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() Im Gazastreifen steigt wieder die Wut auf die Amerikaner.
Warum Bin Ladens Tod nichts ändern wird

Der Tod Osama Bin Ladens ändert nichts an der Gefahr des internationalen Terrorismus, meint Berndt Georg Thamm und erklärt, wie sich Al Qaida seit 9/11 verändert hat und warum unsere Idee von der arabischen Welt nicht mit der Welt der Muslime gleichzusetzen ist.

Herr Thamm, Sie sagen, der Tod Osama Bin Ladens hätte keinerlei Einfluss auf die Gefahren, die vom islamischen Extremismus ausgehen. Warum nicht? Dafür gibt es zwei Gründe: Zum ersten ist Al Qaida keine islamistische militärische Organisation mehr. Das war sie mal zur Blütezeit des Talibanemirats in Afghanistan. Während dieses halben Jahrzehnts war Osama Bin Laden militärischer Führer, Emir und Warlord. Nach 9/11 ist aus einer ursprünglich geographisch zu ortenden militärischen Organisation eine territorial ungebundene islamistische Bewegung geworden. Deren spiritueller Führer war Osama Bin Laden. Was wurde aus Al Qaida? Von der alten Al Qaida blieb nur ein Rumpf im afghanisch-pakistanischen Grenzbereich, vornehmlich in Waziristan, übrig. Die Anzahl der Kämpfer belief sich bestenfalls noch auf ein Zehntel. Al Qaidas Führung mit Osama Bin Laden, seinem ehemaligen Stellvertreter und jetzigem neuen Al-Qaida-Chef Aiman Al-Zawahiri und den Feldkommandeuren stellte ein Scharnier zu allen möglichen Gruppen und Bewegungen dar. Darunter befinden sich sowohl nationale Gruppen in Afghanistan und Pakistan wie die Taliban-Bewegung als auch regionale Gruppen wie die turkestanische Gruppierung, also die islamische Bewegung Usbekistans, die Islamic Dschihad Union, die in ihrer Region ein Emirat errichten will. Dabei konnte Al Qaida mit ihren Kontakten bis in den Irak hinein mit Waffentechnologien und Sprengfallen helfen. Das alles fand als Erfahrungswissen Eingang in die Terror-Camps und in die Frühjahrsoffensive der Taliban. Was ist die Frühjahrsoffensive? Die Taliban verkünden jedes Frühjahr eine Offensive gegen die ungläubigen Besatzer und die Unterstützer des Karzai-Regimes. Die wird oft mit Selbstmordattentaten eingeleitet und zieht sich sozusagen über die Kriegsmonate bis in den Sommer hin. Die letzte Offensive war für die Isaf und die Operation Enduring Freedom die verlustreichste überhaupt. Das wird nun seit einem halben Jahrzehnt durchgezogen, Jahr für Jahr. Und Al Qaida spielt als Hinweisgeber und Unterstützer in vielerlei Hinsicht eine Rolle. Und der zweite Grund dafür, dass der Tod Bin Ladens den internationalen Terror nicht schwächen wird? Nach 9/11, nach der Zerschlagung der alten Al Qaida und der Neuorientierung im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, haben sich weitere Gruppen vernetzt und Bewegungen zu Bündnissen zusammengeschlossen. Da wäre besonders die Fusion des saudisch-jemenitischen Al-Qaida-Bereichs auf der arabischen Halbinsel zu erwähnen oder die Bewegung Al-Qaida islamischer Maghreb, die für die Anschläge in Marrakesch verantwortlich ist. Es gab aber auch Anschläge in der Subsahara, es gibt Gruppierungen im Irak, in Indien, in Südostasien, gar in Indonesien… …und in Deutschland. Vergangene Woche wurden bei uns drei Männer mit Anschlagsplänen festgenommen… Die drei jungen Männer, die sogenannte Düsseldorfer Zelle, haben einen Teil ihrer Ausbildung in den Terror-Camps verbracht. Außerdem haben sie die Order bekommen, sich hier in Deutschland terroristisch zu betätigen. Wer gibt eine solche Order aus? In den Camps, wo Ausbildungen durchlaufen werden, bestehen Querkontakte zur Rumpf-Al-Qaida. Führungspersonen und Feldkommandeure geben ihren Adepten nach Abschluss der Ausbildung oder nach der Unterweisung diese Order. Diese Al Qaida ist keine Militärorganisation mit pyramidalem Aufbau und einer intakten Befehlskette von oben nach unten. Was bedeuten die arabischen Freiheitsbewegungen für den Terrorismus? Zeigt die Jugend dort nicht, dass man ohne Gewalt weiter kommt? Das ist nur bedingt der Fall. Die Dar al Islam, die islamische Welt, besteht nicht nur aus der arabisch-islamischen Welt. Der überwiegende Teil der Muslime lebt außerhalb der arabischen Welt. Die arabische Welt stellt sozusagen nur einen Teil dar. Das größte islamische Land der Welt ist zum Beispiel Indonesien. Dort leben malayische Völker, keine arabischen Völker. Das heißt, auch außerhalb der arabisch-islamischen Welt sind sehr potente und vor allem auch militante Bewegungen entstanden. Denken Sie nur an die Jamaa Islamiya in Indonesien, die für die Bali-Anschläge verantwortlich gemacht wird oder an die Konfliktregion Nordkaukasus, wo die kaukasischen Stämme unter dem Emir versuchen, ein norkaukasisches Emirat zu errichten. So kam es zu den jüngsten Anschlägen am Airport in Moskau oder zu den Terroranschlägen in der Moskauer U-Bahn durch die Schwarzen Witwen. Wir können uns bei der Dar al Islam nicht nur auf den arabischen Teil kaprizieren, weil die Globalität eine ganz andere ist. Mit anderen Worten, keinerlei Entwarnung was den internationalen Terrorismus angeht – trotz der erfolgreichen Jagd auf Osama Bin Laden… …keinerlei Entwarnung. Man muss sogar noch eins draufsetzen: Daneben bedrohen uns hier natürlich insbesondere die sogenannten Homegrown Terrorists. In Europa aber auch in den USA sind hochmotivierte Einzeltäter aufgetreten. In Deutschland, am Frankfurter Flughafen, gab es in diesem Jahr den ersten Anschlag, der „erfolgreich“ durchgezogen wurde, der nicht verhindert werden konnte. Und er ist durch einen Einzeltäter erfolgt. Der Anschlag hat medial überhaupt nicht die dramatische Bewertung bekommen, die er eigentlich verdient hätte, denn bis dahin sind alle Anschläge im Vorfeld glücklicherweise verhindert worden – einschließlich dessen, was die Düsseldorfer Zelle vorgehabt hat. Dieser Frankfurter Anschlag wird jedoch nicht der letzte bleiben, davon bin ich fest überzeugt. Das Interview führte Marie Preuß

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