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(Picture Alliance) Transparenz Fehlanzeige: Benzinpreise steigen in Deutschland mangels Wettbewerb immer weiter

Raffiniertes Preissystem - Benzin-Kartell ohne Absprache

Alle Jahre wieder steigen in der Urlaubszeit die Benzinpreise. Automobilclubs und Verbraucherschützer prangern die Gier von Aral, Esso und Co. an. Die gescholtenen Konzerne hingegen geben der Politik die Schuld. Ein Brancheninsider erklärt das Preissystem der Mineralölkonzerne

Der grauhaarige Mann schaut durch ein Fenster neben der Kasse dem Feierabendverkehr zu, der träge an seiner Tankstelle vorbeifließt. Sein Blick fällt auf die Preisanzeige draußen. „Die Zentrale hat die Preise immer noch nicht angepasst“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Er wirkt dabei beinahe überrascht. Der Mann ist Pächter einer Tankstelle in Hamburg, die einem der fünf großen Mineralölkonzerne in Deutschland gehört. Vor einer Stunde hat er die Preise der Konkurrenten in der Umgebung seiner Tankstelle an seine Konzernzentrale durchgegeben.

Dort werden die Daten von einer Abteilung gesammelt und Benzinpreise für alle Tankstellen des Mineralölkonzerns in Deutschland festgelegt. „Das ist alles von oben gesteuert“, sagt der Tankstellenpächter. „Was Benzin und Diesel an meiner Zapfsäule kosten, entscheide nicht ich.“

Was der Tankstellenpächter aus Hamburg beschreibt, funktioniert genauso in München, Köln, Berlin und Leipzig. Die Preise an den Tankstellen von Aral, Shell, Esso, Total und Jet steigen und fallen nach einem festen System. Preissprünge von bis zu 15 Cent innerhalb weniger Stunden wirken wie abgesprochen. Vor allem vor Feiertagen und Schulferien steigt der Preis für den Liter Benzin häufig kräftig an – der Ärger der in den Sommerurlaub fahrenden Autofahrer scheint auch dieses Jahr unvermeidlich.

Genauso unvermeidlich wie die ebenfalls jährlich stattfindende Diskussion, was gegen den saisonalen Anstieg der Kraftstoffpreise getan werden muss. Die Rollen und Argumente sind dabei fest verteilt: Die Politik klagt über die mangelnde Markttransparenz und den fehlenden Wettbewerb in der deutschen Mineralölwirtschaft. Automobilclubs wie der ADAC und Verbraucherschützer prangern die Gier von Aral, Shell, Esso und Co an. Und die gescholtenen Konzerne geben über ihre Interessenverbände der Politik die Schuld am Preisanstieg – wegen der hohen Steuern auf Benzin.

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Zuletzt diskutierte die Bundesrepublik vor Ostern über die Kraftstoffpreise, als ein Liter Benzin mehr als 1,71 Euro kostete. Boulevardzeitungen und Talkshows machten die Preistreiberei der Ölmultis zum Thema. Minister aus Bund und Ländern versprachen, für eine Preisbremse bei den Kraftstoffen sorgen zu wollen.

Bei Worten ist es bisher geblieben – wie immer, wenn der Kraftstoffmarkt in Deutschland reguliert werden sollte. Der Benzinpreis beschäftigt die deutsche Politik seit Jahrzehnten. Als der Preis pro Liter Benzin in den siebziger Jahren über eine D‑Mark stieg, wurden bereits die Klagen über die zu große Macht von Aral, Shell und den anderen Markenkonzernen laut. Passiert ist seitdem wenig, der Preis stieg weiter.

Eines ist dieses Jahr neu: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat im Benzinpreis ein Thema entdeckt, mit dem er beim Wähler punkten will. „Den Ärger der Autofahrerinnen und Autofahrer über das Auf und Ab der Benzinpreise kann ich sehr gut nachvollziehen. Es ist für sie überhaupt nicht mehr ersichtlich, wie die Preise zustande kommen“, sagte Rösler in Berlin. Er kündigte nach Ostern an, die Mineralölkonzerne unter strenge Aufsicht stellen zu wollen.

Seite 2: Rösler entschied sich dann aber für eine Kompromisslösung, die keinem wirklich nützt...

Dazu soll eine Markttransparenzstelle geschaffen werden, die die Ein- und Verkaufspreise für Benzin und Diesel erhebt und auswertet. Die Kartellbehörden könnten so Anhaltspunkte für etwaige Verstöße finden und „missbräuchliches Verhalten der großen Mineralölkonzerne leichter aufdecken und verfolgen“, behauptet Rösler. Sein Gesetzentwurf wurde im Mai vom Kabinett beschlossen.

Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen. Es soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Transparenz und der Wettbewerb würden damit erhöht, verspricht Rösler. Mit dieser Meinung steht der Bundeswirtschaftsminister aber ziemlich alleine da.

Die Ministerpräsidenten verschiedener Bundesländer hatten stattdessen von Rösler staatliche Eingriffe in den Kraftstoffmarkt gefordert. Von einer Preisregulierung durch Behörden wollte Rösler jedoch nichts wissen, sie verstößt gegen liberale Grundsätze und käme in der FDP nicht gut an.

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Rösler entschied sich für eine Kompromisslösung, die niemandem wehtut, aber auch keinem wirklich nützt. Brancheninsider und das Bundeskartellamt bezweifeln, dass die Verbraucher von Röslers Initiative profitieren.

Das System der Kraftstoffpreisgestaltung habe sich über Jahre bewährt, sagt ein Mitarbeiter eines großen Mineralölkonzerns. „Es gibt keine schriftliche Abmachung zwischen den Unternehmen. Das System ist über Jahre gewachsen, es funktioniert. Warum sollte das jemand ändern? Die großen Konzerne Aral, Shell, Esso, Jet und Total bestimmen die Preise. Keiner redet darüber.“

Der Mitarbeiter bricht das Schweigen und damit auch eine eherne Branchenregel. Sein Name, Alter oder Arbeitgeber dürfen nicht genannt werden, um ihn nicht zu enttarnen. Er beschreibt das System der Preisgestaltung an den deutschen Tankstellen.

Die großen fünf Mineralölkonzerne in Deutschland unterhielten Abteilungen, die das sogenannte „Pricing“ betreiben. Dort arbeiten jeweils sieben oder acht Mitarbeiter, bei denen die Informationen über die Preise der Konkurrenz zusammenlaufen. Mehrfach am Tag melden die Pächter der Tankstellen per SMS, E-Mail oder Telefon, was die anderen Mineralölkonzerne für einen Liter Kraftstoff berechnen.

Für verschiedene Großregionen werde jeweils die Wettbewerbslage analysiert und per Computer ein Durchschnittswert ermittelt. Per Tastendruck ändert die Zentrale dann die regionalen Preise auf den Anzeigentafeln der Tankstellen und den Zapfsäulen.

Seite 3:  Aber solange die Großen sich an das System halten, hat der Verbraucher keine Chance...

Seit Jahren hat keiner der großen Mineralölkonzerne gegen das Pricing-Modell verstoßen. Keiner der Anbieter habe Interesse daran, dauerhaft mit Dumping­preisen die Konkurrenten auszustechen, sagt der Insider. Einen echten Wettbewerb gibt es nicht, auch weil die Mineralölkonzerne gemeinsam Raffinerien betreiben und sich untereinander Rohöl und Benzin verkaufen. Solange die Großen sich an das System halten, hat der Verbraucher keine echte Chance, günstiger an Benzin zu kommen.

Direkte Absprachen treffen die Anbieter dabei nicht – auch damit das Bundeskartellamt keine Beweise für etwaige Verstöße bekomme. Drei Jahre lang haben die staatlichen Wettbewerbshüter die deutschen Tankstellen überwacht, dokumentiert, wie die Benzinpreise stiegen und fielen, das Angebot der Konkurrenten verglichen und doch keinen Beweis für Gesetzesverstöße gefunden. Sie konnten lediglich feststellen, dass die großen fünf ihre Preise stets nach dem gleichen Muster erhöhen und senken.

„Das läuft wie in einer langjährigen Ehe, da können die Partner sich auch ohne Absprachen darauf verlassen, dass einer am nächsten Morgen das Frühstück macht. Fast immer erhöhen Aral und Shell als Erste die Preise. Nach exakt drei oder fünf Stunden folgen die anderen Anbieter“, sagt Kartellamtspräsident Andreas Mundt. „Wer die Preise erhöht, geht also kaum ein Risiko ein, dass die Kunden zum Wettbewerber wechseln.“

Es ist ein raffiniertes System des Abguckens und Nachmachens. Ändern können die Wettbewerbshüter das System nicht. Preise abzusprechen, ist verboten, den Markt zu analysieren, nicht.
Darauf verweist auch der Mineralölwirtschaftsverband (MWV).

Das neue Gesetz aus dem Wirtschaftsministerium lehnt der Verband ab. „Was Herr Rösler mit dem Markttransparenzstellen-Gesetz fordert, klingt nach Verzweiflungstat, zumal er selbst eingesteht, dass sich für den Verbraucher nichts ändert“, sagt Klaus Picard, Geschäftsführer des MWV. „Die Benzinpreise richten sich nicht nach Feiertagen und Urlaubsanfang, sondern nach den Einkaufskosten, und das sind Weltmarktpreise.“ Die Mitgliedsunternehmen seines Verbands, zu denen Shell, Aral, Esso, Total und Jet gehören, wollten einen freien Wettbewerb.

Frei heißt aus Sicht der Lobbyisten vor allem wenig Staat. Frei ist der Benzinpreis in Deutschland allerdings keineswegs. Die freien Tankstellen legten im vergangenen Jahr Beschwerde beim Kartellamt gegen die Großen der Branche ein. Sie kaufen ihr Benzin bei den großen fünf.

Die Mineralölkonzerne berechnen den Freien manchmal mehr pro Liter, als sie selber von Privatkunden an der Zapfsäule kassieren. Im April eröffnete das Kartellamt ein Verfahren gegen Aral, Shell, Esso, Total und Jet, weil diese den Marktzugang der Freien Tankstellen erschweren sollen.

Von einem Oligopol auf dem Kraftstoffmarkt sprechen Mundt und Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, die sonst eher zur sprachlichen Zurückhaltung neigen.
Mehr als die Hälfte der rund 14 700 Straßentankstellen in Deutschland gehören den großen Marken: Aral (BP), Shell, Esso (ExxonMobil), Jet (ConocoPhillips) und Total.

Seite 4: Einer der größten Konzerne ist Shell...

Auch die Tankstellen an großen Supermärkten gehören meist den Marktführern, auch wenn sie unter anderen Namen firmieren. 70,5 Prozent der in Deutschland verkauften Kraftstoffe gehen auf die großen Markengesellschaften zurück, teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit. Einer der größten Konzerne ist Shell.

Das Unternehmen bestätigt, dass die Preise an den rund 2200 Shell-Stationen in Deutschland zentral aus der Preisabteilung in der Hamburger Zentrale gesteuert würden. Je intensiver der Wettbewerb, desto wahrscheinlicher sind Preisbewegungen, heißt es bei Shell.

Eine Zusammenarbeit mit der Konkurrenz bei der Preisgestaltung weist Shell zurück: „Preisabsprachen sind kartellrechtlich verboten.“ Die Branche wiederholt diesen Satz wie ein Mantra.
Röslers neue Markttransparenzstelle brauchen die großen fünf nicht zu fürchten.

Die Lobbyisten der Mineralölwirtschaft kämpfen hinter den Berliner Kulissen dennoch gegen das „bürokratische Monster“, wie der MWV das geplante Gesetz nennt: Die neue Transparenzstelle würde zu mehr Verwaltungsaufwand und damit zu steigenden Kosten bei den Unternehmen und schließlich zu höheren Preisen führen.

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Aber auch beim Kartellamt steht man dem Gesetzesvorhaben sehr skeptisch gegenüber. Präsident Mundt hatte in der Vergangenheit gefordert, dass der Gesetzgeber ihm die Möglichkeiten geben müsse, für mehr Wettbewerb zu sorgen. Solange das Oligopol der Mineralölkonzerne in Deutschland bestehen bleibt, sind ihm diesbezüglich die Hände gebunden.

Nun formuliert er seine Einwände gegen den Rösler-Vorstoß sehr diplomatisch. Die fehlende Transparenz, die Rösler beklagt, sei gar nicht das Problem auf dem Kraftstoffmarkt. „In diesem sehr speziellen Markt weiß jeder Anbieter stets, wie sich die Konkurrenten verhalten werden, wie sich die Preise entwickeln werden“, sagt Mundt.

Er bemüht sich darum, dass der Gesetzentwurf von Rösler noch abgeändert wird: „So ist die wöchentliche Lieferung von Preisdaten der Raffinerien, wie der Gesetzentwurf es vorsieht, unserer Meinung nach nicht nötig. Die Frage ist, ob der Aufwand die von uns gewonnenen Erkenntnisse deckt.“

Wenn jede Tankstelle die Einkaufs- und Verkaufspreise an die Markttransparenzstelle melden muss, dürften dort täglich mehr als eine Million Datensätze auflaufen. Diesbezüglich herrscht seltene Übereinstimmung der Ansichten zwischen Kartellamt und den Mineralöllobbyisten.

Seite 5: Zuvor waren zwei andere Modelle im Gespräch...

Zuvor waren zwei andere Modelle im Gespräch: Das österreichische Modell schreibt vor, dass Tankstellen lediglich einmal am Tag die Preise erhöhen dürfen. Die Mineralöllobby hatte diesem Modell durchaus etwas abgewinnen können, Spötter sagen sogar, sie hätte es selbst vorgeschlagen:

Das Abgucken und Nachmachen der Preise der Konkurrenten wird dadurch noch einfacher, weil der Kraftstoff über einen längeren Zeitpunkt das Gleiche kostet. Zudem waren die Benzinpreise in Österreich nach der Einführung des Modells dauerhaft gestiegen.

Gegen das westaustralische Modell hingegen hatten die Lobbyisten leidenschaftlich gekämpft. Die insgesamt 550 Tankstellen in Westaustralien müssen täglich ihre Preise für den kommenden Tag melden und dürfen diesen dann 24 Stunden lang nicht mehr ändern. Alle Preise werden im Internet veröffentlicht.

Kunden können sich sicher sein, an der Zapfsäule den Preis vorzufinden, den sie im Internet recherchiert haben. Für die Autofahrer wird es so einfacher, die Preise der unterschiedlichen Anbieter zu vergleichen. Der MWV spricht dennoch von einem „Loser-Modell“, das sich nicht einmal in ganz Australien durchsetzen konnte und lediglich in einer unbedeutenderen Provinz angewandt werde.

Kartellamtspräsident Mundt hatte sich dagegen für das australische Modell ausgesprochen. Durch die Preisfestlegung am Vortag werde das bisherige feste System der Preisangleichung aufgebrochen, da die Konkurrenten nicht mehr voneinander abschauen können, sagt Mundt. Damit konnte er sich im Wirtschaftsministerium nicht durchsetzen.

Rösler entschied sich am Ende gegen das westaustralische und gegen das österreichische Modell und setzte sein eigenes Kompromissmodell durch, das lediglich dazu führen wird, dass mehr Daten erfasst werden: Die beim Kartellamt gesammelten Informationen sollen auch nicht veröffentlicht werden.

Die Preise werden durch Röslers Modell nicht sinken. Im kommenden Jahr wird Deutschland also wieder vor Ostern und vor den Sommerferien über steigende Kraftstoffpreise diskutieren. Das Bundeskartellamt dürfte dann über noch mehr Daten verfügen, um ein raffiniertes System der Preisgestaltung unter den Mineralölkonzernen nachzuweisen – das ohne Änderung des Wettbewerbsrechts jedoch ganz legal bleiben wird.

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