- Kroatien wird 28. Mitglied der EU
Die Europäische Union hat ab diesem Montag 4,4 Millionen Einwohner mehr. Als 28. Staat tritt Kroatien der EU bei. Warum birgt die Aufnahme des kleinen Landes auch Risiken?
„Willkommen Kroatien!“ Das zwanzig Meter hohe Plakat am Gebäude der Europäischen Kommission mitten in Brüssel ist nicht zu übersehen. Am heutigen Montag wird das Land an der Adria das 28. Mitglied der Europäischen Union. Fast zehn Jahre haben die Kroaten auf den Beitritt hingearbeitet – trotzdem fallen die Feiern nicht sonderlich euphorisch aus.
Welche Kriterien musste Kroatien für den Beitritt erfüllen?
Kroatische Politiker werden nicht müde zu betonen, dass ihr Land von allen Beitrittskandidaten die härteste Aufnahmeprozedur durchstehen musste.
Tatsächlich hatten sich die Kroaten schon 2003 für die Aufnahme in die Europäische Union beworben. Eröffnet wurden die Verhandlungen aber erst 2005, als Kroatien bereit war, den im Land als Helden gefeierten General Ante Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszuliefern. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kriegsvergangenheit war schmerzhaft für Kroatien. Zudem wurde seitens der EU nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens das Beitrittsverfahren insgesamt verschärft, da beide Staaten zuvor gesetzte Ziele nach dem Beitritt nicht einhalten konnten. Die Fortschritte in Kroatien wurde deutlich strenger überwacht – und es war das erste Land, das ein Kapitel „Justiz und Grundrechte“ erfüllen musste. Zwei der wichtigsten Punkte waren die Schaffung einer unabhängigen Justiz und die Bekämpfung von Korruption. Über die Jahre setzte das Land ein EU-Regelwerk von fast 90 000 Seiten um.
Wie steht das Land da?
Wirtschaftlich sieht es für Kroatien nicht gerade rosig aus. Die Wirtschaft schrumpft das fünfte Jahr in Folge, die Arbeitslosigkeit unter den rund 4,4 Millionen Einwohnern ist hoch. Jeder zweite junge Mensch hat hier keinen Job. Viele befürchten, dass die Wirtschaft nach dem EU-Beitritt zumindest kurzfristig noch stärker leiden wird, weil das Land auf die europäische Konkurrenz nicht ausreichend vorbereitet ist. Vladimir Cavrak, Ökonom an der Universität Zagreb, sagt etwa, „dass die Mehrheit der kroatischen Produkte nicht genügend wettbewerbsfähig ist“. Er prophezeit Schwierigkeiten. „Die meisten kroatischen Produzenten haben weder ein ausreichendes Bewusstsein für die Gefahren und Schwierigkeiten noch für die Möglichkeiten, die der Beitritt eröffnet“, meint Cavrak. Einige kroatische Unternehmen haben bereits auf den zu erwartenden Preisdruck reagiert und angekündigt, einen Teil ihrer Produktion ins billigere Bosnien-Herzegowina zu verlegen. Während die EU-Zölle fallen, verliert Kroatien zudem einen anderen wichtigen Markt. Warenexporte Kroatiens in die Cefta-Region (Central European Free Trade Agreement) – ein Zusammenschluss von mehreren Balkanstaaten und Moldawien – waren bisher von Zöllen befreit, das wird sich jetzt ändern.
Seit 2011 wird Kroatien von einem sozial-liberalen Bündnis unter Premier Zoran Milanovic regiert. Die Konservativen waren zuvor über einen Korruptionsskandal um den früheren Premier Ivo Sanader gestolpert, der im vergangenen Herbst zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Allerdings holte das rechtskonservative Parteienbündnis in Kroatien bei den Wahlen für das Europaparlament im Mai überraschend sechs der zwölf EU-Sitze.
Gesellschaftlich hat Kroatien immer noch mit den Folgen der Kriege in den neunziger Jahren zu kämpfen. In Orten nahe der serbischen Grenze müssen ehemalige Gegner nun zusammenleben – das führt immer wieder zu Spannungen. Auf der anderen Seite wissen die Kroaten gerade durch die noch frische Kriegserfahrung die EU nicht nur als Wirtschafts-, sondern vor allem auch als Friedensprojekt zu schätzen.
Es gibt wie in vielen EU-Ländern zudem große Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Während die gut 770 000 Einwohner Zagrebs sich immer ausschließlich Europa – früher in Gestalt des Habsburgischen Reiches – zugehörig fühlten, ist die Verbindung der Landbevölkerung im Süden des Landes mit den Balkanstaaten sehr viel größer. Fast neunzig Prozent der Kroaten sind katholisch. Die Kirche hat in Kroatien auch politisch immer noch sehr großen Einfluss.
Was erhofft sich Kroatien vom EU-Beitritt?
Die Kroaten hoffen, mit europäischer Unterstützung ihr Land auf längere Sicht voranzutreiben. Dazu bauen sie vor allem auf Fördergelder der EU. Rund 655 Millionen Euro sind als Förder- und Finanzhilfen im ersten Halbjahr im EU-Haushalt vorgesehen. Das sind deutlich mehr als die dann zu zahlenden EU-Mitgliedsbeiträge Kroatiens. Das Land wird mit dem Tag des Beitritts immerhin 374 Millionen Euro Barmittel für Projekte abrufen können. In der längerfristigen Finanzplanung bis 2020 steht Kroatien dann ein zweistelliger Milliardenbetrag zu. Die Mittel sollen unter anderem dafür eingesetzt werden, das marode Schienennetz in Kroatien zu erneuern.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Im Alltag der Menschen ändert sich durch den Beitritt vorerst nicht viel: Die Einreiseregelungen in die EU bleiben, der Führerschein muss erst im Jahr 2033 an das EU-Format angepasst werden. Kroatien wird weiterhin nicht der Schengen-Zone angehören, also auch die sommerlichen Reisestaus an den Grenzen werden bleiben – wenngleich die neue EU-Außengrenze mit Überwachungseinrichtungen aufgerüstet wurde. Auch der Euro liegt in weiter Ferne. Kroatien erfüllt die Kriterien nicht. Und auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird erst in ein paar Jahren eingeführt. Außer der Slowakei, Schweden und Irland haben alle anderen EU- Staaten beschlossen, die Kroaten vorerst für zwei Jahre nicht auf ihre Arbeitsmärkte zu lassen. Die Regelung kann um drei und dann nochmals um zwei Jahre verlängert werden.
Demnach ist die Vorfreude der Menschen auf den EU-Beitritt nicht überschäumend. An der EU-Wahl Mitte April beteiligten sich nur gut 20 Prozent der Wahlberechtigten. Wie anderswo auch sinkt in Umfragen die Zustimmung zur EU seit Beginn der Krise. Die Menschen hoffen allerdings auf billigere Produkte in den Supermärkten. Experten bestätigen solche Erwartungen allerdings nicht.
Wie ist die Stimmungslage in der EU?
Die Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament und die EU-Kommission haben den Beitritt Kroatiens vorangetrieben. Dennoch gab es immer wieder Kritik, Kroatien bekämpfe die Korruption nicht vehement genug oder treibe Wirtschaftsreformen, wie die Privatisierung von Staatsbetrieben, nicht schnell genug voran. Viele EU-Politiker fürchten, mit Kroatien das nächste Krisenland in die Union zu holen – auch wenn es, anders als Griechenland, noch nicht zum Euro-Raum gehört. Die Europa-Union, ein parteiübergreifendes Bündnis deutscher Abgeordneter in Bundestag und EU-Parlament, mahnt im Begrüßungsschreiben an Kroatien: „Der Transformationsprozess ist mit dem Beitritt nicht abgeschlossen. Kroatien darf sich auf dem bisher Geleisteten nicht ausruhen.“
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