- Die überschätzten Politikamateure
Quereinsteiger gelten gemeinhin als politische Wunderwaffe. Dabei werden sie diesem Anspruch nicht immer gerecht. Einseitige Lobhudelei auf die Politikamateure ist deswegen unangebracht
Nein, Bescheidenheit sieht wahrlich anders aus. Susanne Gaschke hatte hehre Ziele. Nichts geringeres als die Politik wollte sie ein Stück weit „menschlicher“ machen. Ein neuer Politikstil sollte die „kleinlichen Politikerrituale" ersetzen. Damit hat die ehemalige Journalistin und Zeit-Redakteurin im vergangenen Jahr etwas gewagt, was sich viele Deutsche wünschen: Sie ist als Seiteneinsteigerin in die Politik gegangen und wurde in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel zur Oberbürgermeisterin gewählt. Ende Oktober jedoch hat dieses Projekt mit einer äußerst emotionalen Rücktrittsrede nach nur zwölf Monten ein jähes Ende gefunden. Wieder einmal ist ein politischer Seiteneinsteiger gescheitert, wieder einmal wurden die Erwartungen der Wähler jäh enttäuscht, wieder einmal entuppte sich ein Seiteneinsteiger als Politikamateur.
Susanne Gaschke wurde ein heikler Steuer-Deal mit einem Augenarzt zum Verhängnis. Doch die Journalistin ist nicht die Erste, die bei dem Versuch nach einem erfolgreichen Berufsleben in die Politik zu wechseln eine Bruchlandung erlitt.
Bundespräsident Horst Köhler war einst ins Amt gestartet, um mit seinen Erfahrungen, die er als Chef des Internationalen Währungsfonds sammelte, den politischen Betrieb zu beleben. Nach sechs Jahren gab er erschöpft und ernüchtert auf. Bis heute zeigt er sich verbittert über die politischen Strukturen. Paul Kirchhof war ein respektabler Steuerrechtler und wurde von Angela Merkel im Wahlkampf 2005 schon als zukünftiger Finanzminister gehandelt. Er kam gar nicht erst zum Zuge. Ein paar unbeholfene Äußerungen über Steuerpolitik reichten aus, um sich im Wahlkampf zu desavouieren. Der Politik- und Medienprofi Gerhard Schröder ließ von dem profilierten Finanzexperten nur noch „den Professor aus Heidelberg“ übrig.
Bei den Bürgern sind Quereinsteiger äußerst beliebt
Bei den Wählern haben diese Schicksale jedoch kaum Spuren hinterlassen. Glaubt man Meinungsumfragen, genießen politische Seiteneinsteiger ein exzellentes Ansehen. Verantwortlich ist dafür in erster Linie der massive Ansehensverlust der politischen Klasse. Politik gilt gemeinhin nicht nur als langweilig, sondern weitaus schlimmer, als ein schmutziges Geschäft ohne Moral. Parteipolitiker werden als abgehoben, weltfremd und egoistisch angesehen.
Politikamateure aus der Wirtschaft oder der Wissenschaft genießen in der Bevölkerung wesentlich mehr Vertrauen. Ihnen wird gemeinhin mehr Sachverstand und eine höhere Fachkompetenz zugetraut; schließlich haben diese bereits eine erfolgreiche berufliche Karriere hinter sich. Sie haben sich also schon auf einem anderen, wenn auch auf politikfernen Terrain bewiesen.
Darüber hinaus sind viele Wähler davon überzeugt, Seiteneinsteiger hätten ein besseres Gespür für ihre Nöte und könnten Probleme deswegen besser lösen als die Profis aus dem „weltfremden Mikrokosmos“. Schlussendlich erscheinen sie auch als vertrauenswürdiger. Denn in aller Regel haben die Quereinsteiger bereits in ihrem früheren Beruf sehr gut verdient. Finanziell sind sie also in den meisten Fällen nicht auf die Politik angewiesen. Daher, so die Vermutung, hätten sie eher das Gemeinwohl im Blick und weniger ihre persönlichen Interessen.
Der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl spricht in diesem Zusammenhang von einer regelrechten „Robin-Hood-Aura“, die auf Seiteneinsteiger projiziert werde. So kommt es, dass diese mit jeder Menge Vorschusslorbeeren bedacht werden, lange bevor sie überhaupt politisch gestaltend tätig geworden sind.
Auch Thomas Heilmann ist einer dieser Politik-Exoten. Seit 2012 sitzt er als Justizsenator für die CDU im Berliner Senat. Davor war er Vorstandsvorsitzender der Werbeagentur Scholz & Friends. Was hat Heilmann dazu bewogen, in die Politik zu gehen? Er spricht viel von grundsätzlichen Vorstellungen, etwa mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung. Zudem betont er sein langjähriges ehrenamtliches Engagement. Dennoch räumt er im Gespräch mit Cicero Online ein: „Viele meiner Freunde haben mich rundweg für verrückt erklärt, als ich denen gesagt habe, ich würde jetzt Politiker.“
Politik ist ein Handwerk
Heilmann hat es gereizt, die Strategien aus der Wirtschaft auch einmal in der Politik anzuwenden. Nur, kann das überhaupt funktionieren? „Ich denke schon. Wie man erfolgreich führen kann, Beteiligte einbinden, Strategien definieren und umsetzen, das ist in erster Linie ein Handwerk und wird in beiden Bereichen gebraucht“, sagt der Berliner Justizsenator.
Doch ausgerechnet an diesen handwerklichen Fähigkeiten mangelt es laut Wiesendahl den meisten Quereinsteigern. Ein Unternehmer beispielsweise sei es gewohnt, dass seine Anweisungen auch entsprechend umgesetzt würden. In der Politik sei dies unmöglich. Schließlich handele es sich hierbei um einen hochbürokratisierten Prozess mit einer Vielzahl von Akteuren und Veto-Spielern. Die Fähigkeit, Netzwerke zu schmieden und sich permanent abzusichern, sei für dauerhaften politischen Erfolg deswegen absolut unerlässlich. Um dies zu erkennen, mangele es den Amateuren jedoch oft an politischem Instinkt: „Oft entbehrt es ihnen an den nötigen Antennen, um die politischen Gegner und ihre Intrigen rechtzeitig einzuschätzen.“
Auch bei Thomas Heilmann scheint der politische Instinkt nicht immer zu funktionieren. Bei der Parteibasis ist er durchaus umstritten. Er gilt als selbstbewusst und politisch sprunghaft. Immer wieder wagt er Alleingänge. Jüngst soll er sich gar als Aufsichtsratschef für den Berliner Großflughafen BER ins Spiel gebracht haben.
[gallery:Was tun mit dem BER? Lösungsvorschläge und Nachnutzungsvisionen]
Hinzu kommt: Politik ist ein äußerst unsicheres Terrain. Während wirtschaftlicher Erfolg in aller Regel prognostizierbar ist, ist Erfolg in der Politik nur schwer abzuschätzen. Das weiß auch Heilmann. Eine entscheidende Frage in der Politik laute: „Wem werden die Erfolge am Ende gut geschrieben: einer Partei oder gar nur einer Person? Das hat die FDP gerade schmerzhaft erfahren müssen und das bestimmt auch die Tonalität bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD.“
[gallery:"Sie lügen!" - Grobheiten deutscher Politiker]
Politik unterliegt Konjunkturen, vor denen auch Seiteneinsteiger nicht gefeit sind. Im Gegenteil: Wer scheitert, wird gedemütigt. Während Politiker von ihren Netzwerken aufgefangen werden, wenn sie scheitern, stürzen Seiteneinsteiger tief. Diese leidvolle Erfahrung machte jüngst auch Sebastian Turner. Turner ist der frühere Geschäftspartner von Heilmann bei Scholz & Friends. Auch ihn hatte es in die Politik gezogen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart ist er im Oktober 2012 als parteiloser Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern angetreten. Obwohl Stuttgart eigentlich eine konservative Hochburg ist, musste sich der agile Werber gegen den Grünen Fritz Kuhn geschlagen geben. „Ohne Stuttgart 21 wäre die Wahl anders verlaufen“, ist sich zumindest Wiesendahl sicher. Heute sitzt Turner im Aufsichtsrat der DvH Medien GmbH, Stuttgart; der Politik hat er vorerst den Rücken gekehrt.
Ochsentour versus Quereinstieg
Fast scheint es, also würde die klassische Ochsentour durch die Partei langfristig doch die erfolgreicheren Politiker hervorbringen. Schließlich können sie auf diesem Wege durch jahrelanges „learning by doing“ ihre politischen Schlüsselkompetenzen optimal erproben. Aber gleichzeitig warnt Wiesendahl: Ochsentourler zeigen oft wenig Elan und fallen schnell dem Opportunismus anheim.
Die Politik kann von einem unkonventionellen Blick also durchaus profitieren. Seiteneinsteiger tragen außerparlamentarische Anliegen in die politischen Arenen, sie sensibilisieren für gesellschaftliche Probleme und können den Parteien neue Wähler erschließen. Es gibt durchaus erfolgreiche Beispiele, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel. In Zukunft wird die Politik ohnehin nicht mehr ohne sie auskommen. Denn eine Ochsentour können sich nur diejenigen erlauben, die es sich entweder beruflich leisten können, in der Regel also Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst oder aus Verbänden. Zudem gibt es Politiker, die bereits in jungen Jahren entscheiden, Politik zu ihrem Beruf zu machen. Doch dies alles führt bereits heute zu einer Verengung der Rekrutierungsbasis. Zudem setzt den Parteien die Erosion sozialmoralischer Milieus erheblich zu: Auf einstige Nachwuchsreservoirs sei es nun aus dem kirchennahen, gewerkschaftlichen oder wirtschaftsbürgerlichen Bereich ist längst kein Verlass mehr.
Doch wie kann man eigentlich mehr Seiteneinsteiger für die Politik gewinnen? Wiesendahl plädiert für einen besseren Austausch zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft: „Wünschenswert, wenn auch ziemlich unrealistisch, wäre eine Art Hochschule für Politik, wo Unternehmern und Wissenschaftlern von Praktikern die konkreten politischen Kompetenzen vermittelt werden.“ Eine andere Lösung wäre es, das politische Auslesemonopol der Parteien zu brechen, also eine Angleichung an die USA mit einem starken Fokus auf den einzelnen Kandidaten, der in Vorwahlen bestimmt wurde. Doch auch dieser Weg birgt erhebliche Risiken: „Dabei würde es sich um politische Unternehmer handeln, die ihren eigenen Wahlkampf organisieren und damit in aller Regel Millionäre sein müssen“, so Wiesendahl.
Quereinsteiger sind kein politisches Allheilmittel
Vermutlich bedarf es für eine erfolgreiche Politik einer Symbiose. Seiteneinsteiger erinnern die Politik einerseits in ihrem routinierten Alltagsgeschäft an ihren normativen Anspruch. Ohne diesen Stachel läuft die Politik tatsächlich Gefahr, beliebig und selbstgefällig zu werden. Doch von einem Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit sind Politikamateure andererseits weit entfernt. Scheitern sie, fällt der Abschreckungseffekt für potenzielle Nachahmer umso höher aus; sind sie hingegen erfolgreich, besteht die Gefahr, dass der klassische Berufspolitiker in der Gunst der Bürger noch weiter sinkt.
Dabei sind Seiteneinsteiger nicht per se moralisch überlegen. Wenn ihr politisches Abenteuer misslingt, muss das weder an den unbelehrbaren Strukturen der Politik liegen noch am Frust verbitterter Parteifunktionäre. Häufig neigen Seiteneinsteiger auch zur Selbstüberschätzung. Es wäre deswegen an der Zeit für eine Ehrenrettung des Berufspolitikers. Politik ist nun einmal ein mühsames und vor allem zähes Geschäft. Selbstverständlich gleicht dies oft einem Gefeilsche. Wie sollte es auch anders sein, wenn zwischen so vielen divergierenden Interessen ein Kompromiss gefunden und öffentlich verantwortet werden muss?
Gerade in einer hoch individualisierten Gesellschaft gehört nämlich auch eine gute Portion Mut und Verantwortungsgefühl dazu, in jungen Jahren in eine Partei einzutreten und sich für eine politische Karriere zu entscheiden. Zu diesem „Commitment“ sind nur noch die Wenigsten von uns bereit.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.