Der ehemalige IOC-Präsident Avery Brundage
() Der ehemalige IOC-Präsident Avery Brundage
Der gescheiterte Boykott

Fast wären die Olympischen Spiele in Berlin 1936 verhindert worden.

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Constantin Magnis: Boykott 2008? Alois Weimer: Olympische Hymne oder olympischer Boykott? Hans Zippert: Boykott! Als Reichsinnenminister Joseph Wirth im Mai 1930 auf dem IX.Olympischen Kongress in Berlin die deutsche Bewerbung für die Olympischen Spiele 1936 präsentierte, war die Demokratie in Deutschland noch intakt. Im Jahr darauf erhielt Berlin tatsächlich den Zuschlag. Doch als das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Juni 1933 in Wien zu seiner turnusmäßigen Sitzung zusammenkam, hieß der deutsche Reichskanzler bereits Adolf Hitler, und die Welt verfolgte mit wachsendem Entsetzen, mit welcher Brutalität das NS-Regime Oppositionelle verfolgte, die freien Gewerkschaften zerschlug und die jüdische Minderheit drangsalierte. Deutscher Delegationsleiter in Wien war Theodor Lewald, seit 1919 Präsident des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen. Weil sich in seinem Stammbaum eine jüdische Großmutter fand, hatten ihn die Nazis zum Rücktritt gezwungen und durch den neuen „Reichssportführer“ Hans von Tschammer und Osten ersetzt. Aufgrund internationaler Proteste als „Berater“ des Deutschen Organisationskomitees für die Olympischen Spiele reaktiviert, versicherte Lewald den IOC-Delegierten, dass jüdische Sportler nicht „prinzipiell“ aus der deutschen Mannschaft ausgeschlossen würden. Dass im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung alle deutschen Sportverbände ihre jüdischen Mitglieder hinausgedrängt hatten, sodass sie keine normalen Trainingsmöglichkeiten mehr hatten und folglich die olympischen Qualifikationsnormen verfehlten, erwähnte Lewald nicht. Stattdessen verlas er eine offizielle Erklärung, wonach die deutsche Regierung gedenke, sich an die Regeln des IOC zu halten. Vor allem den Amerikanern genügte das nicht. Die Amateur Athletic Union (AAU) beschloss am 21.November 1933 einmütig, die Olympischen Spiele zu boykottieren, wenn die Deutschen ihren Lippenbekenntnissen keine Taten folgen ließen. Zur Überprüfung ihrer Forderungen sandte die AAU den Präsidenten des Amerikanischen Olympischen Komitees, Avery Brundage, nach Deutschland. Der war lange Jahre einer der bedeutendsten amerikanischen Sportler gewesen. Jetzt war er erfolgreicher Bauunternehmer – und Sympathisant autoritärer Regime und rassistischer Weltanschauungen. In dem von ihm gegründeten Sportklub in Chicago war Schwarzen wie Juden der Zutritt verboten. Avery Brundage reiste sechs Tage lang durch Deutschland, unterhielt sich prächtig mit den nationalsozialistischen Sportfunktionären und verkündete nach seiner Rückkehr in die USA, was er schon vor seiner Abreise aufgeschrieben hatte: Die Deutschen respektierten die olympischen Regeln. Gegen Brundage stand eine Boykottbewegung, die weite Teile der amerikanischen Gesellschaft erfasst hatte: Kirchen, Stadtparlamente, Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen unterstützten sie ebenso wie zahlreiche Tageszeitungen. Der amerikanische Botschafter in Berlin warb für den Boykott und auch das einzige amerikanische IOC-Mitglied, der deutschstämmige Ernest Lee Jahncke. Als die Delegierten der AAU am 6.Dezember 1935 in New York zur entscheidenden Sitzung zusammenkamen, plädierte ihr Präsident Jeremiah Mahoney entschieden gegen eine Teilnahme amerikanischer Athleten an den Spielen in Berlin. Avery Brundage musste mit einer Niederlage rechnen. Doch er hatte vorab mit Funktionären des IOC eine geheime Absprache getroffen, dass das Reglement, das für eine Teilnahme der USA das positive Votum der AAU erforderte, im Ernstfall außer Kraft gesetzt werden würde. Als Brundage am Abend des ersten Sitzungstages sah, dass es knapp werden würde, ließ er mit Geschäftsordnungstricks die Abstimmung verschieben, trommelte über Nacht weitere Delegierte herbei und gewann die Abstimmung am Ende mit 58,25 gegen 55,75 Stimmen. Anschließend säuberte Brundage die Funktionärsränge der amerikanischen Sportverbände von Boykottbefürwortern, die er als „antiolympisch“ denunzierte. Jahncke wurde als „Verräter“ aus dem IOC ausgeschlossen – ein bis heute einmaliger Vorgang in der Geschichte des IOC. Brundage übernahm seinen Posten. In Europa gingen die Proteste weiter. Unter großer internationaler Beteiligung wurde in Paris am 7. Dezember 1935 das „Komitee zur Achtung des Olympischen Geistes“ gegründet, das zu einer Gegenolympiade in Barcelona aufrief. Tausende von Athleten waren bereits angereist, als das Unternehmen im Juni 1936 wegen des beginnenden Spanischen Bürgerkriegs abgebrochen werden musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Brundage 1952 Präsident des IOC und blieb es für 20 Jahre. Als im September 1972 elf israelische Olympioniken von palästinensischen Terroristen ermordet wurden, war es Brundage, der verkündete: „The games must go on.“ Mehr unter www.cicero.de/IOC.php Foto: Picture Alliance

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