- Der heimliche Star der amerikanischen Vogue
Grace Coddington, seit drei Dekaden Kreativchefin der amerikanischen Vogue, beeinflusst die Modewelt wie keine andere
Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (Mai). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.
Sie sagt von sich: „Ohne meine Haare wäre ich nicht wiederzuerkennen.“ Tatsächlich kommt keine Beschreibung ihrer Person ohne die ellenbogenlangen, karottenfarbenen Kraushaare aus. Seit drei Jahrzehnten ist Grace Coddington die Kreativchefin der amerikanischen Vogue und mitverantwortlich dafür, welche Designer es in das wichtigste Modemagazin der Welt schaffen und damit in den Olymp der milliardenschweren Luxusmodenindustrie. Wer hingegen von der Vogue ignoriert wird, kann buchstäblich: einpacken. Aber da sie nur darin kreativ sei, die Kleider ihrer Modestrecken auszuwählen und zu arrangieren, nennt sich Coddington selbst schlicht „Stylistin“. Andere hingegen nennen sie die größte lebende Vertreterin ihrer Zunft.
Grace Coddington, 72, wäre kaum jemandem außerhalb ihrer Branche bekannt, gäbe es nicht die aus dem Jahr 2009 stammende Dokumentation „The September Issue“. Da sieht man sie auf ihren immerflachen Sohlen wie ein hoch aufgeschossener Teenager mit schlenkernden Armen durch die Redaktion schlappen, fluchen und mit ihrer als ultrastreng und unnahbar geltenden Chefredakteurin Anna Wintour, „der mächtigsten Frau der Branche“, um jedes einzelne Bild ihrer aufwendig inszenierten Modegeschichten kämpfen. Wenn der Teufel Prada trägt, wie es ein Enthüllungsroman über Wintour nahelegt, dann ist Coddington so etwas wie die sympathische linke Hand des Teufels. Ihre ungehorsame Emotionalität macht sie zum heimlichen Star der Redaktion. Schaut man ihr bei der Arbeit zu, versteht man, dass es hier nicht nur um Fotos von ein paar Kleidern geht. Sondern immer auch um die entschiedene Feier von Schönheit. Und die hat bei Coddington immer auch etwas mit Eskapismus zu tun. Bis sie 18 Jahre alt war, hatte sie die pittoreske Einöde ihrer regnerischen nordwalisischen Heimatinsel Anglesey noch kein einziges Mal verlassen. Ihre Eltern führten ein plüschiges kleines Hotel, was die Familie in der Nachkriegszeit jedoch nicht vor der Armut bewahren konnte. Aus der transportierte sich Grace mithilfe der Vogue gedanklich in schönere, aufregendere Welten.
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Anders als viele Modemenschen zieht es Coddington nicht in die Öffentlichkeit. Menschenansammlungen ängstigten sie schon als Kind dermaßen, dass sie ihr Mittagessen, statt in der Kantine ihrer Klosterschule, allein in einem nahe gelegenen Café zu sich nehmen durfte. Model wurde sie deswegen, weil sie nun einmal groß und schlank war und der Job ihr die Möglichkeit bot, ins London der Petticoats, Bienenkorbfrisuren und bleich angemalten Lippen zu ziehen.
Als sie dann zunächst als Moderedakteurin bei der britischen Vogue anfing, verabschiedete sie sich fast vollständig von Make-up. Mit ihren blassen Lidern, ihrer hohen Stirn und eben diesen Haaren galt sie immer eher als präraffaelitisch-interessant denn als klassisch schön. So viel Wert Coddington darauf legt, ihre schwelgerischen modischen Visionen hochglänzende Wirklichkeit werden zu lassen, so uneitel ist sie selbst. Sie konstatiert, dass die Leute vor kosmetischen Operationen immer viel besser aussähen als hinterher. In den Sechzigern musste sie nach einem Autounfall mehrmals am Augenlid operiert werden. Geblieben ist eine Abneigung gegen jeden nicht lebensnotwendigen Eingriff.
Modefotografie ist für Coddington – ebenso wie die Mode selbst – keine Kunstform. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, wahlweise poetisch, provokant oder intelligent zu sein. Immer aber sollte sie die Kleidung selbst zur Geltung bringen. Die beiden Auszeichnungen für ihr Lebenswerk, die ihr sowohl die Briten als auch die Amerikaner verliehen haben, dienen ihren geliebten Katzen als Türstopper. Was keineswegs bedeutet, sie nähme ihre Branche nicht ernst. Schließlich gehören ihre Freunde sämtlich der Modewelt an, ebenso wie ihr langjähriger Lebensgefährte, der Friseur Didier Malige. Coddington verachtet es regelrecht, wenn der Betrieb der Lächerlichkeit preisgegeben wird.
Den modisch härtesten Prüfungen sah sie sich während der Neunziger ausgesetzt, als Gianni Versace mit seinen kreischenden Farben und goldenen Ornamenten plakative Sexyness sozusagen salonfähig machte. Vulgarität widerstrebt ihrer Zurückhaltung – ein Erbe der viktorianisch geprägten Mutter und ihres geliebten introvertierten Vaters. Der starb an Lungenkrebs, als sie erst elf Jahre alt war.
Ihr großes Trauma erlebte Coddington jedoch 1968 in London, als sie in ihrem Mini sitzend in eine Gruppe wild gewordener Fußballfans geriet. Diese rüttelten dermaßen an ihrem Auto, dass es mit ihr darin umkippte. Sie selbst blieb unverletzt, ihr ungeborenes Kind aber verlor sie. „Es war das einzige Mal, dass ich schwanger war“, konstatiert sie in ihren Memoiren und lässt den erlittenen Schmerz nur erahnen. Gerade eine halbe Seite räumt sie dem Vorfall ein. Kaum mehr Platz gesteht sie der langwierigen Adoption des Sohnes ihrer früh verstorbenen Schwester Rosie zu.
Diese Wortkargheit passt zu einer, die freimütig zugibt, in ihrem Leben keine zwei Bücher gelesen zu haben, in denen nicht die Bilder dominierten. Es ist Grace Coddingtons Begehr, allein die schönen Geschichten zu erzählen.
Anne Waak ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt am liebsten über Mode und Pop.
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