einem offenen Brief über die „demagogische Suggestion“ beschwerten, es gebe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr, wenn das Urheberrecht, das Recht auf geistiges Eigentum, im digitalen Zeitalter nicht geschleift würde.

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Denn diese Revolution in der Mediengesellschaft hat einen Haken: Sie raubt derzeit vielen Kreativen, Autoren und Journalisten, Musikern und zunehmend auch den Filmschaffenden die Existenzgrundlage. Zwar werden ihre Arbeiten schneller und weiter verbreitet, aber mit ihrer Bezahlung hapert es. Die herkömmlichen Medien verharren in einer Schockstarre, sind ratlos, wie sie ihr Geschäft ins digitale Zeitalter hinüberretten sollen, und verwalten sich und ihre knappen Ressourcen mit immer weniger eigenem Personal. Es drängt sich der Eindruck auf: Je einfacher und billiger die Möglichkeiten geworden sind, alle Medienplattformen mit Inhalten zu bedienen, desto träger und unbeweglicher reagieren die alten Player, ob nun Verlage oder Rundfunkanstalten oder Filmproduzenten. Das große Geschäft machen vorerst Apple, Google und Facebook.

Welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Öffentlichkeit und auf die Gesellschaft insgesamt haben, ahnen wir bisher nur.
Die Arbeitsteilung jedenfalls scheint erst einmal klar: Die einen, die Schriftsteller, die Autoren, die Musiker, die Journalisten und Filmemacher, die Kreativen also, die Geschichtenerzähler, generieren zwar weiter die Inhalte, aber sie verdienen damit immer weniger Geld. Gleichzeitig gibt es immer mehr Plattformen, über die sie ihre Inhalte veröffentlichen können.

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Die anderen, die „Nerds“, füllen mit den Produkten der Kreativen das Netz und verdienen dank Werbung damit das große Geld. Beruhigend an dieser Entwicklung ist nur eines: Es gibt eine natürliche Grenze. Spätestens dann, wenn jeder Inhalt aus der analogen Welt vom Internet aufgesaugt und verlinkt worden ist, sind die anderen wieder auf die Kreativen angewiesen.

Denn bisher lebt die digitale Medienwelt im Wesentlichen von der Kreativität der analogen Welt. Wenn das Internet nur aus der verstümmelten Sprache von Facebook oder anderen sozialen Netzwerken und aus selbst gebastelten Youtube-Schnipseln bestehen würde, dann hätte es nicht einmal den Charme des Nachmittagsprogramms von RTL 2. Doch wer heute Fernsehen macht und nicht erkennt, dass das neue Medium Internet notwendigerweise das Programmfernsehen verändern wird, hat schon verloren.'

Der Gründer des Onlinekulturmagazins „Perlentaucher“, Thierry Chervel, findet es merkwürdig, dass deutsche Fernseh- und Rundfunkanstalten, aber auch die Verlage das Internet eigentlich nur als Abspielstation ihres schon vorher vorhandenen Programms nutzen. Auch wundert ihn, dass die großen Absahner im Netz, Facebook, Google und Co, nicht im Zentrum der öffentlichen Kritik stehen.

Wenn Netzinhalte zukünftig genauso selbstverständlich wie ARD und ZDF über den häuslichen Bildschirm flimmern, allzeit abrufbereit, wird sich auch schnell die Systemfrage stellen: Warum werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angesichts der technologischen Revolution noch weiter mit acht Milliarden Euro jährlich subventioniert? Es fällt zunehmend schwer zu begründen, warum jede Sendeanstalt der ARD noch ihr eigenes Drittes Programm haben muss. Lokale Fenster kann es auch in einem einzigen überregionalen Dritten Programm geben. Thierry Chervel geht noch weiter. Er schlägt vor, auch im Netz Programme fürs Dritte zu entwickeln und mit öffentlichen Mitteln  finanzieren zu lassen.

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In diesem Zusammenhang müsste man dann aber auch diskutieren, ob ein öffentlich-rechtlicher Informationsauftrag heute anders organisiert werden sollte als zu den Zeiten, als Sendefrequenzen rar und ihre Verteilung hochpolitisch waren, weil es die Internetwelt mit all ihren digitalen Techniken und Verbreitungsmöglichkeiten noch nicht gab. Programme als Abspielstationen für immer dieselben Kino- und TV‑Produktionen, zeitversetzt in Endlosschleifen, dann auch noch in den Dritten Programmen zweit- oder drittverwertet, sind heute überflüssig.

Technisch ist es schon möglich, alle Fernsehprogramme, die in den vergangenen 50 Jahren hergestellt wurden, online zu stellen, jederzeit abrufbar, für jeden. Für Kinofilme gilt das auch. Wiederholungen dürfte es angesichts dieser Entwicklung im Fernsehen eigentlich gar nicht mehr geben. Bei all diesen Planspielen bleibt immer noch die Frage der Vergütung ungeklärt: Wie soll sie erfolgen, pauschal oder abrufbezogen, als Flatrate oder pro Klick?

Ufa-Chef Wolfgang Bauer gibt sich diesbezüglich demonstrativ gelassen und zitiert eine alte Italo-Western-Weisheit: „Irgendeiner zahlt immer.“ Werbetreibende, Konsumenten durch Abos oder Pay per view führt er als Beispiele an. Die internationale Entwicklung scheint ihm recht zu geben. In Großbritannien benutzen 39 Prozent der Bevölkerung den BBC I-Player, das kostenpflichtige Video-on-demand-Portal der BBC. Dass die Google-Tochter Youtube von der Ufa Programme produzieren lasse, zeige doch auch, dass der Internetkonzern diesbezüglich den Wert von urheberrechtlich geschützten Programmen erkenne, sagt Bauer.

Auch die Apologeten der „Alles ist umsonst“-Kultur lassen Bauer eher kalt: „Die Facebooks dieser Welt, die ihr Geld mit privaten Nutzerdaten verdienen, sind natürlich gegen die Vergütung urheberrechtlich geschützter Inhalte, weil es ihr Geschäftsmodell stört“, sagt Bauer. Wenn die Filesharer aber merkten, dass sie für ihre Filme mit dem Verlust ihrer privaten Daten zahlen, höre das auch auf, meint er. Aber was ist, wenn einer Jugend, die in sozialen Netzwerken ihr Innerstes nach außen kehrt, der Verlust der Privatheit egal ist?

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Die digitale Welt verändert die Öffentlichkeit insgesamt und damit auch eine der wichtigen Voraussetzungen für eine funktionierende demokratische Gesellschaft: die von Information und Teilhabe. Gilt unter den neuen Bedingungen eigentlich noch der hehre Grundsatz der Pressefreiheit, dass Vielfalt und Konkurrenz die Qualität sichern? Bringt also die Vielfalt des Internets mehr Qualität in die Medien? Oder verkommt Öffentlichkeit durchs Netz zu immer folgenärmerem großen Palaver? In Deutschland kann man das nirgendwo so gut beobachten wie in Berlin.

In der Hauptstadt verschränken sich digitale und analoge Medienwelt schon länger aufs Engste. Traditionelle Medien wie die Zeitungen und Stadtmagazine haben seit dem Mauerfall einen beispiellosen Auflagenverlust erlitten. Das Regionalprogramm des rbb, der örtlichen öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalt, hat im Reigen der Dritten Programme bei den Einschaltquoten die rote Laterne. Das wäre gar nicht so schlimm, wenn wenigstens ein regionales Programm gemacht würde, das den öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag ins Internetzeitalter transformiert.

Aber die allseits beschworenen Kreativen der Stadt sucht man vergebens im regionalen Fernsehprogramm. Das rbb-Programm bleibt erschreckend bieder. Mutige Projekte wie die 24-Stunden-Berlin-Reportage, für die 2008 das Leben der Stadt einen ganzen Tag lang gefilmt wurde, sind rare Ausnahmen.

Die digitale Stadt blüht trotzdem: 1,3 Millionen Berliner gehören zur aktiven Facebook-Gemeinde. Keine Stadt in Deutschland ist so vernetzt wie die Hauptstadt. Google liefert über eine Milliarde Einträge zu Berlin. Fast 350 Millionen davon führen zu Berlin-Blogs. Aber welche Rolle spielt dieses digitale Berlin in der realen Stadt? Bildet sich dadurch angesichts der schwindenden Bedeutung der traditionellen Medien eine neue Öffentlichkeit heraus? Die Themen der „digitalen Stadtöffentlichkeit“ treffen meist nicht den Kern des Politischen. Von der Flughafenpleite etwa wurde sie genauso überrascht wie alle anderen.

Stattdessen ist eine nervöse, fast hysterische Öffentlichkeit entstanden. Ein paar wenige reichen aus, um die gesamte Stadt und die Feuilletons im ganzen Land in Erregung zu versetzen. Als beispielsweise auf einer Brache an der Spree mitten in Kreuzberg das BMW-Guggenheim-Lab für zwei Monate ein besseres Zelt aufbauen wollte, um darin über die Zukunft der Stadt zu diskutieren, haben sich etwa zwei Dutzend Leute über das Netz dazu verabredet, dieses Projekt in Kreuzberg – möglicherweise mit Gewalt – zu verhindern.

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Sofort sprach der Innensenator von „linken Chaoten“, die der Stadt schaden – und alle Medien plapperten es tagelang nach. Bis in die Hauptnachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten schaffte es die Geschichte. Die Netzinitiative einiger weniger hatte Folgen in der politischen Wirklichkeit: Die Veranstalter haben ihr Zelt jetzt in Prenzlauer Berg aufgeschlagen, in der Hoffnung, damit der Gewalt zu entgehen.

Ist das funktionierende Öffentlichkeit? Niemand hat recherchiert, wer – und wie viele – wirklich stören wollten. Es ist ein Beispiel, das zeigt, wie die Netzöffentlichkeit die herkömmlichen Medien bis hin zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen verändert. Es ist ein Beispiel dafür, wie in dieser neuen digitalen Welt Maßstäbe und Bedeutungen ins Schwimmen geraten, aber auch wie „Vielfalt“ nicht automatisch Qualität sichert.

Demokratie ist mehr als Mehrheitswille und Trendsetting, als Basisdemokratie plus Internet. Sie lebt von der Spannung zwischen Zivilgesellschaft und politisch Handelnden. Und sie braucht eine gesellschaftliche Öffentlichkeit, in der Interessengegensätze in der Gesellschaft dargestellt und politische Handlungsalternativen beschrieben werden.

Welchen Beitrag dazu die neue digitale Medienwelt leisten kann, ist völlig offen. Journalisten und Filmemacher, Zeitungen und jetzt auch das Programmfernsehen – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat organisiert – brauchen neue Geschäftsmodelle und Legitimationen, wenn sie überleben wollen. Vielleicht alle bald nur noch im Netz.

 

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