- „Im nächsten Leben? Mehr Fehler machen“
Am Ende braucht Hubertus Meyer-Burckhardt Ahle Worschd und gute Freunde, Neil Diamond und Rod Stewart. Und er wird auf seine Mutter anstoßen. Weil Glück eine Frage der Entscheidung ist
Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (Mai). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.
Thomas Hermanns, las ich im Cicero, geht nach New York, wenn der finale Countdown beginnt. Bei mir muss es Kassel sein. Ich war zu lange unterwegs; ich will, wenn’s zu Ende geht, nach Hause. Ich schiebe also Neil Diamonds Spätwerk „Home before dark“ in den CD-Player und fahre mit dem Wagen die 340 Kilometer von Hamburg nach Kassel, in meine Geburtsstadt. Unterwegs rufe ich meinen Freund Sandro Convertino an und bitte ihn, sein „La Bruschetta“ für 24 Stunden von Hamburg-Winterhude nach Kassel-Wilhelmshöhe umzusiedeln. Ich werde ihn bitten, mitten im Habichtswald, nahe der Löwenburg einen langen Tisch aufzustellen, an dem 25 Personen Platz finden können.
Da kommen dann Menschen zusammen, die mir gutgetan haben. Manche kommen inkognito, andere dürfen genannt werden, Marianne Sägebrecht etwa, Harald Wieser, in jedem Fall Wolfgang Rademann, vielleicht Hermine Zehl, Stefan Hunstein. Und die drei Ritter der Tafelrunde, die engsten der Engen, deren Namen nichts zur Sache tun. Ich werde sie bitten, Dorothee in ihre Mitte zu nehmen, meine Kinder zu umarmen und gemeinsam meine drei All-Time-Favourites von Rod Stewart zu üben: „I was only joking“, „Hard lesson to learn“ und „Gasoline alley“. Sandro muss sich an die Vorstellung gewöhnen, dass es neben Pasta auch Ahle Worschd gibt, eine nordhessische Spezialität. Wir werden das Leben feiern und über Bücher reden, die man lesen sollte. Wahrscheinlich werde ich den Text nennen, der wohl irrtümlich Jorge Luis Borges zugeschrieben wird: „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte ..., im nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.“ Wahrscheinlich gehe ich den Freunden auf die Nerven, wenn sie mindestens zwei jener drei Produktionen anschauen müssen, auf die ich als Produzent am meisten stolz bin: „Das Urteil“ (Klaus Löwitsch sehe ich ja in wenigen Stunden wieder), „Mein letzter Film“ (vielleicht kommt Hannelore Elsner auch im Wald vorbei, um „Lebewohl“ zu sagen – auf diesen Abschiedsgruß bestehe ich) und „Blaubeerblau“ von Rainer Kaufmann, dem Bruder in der Seele. Ein besonderer Mensch, ein besonderer Regisseur.
Ich glaube, in den letzten Stunden nimmt bei mir die Aufregung zu. Irgendetwas wird ja danach passieren. Langeweile wäre verdrießlich. Zur Sicherheit würde ich mit den Freunden ein paar Formalitäten besprechen, sofern der Rotweinkonsum das noch zulässt: ein Grab im Wald, bitte an einen Luftschacht denken, durch den man zur Not einmal im Monat den neuen Rolling Stone durchwerfen kann, und, falls mal Damenbesuch kommt, gerne auch das Magazin Emotion. Und Reiseliteratur.
Wenn ich schon selbst nicht mehr on the road bin, dann will ich zumindest wissen, was Merian publiziert. Verleger Thomas Ganske stammt auch aus Nordhessen. Dieser wunderbare Mann müsste ab und zu an meinem Grab vorbeischauen. Ich bin sicher, dass ich mich da auf ihn verlassen kann.
Da wir beim Reisen sind: Ich würde die Runde auffordern zu erzählen, wo „ihre“ Plätze auf der Welt sind. Wo waren sie glücklich? Wo ging alles zusammen, Seele, Schönheit der Landschaft, Reisebegleitung, Architektur, Kunst? Und ich würde ihnen empfehlen, diese Plätze noch häufig aufzusuchen. Ach, könnte ich noch einmal nach Monforte d’Alba, Panama City, Kalkutta. Aber ich will nicht klagen, im Gegenteil. Ich würde jubelnd danken für das Leben, das ich hatte. Ich täte gut daran, das Glas auf meine Mutter zu erheben, die nach der Devise lebte: „Glücklich zu sein, ist eine Entscheidung, nicht Schicksal.“ Das habe ich verinnerlicht. Ich danke für Begegnungen, für Freunde in der Not, für die wunderbarsten Kinder, die man haben kann. Es war ein besterntes Leben.
So, Freunde, ihr hattet nun genug Zeit, die drei Rod-Stewart-Songs zu üben. Legt los. Ich trinke meine letzte Flasche. Kann es mir leisten. Muss morgen nicht früh raus. Kann etwas länger liegen bleiben.
Als Fernsehproduzent hat Hubertus Meyer-Burckhardt viele Preise gewonnen, zuletzt für den Film „Blaubeerblau“. Als Autor veröffentlichte er den Roman „Die Kündigung“. Gemeinsam mit Barbara Schöneberger ist er Gastgeber der „NDR Talk Show“.
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