Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Okkultisten in New York - Der urbane Esoterik-Kult

Wer denkt, Esoterik sei nur etwas für gelangweilte Hausfrauen, der irrt. Unsere Autorin Anne Waak hat einen Selbstversuch unternommen. Bei den Okkultisten von New York City

Autoreninfo

Anne Waak ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt am liebsten über Mode und Pop

So erreichen Sie Anne Waak:

Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Januar-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.

 

 

 

An einem nebligen Sonntagabend kreisen 20 junge Menschen in einer ehemaligen Garage in Brooklyn mit geschlossenen Augen barfuß um die eigene Achse. Eine Rothaarige ruft lächelnd: „Stellt euch vor, ein Astronaut hüpft auf euch herum. Stellt euch vor, wie es ist, von den Menschen bewundert zu werden.“ Diese Menschen, das sind wir, die rotierenden Barfüßigen. Wir bewundern den Mond. Die Moon Church, eine Gemeinschaft von Frauen, die „dem Archetypus der Hexe neues Leben verleiht“, wie es auf ihrer Facebook-Seite heißt, hat zu einer Zeremonie zu Ehren des Vollmonds eingeladen.

Die von Kerzenlicht, Panflöte und Salbeirauch erfüllte Garage ist sonst ein Yogastudio. Von der Decke hängt ein aus Besenstielen und Bastschnur zusammengebasteltes Pentagramm. Vor unserem Tanz hatten wir einen Kreis gebildet und im Schneidersitz Platz genommen. Wir hatten nacheinander sagen müssen, mit welchem Wunsch wir uns an diesem Abend an den Mond wenden wollten. Eine hatte gesagt, sie wolle sich selbst unerschütterlich lieben; eine andere hatte sich ein Leben in finanziellem Überfluss gewünscht.

Dann hatten wir meditiert und weißes Licht von unseren Körpern aus (genau genommen von der Stelle zwischen unseren Genitalien und dem Anus) zu den Seelen geschickt, die ein paar Tage zuvor von dem Taifun auf den Philippinen aus dem Leben gerissen worden waren. Möglicherweise würden diese wegen ihres so überraschend eingetretenen Todes den Weg ins Licht nicht finden, erklärte Sarah, bevor sie uns dann bat, uns tanzend in den Mond einzufühlen. So kreisen wir hier.

Vor dem Programmpunkt mit den mitgebrachten Gedichten stürze ich hinaus an die frische Luft. Als ich meiner Freundin Helena erzählte, wohin ich an diesem Abend gehen würde, hatte sie gesagt: „Viel Spaß mit den Irren.“ Aber wenn die Mondfans irre sind, bewohnen wir eine große Nervenheilanstalt. In Manhattan gibt es an jeder Ecke Psychics – Medien, die schon ab zehn Dollar versprechen, per Blick in die Tarotkarten, in die Glaskugel oder auf die Handflächen des Kunden dessen Zukunft vorhersagen zu können. Wie hieß es doch neulich in einem Artikel über die Lieblingsastrologin der Modebranche? „Genauso lange, wie die Stadt schon verunsicherte Menschen beheimatet, so lange beheimatet sie Scharlatane. Und solange es verunsicherte Angehörige der Mittelklasse gibt, wird es hier auch Astrologen geben.“

Das Übersinnliche ist Mainstream
 

Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir: Ich bin umgeben von einem Haufen schlauer Leute von Anfang bis Ende dreißig, die an Dinge glauben, die sich jeglicher Vernunft entziehen. Zwei meiner Freundinnen beispielsweise, die eine Musikerin, die andere Fotografin, kennen das Sternzeichen von jedem Menschen in ihrem Umfeld; keine Unterhaltung mit ihnen kommt ohne die Erwähnung der typischen Eigenschaften dieses Stiermannes oder jener Skorpionfrau aus. Ich kenne eine studierte Japanologin, die sich seit ein paar Jahren bei einer in Kalifornien angesiedelten sogenannten Kirche zur Energieheilerin ausbilden lässt. Das Übersinnliche ist nicht mehr allein die Sache irgendwelcher New-Age-Tanten oder verirrter Hausfrauen mit zu viel Zeit. Es hat seine Nische gesprengt und ist im Mainstream angekommen.

Im Oktober stellte das New York Magazine unter dem Titel „The Everything Guide to the Occult“ die Brooklyner Schauplätze der neuen Esoterik-Bewegung vor: ein Tattoo-Studio, das auf heidnische Motive spezialisiert ist, einen metaphysischen Buchladen und eben die Moon Church. Die Newsweek versuchte sich derweil an einer Erklärung dafür, dass auch die Hipster nun das Okkulte entdeckt haben, und befragte dazu Jesse Bransford, Kunstprofessor an der New York University und Mitorganisator der kurz zuvor abgehaltenen Occult Humanities Conference, bei der es drei Tage lang um esoterische Traditionen im Kontext von Wissenschaft und zeitgenössischer Kunst gegangen war. Für Bransford liegen die Gründe des Okkultismus-Revivals in der Postrezession und der existenziellen Angst, die damit einhergeht. „Magie“, erklärte er, „ist etwas, das man tun kann, wenn alle anderen zur Verfügung stehenden Werkzeuge nicht mehr auszureichen scheinen.“

Religion, zum Beispiel. Laut einer im vergangenen Jahr publizierten Studie des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center fühlen sich knapp 20 Prozent aller Amerikaner keiner bestimmten Glaubensrichtung zugehörig, bei den unter 30-Jährigen ist es ein Drittel. Laut einer ebenfalls 2012 veröffentlichten Untersuchung der Universität Chicago bezeichnen sich 63,4 Prozent der Deutschen zwischen 28 und 37 Jahren als Atheisten.

Nie zuvor war eine Generation so wenig religiös. Und genauso desillusioniert, wie sie von der Kirche ist, geht es ihr mit den meisten anderen Institutionen, den großen Unternehmen, dem großen Geld. Stattdessen scheint alles sinnstiftend zu wirken, was mit Begriffen wie Heilung, Bewusstsein und Energie operiert und verspricht, die vermisste Einheit zwischen dem Menschen und dem Universum wiederherzustellen.

Bei einer Wohnungsbesichtigung im East Village erzählt mir Jasmine Golestaneh, die Mitte 20-jährige Hauptmieterin des Apartments, dass sie neben ihrem Job als Sängerin einer Band als Energieheilerin arbeitet. Für 100 Dollar pro Stunde macht sie Hausbesuche bei ihren Kunden, darunter auch beim jungen Boyfriend einer bekannten Hollywood-Schauspielerin, und kuriert sie von ihren Blockaden. Sie hat auch schon das Haus eines Paares in Los Angeles von dem Geist befreit, der da angeblich spukte. Jasmine sagt, ihr sei bewusst, dass das Irrationale des Heilens im krassen Gegensatz zu ihrem Geschichtsstudium in Oxford stehe. Aber sie habe nun mal gute Erfahrungen damit gemacht. Sie sehe, sagt Violet, dass sich meine Energie außerhalb meines Körpers befinde.

Sie wolle versuchen, mich wieder zu zentrieren. Ich lege mich hin, sie kniet neben meinem Kopf nieder und positioniert ihre offenen Handflächen neben meinen Schläfen. So verharren wir die nächste halbe Stunde. Manchmal höre ich sie tief ein- und wieder ausatmen. Manche ihrer Kunden, hatte sie gesagt, fingen während der Heilung an zu weinen, manche schliefen auch ein. Ich merke nichts weiter. In der anschließenden Auswertung fragt mich Jasmine, welcher mein abwesender Elternteil gewesen sei. Ich bin ein bisschen ratlos, was ich ihr antworten soll, da meine Eltern immer sehr anwesend waren, und sage versuchsweise: „Mein Vater?“ Jasmine nickt wissend. Übrigens, sie habe meine kreative Energie gesehen, sehr schön sei die.

Einsichten ins Ich
 

Der nächste Teil meines Selbstversuchs führt nach Brooklyn. Auf der Flushing Avenue in Bushwick eröffnete im vergangenen Winter Catland, ein okkulter Buchladen. Prominent präsentiert werden hier die Werke Aleister Crowleys. Der 1875 geborene britische Okkultist und Sexualmagier ist so etwas wie der dunkle Posterboy der Eso-Hipster. Crowley operierte während der letzten großen spirituellen Konjunktur in den zehner und zwanziger Jahren und damit in einer Ära, die sich mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen und dem Aufkommen des Kinos enormen technischen Neuerungen ausgesetzt sah.

Allein in Berlin gab es in dieser Zeit 500 spiritistische Gesellschaften. Neben dem Wunsch nach Sinngebung in einer Zeit der sich jagenden Krisen scheint es auch heute die umfassende Technisierung des Alltags zu sein – die Tatsache, dass immer mehr Leute ihre Tage mit dem Starren und Herumwischen auf leuchtenden Oberflächen verbringen –, die das Bedürfnis nach einer Wiederverzauberung der noch dazu fast geheimnislos gewordenen Welt weckt.

Abgesehen davon, dass für Leute mit ausreichend Zeit und Geld Esoterik schlicht eine Methode ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie gewährt Einsichten ins Ich und darin, wie sich das Ich durch die Welt bewegt. Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Hund von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften im hessischen Roßdorf, die mit den Mitteln der Aufklärung gegen esoterische Heilslehren und ihre Verkünder vorgeht. „Die gesamte Esoterikszene“, sagt Hund, „hat sich seit den achtziger Jahren von den ‚harten‘ Praktiken wie Channeling – damit ist der Empfang von Botschaften übernatürlicher Wesen oder Toter gemeint – und Gläserrücken hin zu einer Art Wellnessbewegung verlagert.“ Esoterische Praktiken dienen heute dem wohligen Luxus der Selbsterfahrung.

Zurück nach Bushwick. Drei Tarotkartenleser arbeiten bei Catland. Nach dem Besuch der Website des Ladens hatte ich mich für Damon Stang entschieden. Auf dem Bild neben seiner Biografie schmiegt er sich mit nacktem Oberkörper neckisch an eine Diskokugel. Als ich den Laden betrete und nach ihm frage, höre ich ein Schniefen aus einem Verschlag hinter der Theke. Damon – Mod-Haarschnitt, große blaue Augen, drei Ketten aus lila Steinen um den Hals – hat sich am Vorabend ganz offenbar eine Fahne angetrunken und kurz noch ein Schläfchen gehalten. Ein bisschen verknittert bittet er mich in die Bude und an den Tisch und legt mir nach einem zehnminütigen Misch- und Abhebe-Ritual mein Blatt.

Immer wieder beugt er sich über die Karten und schaut sie an, als sähe er die darauf abgebildeten Motive zum ersten Mal. Wenn ich seinen Aussagen widerspreche, wird er ein bisschen böse und sagt, er gebe nur weiter, was „die Mächte da draußen“ ihm durch die Karten sagten. Und das sei Folgendes: Ich solle unbedingt dauerhaft in die USA umsiedeln, schon bald würde man mir ein sehr gutes Jobangebot machen, wahrscheinlich per Mail, und in sieben Monaten würde ich ein großes Liebesglück erleben, mit einem Mann Ende dreißig.

Die Horoskope-App
 

Bis es dazu kommt, liest mir noch ein anderer Mann morgens im Bett erst sein und dann mein Horoskop vor, die er jeden Tag per App auf sein iPhone geschickt bekommt. Während es bei mir um Beziehungen geht, wird er darin bestärkt, in professionellen Dingen auf dem richtigen Weg zu sein. Der Mann ist Maler, bereitet gerade eine Ausstellung seiner Bilder vor und sagt, er finde es nett, jeden Morgen einen Einzeiler über sich zu lesen. Die App gehört zur 1995 von einer New Yorkerin namens Susan Miller gegründeten Horoskope-Website Astrology Zone. Die Seite und die App sind kostenlos, ihr Geld – und das ihrer zwei Dutzend Angestellten – macht Miller mit Büchern, Vorträgen, Kalendern und Astro-Kolumnen, die in derzeit zehn verschiedenen internationalen Modemagazinen erscheinen.

Ein typisches Miller-Horoskop lautet etwa: „Angesichts der rückläufigen Venus zwischen 21. Dezember und 31. Januar sollten Sie, liebe Jungfrau, Abstand von Schönheitsoperationen und einem neuen Haarschnitt nehmen. Feiern Sie Silvester maßvoll. Nach Paris fliegen können Sie immer noch am Valentinstag, wenn Venus ihren Orbit wieder geregelt hat.“

Susan Millers Tipps sind konkret, lebenspraktisch und harmlos – ganz im Gegensatz zu jenen der ehemals auf der 7th Avenue praktizierenden Hellseherin Sylvia Mitchell. Diese wurde Mitte November wegen schweren Diebstahls zu 15 Jahren Haft verurteilt, nachdem sie für schuldig befunden wurde, zwei ihrer Kundinnen um 147 000 Dollar erleichtert zu haben. Sie hatte den Damen erzählt, ihre krankhafte Bindung an Geld dadurch heilen zu können, es ihr auszuhändigen – mit dem Rat: „Sie müssen lernen loszulassen.“

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.