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Die Macht des Haarschnitts - Merkel und die geföhnte Krone

Modell "Frische Brise", Cabriofrisur oder symbolische Krone: Haare sind Schmuck - wenn sie richtig sitzen. Wir sprachen mit Autor Steen T. Kittl über die haarige Beziehung zwischen Mensch und Frisur

Autoreninfo

Bergmann, Lena

So erreichen Sie Lena Bergmann:

Herr Kittl, für Ihr neues Buch „Du hast die Haare schön“ sind Sie und Ihr Ko-Autor Christian Saehrendt auf Recherchereise gegangen. Sie haben sich in deutschen Salons frisieren lassen, meist inkognito. Ein ganzes Buch über Haare – ist das nicht an den Haaren herbeigezogen?
Die Idee zu dem Buch kam uns, als die Show „Germany’s next Topmodel“ erstmals ausgestrahlt wurde. Alle aus unserem Freundeskreis schauten sich die Show damals an, aber lästerten trotzdem fürchterlich. Und auf einmal debattierten alle über Schönheit, Selbstoptimierung, Oberflächendesign – und Haare gehören dazu. Wir vergleichen uns mit unwahrscheinlich schönen Menschen, die uns die Medien präsentieren. Wir sind kritische Beobachter dieses Schönheitskults, aber auch Protagonisten im gleichen System. Der Druck steigt.

Auch auf Männer?
Man bemerkt die forcierten Schönheitsbemühungen der Männer jedenfalls auch im Friseursalon. Männlichen Kunden wird inzwischen oft angeboten, sich die Augenbrauen korrigieren zu lassen. Es stößt zwar kein Mann die Salontüre auf und ruft: „Ich will meine Haare färben“, aber er setzt sich hin und sagt etwas wie: „Meine Güte, sehe ich alt aus.“ Dann weiß der Friseur, dass er ein Angebot machen kann, das Gesicht durch Farbe frischer wirken zu lassen. Bei Männern läuft das diskret. Man wird ja auch heute nicht mehr zwangsläufig mit einem Turm aus Alufolie auf dem Kopf gefärbt, es gibt dezente Techniken, etwa Tönungen, die beim Waschen aufgetragen werden.

Warum stehen Männer nicht einfach dazu?
Feminin codierte Praktiken gelten beim Durchschnitt immer noch als fragwürdig. Gerhard Schröder hat damals sogar eine einstweilige Verfügung erwirkt, um zu verhindern, dass Medien behaupten, er habe sich die Haare gefärbt. Wenn man sich die männliche Bevölkerung in seinem Alter anschaut, haben viele gefärbte Haare. Berlusconi ist mit seiner Rundumerneuerung offensiv umgegangen. Er hat das als disziplinarische Maßnahme an sich selbst vor den Medien zelebriert. Dies hat auch Frau Merkel unter Druck gesetzt, ihr Äußeres zu verändern.

Inzwischen trägt sie eine Art Helm, der ihre weichen Gesichtszüge in einem kantigen Rahmen inszeniert.
Psychologen würden wahrscheinlich von einer symbolischen Krone sprechen, die für sie entwickelt wurde: Die Kanzlerin hat sich krönen lassen. Die Frisur verleiht ihr etwas Erhabenes. Es war ein Prozess über Monate, bis sie dort ankam. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie jeden Tag geföhnt wird. Nun hat sie keine Frisur mehr, mit der man morgens aufwacht, sondern eine Frisur, die täglich hergestellt werden muss.

Wie gefällt Ihnen eigentlich die neue Frisur der Verteidigungsministerin?
Bei Frau von der Leyen war die Inspiration „Frische Brise“ oder die eingefrorene Cabriofrisur. Das soll wohl dynamisch wirken. Doch wenn sie sich bewegt, wirkt es steif, man erkennt, dass etwas fixiert ist, mit Haarspray. Die Bewegung des Körpers wird missachtet. Ihre alte Steckfrisur hat mir besser gefallen, sie war nicht unbedingt ästhetisch ansprechender, funktionierte aber als Alleinstellungsmerkmal für eine Politikerin. Die einzige andere Frau mit der gleichen Frisur war Elfriede Jelinek. Jetzt ist die Frisur der Verteidigungsministerin austauschbar.

Die Frisur von Hillary Clinton wurde bereits während ihrer Zeit als First Lady kommentiert: zu kurz, zu lang, zu bieder, zu jugendlich, zu toupiert. Dann erteilten ihr die Medien sogar ein Pferdeschwanz-Verbot.
Sie band den Pferdeschwanz mit dem falschen Haargummi, ein sogenanntes Scrunchie, wie es in den Neunzigern beliebt war. Die Medien machten daraus ein Scrunchie-Gate. Dass Clinton als Außenministerin durch verschiedene Klimazonen flog, deswegen zwangsläufig verknittert im Flugzeug saß und sich vor der Kamera mit einem Pferdeschwanz behalf, wurde ihr übel genommen. Da geht es auch um Disziplin.

Wir Deutschen lassen unseren Politikern aber mehr durchgehen!
Nicht unbedingt. Joschka Fischer ist dafür das historische Beispiel. Es gab 2005 Schlagzeilen wie: „Ist Joschka Fischer zu dick für den Wahlkampf?“ Mit schlecht sitzenden Anzügen wird auch immer gerne eine Reportage eröffnet. Trittins Schnurrbart war Thema, Thierses Fusselbart. Und wenn man sich Katrin Göring-Eckardts Verwandlung anschaut, ihren Weg vom Bürstenschnitt zum langen Powerhaar, der weiblichen starken Mähne, mit dem Erklimmen der grünen Spitze, lässt das vermuten, dass auch unsere Politiker das Oberflächendesign inzwischen sehr ernst nehmen. Glauben Sie mir, wenn Frau Merkel zu ihrer alten Frisur zurückkehren würde, gäbe es viele Fragezeichen in den Gazetten.
 

Anton Hofreiter.
Ich bin gespannt, was sich da noch tun wird, ob er das bis zur nächsten Wahl durchziehen wird. Männer und lange Haare – da tickt sowieso die Uhr. Nicht jeder Mann kann bis ins Alter würdevoll lange Haare oder Pferdeschwanz tragen wie Karl Lagerfeld.

Wir sollten auch über Bärte sprechen.
In dem Moment, in dem ein Trend in der Werbung allpräsent ist, ist er auch schon wieder vorbei. Das war mit den Wuschelfrisuren und Kreativschals bei Männern so und jetzt wird es so mit den Bärten sein. Schade, dass sich vor Jahren dieser Trend zu ornamentalen Bartmustern nicht durchgesetzt hat; die Evolution dieses Styles hätte mich interessiert. Aber auf viele wirkt Neues gleich manieriert. Dem Gusto der privilegierten Milieus entspricht das nicht. Da muss alles natürlich aussehen.

Ihre Recherchen haben Sie auch nach Miami geführt. Was haben Sie da beobachtet?
Zum Beispiel, dass Kurzhaarfrisuren bei Frauen in Amerika und gerade in Miami immer noch ein Statement sind. Damit wird eine Frau schon fast als alternativ wahrgenommen. Die „normale Frau“ in den USA trägt ihr langes Haar blondiert und natürlich hohe Absätze.

Fast wie die Darstellerinnen der Romantikkomödien. Ich moniere mangelnden Realismus, wenn man nur Mähnen sieht, die offensichtlich stundenlang in der Maske drapiert und mit Kunsthaar getunt wurden.
So wie die New Yorker Wohnungen in Romantikkomödien immer unglaublich riesig sind, sind auch die Haare der Damen immer dicht, lang und glänzend. Das sind Genregesetze. Wenn wohlhabende Amerikaner Herzschmerz haben, will das Millionenpublikum träumen und keine beengten Wohnungen sehen. Oder lichtes Frauenhaar.

Sie sagen, jeder hat ein besonderes Verhältnis zu seinen Haaren. Selbst wenn er keine mehr hat.
Bei den Männern herrscht die große Angst vor der Glatze. Dabei sieht eine Glatze mit der richtigen Kopfform toll aus. Oder man macht dann auf Typ. Selbst mit einer Kopfform wie Bert kann das markant aussehen, wenn das Drumherum stimmt und man das Ganze mit Würde trägt. Frauen haben ab 40 diffusen Haarausfall, dann müssen die Haare schick arrangiert oder andere Ablenkungsmaßnahmen ergriffen werden.

Friseure schneiden ja heute nicht mehr nur Haare, sie kreieren Frisuren und nennen sich auch Art-Direktoren und Top-Stylisten.
Und es gibt Blow Dry Bars in den Großstädten, wo man sich auf einen Espresso zwischendurch föhnen lassen kann. Um die Ecke Wax and the City zur Haarentfernung mit Heißwachs und daneben Botox to go. Oberflächendesign gehört zum Alltag.

Hatten Sie auf dem Friseurstuhl auch deprimierende Erlebnisse?
Ich war in Berlin-Lichtenberg im Dong Xuan Center, ein asiatisch geprägtes Einkaufsparadies. Europäisches Haar ist aus der Sicht von Asiaten schwaches Haar. Ich habe dem Friseur nur gesagt, „etwas kürzer, bitte“. Dann kam ich mit einem raspelkurzen GI-Schnitt aus dem Salon. Der Friseur betrachtete mich mitleidig, nach dem Motto: „Aus den Haaren kann man einfach nicht mehr rausholen als den Militärlook.“ Danach habe ich bunte Schals getragen, um das zu konterkarieren

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