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() Unter dem Titel "Islam - die missverstandene Religion" wurde kürzlich in Frankfurt demonstriert.

Armina Omerika - „Der Islam muss ins Grundgesetz“

Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika sorgte für Aufsehen, als sie die Äußerungen des neuen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrichs (CSU) zum Islam in Deutschland offen kritisierte. Der hatte bei seinem Antritt gesagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland.

Auf der Islamkonferenz vor zwei Wochen ist es zu einem Eklat gekommen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat angezweifelt, dass der Islam überhaupt zu Deutschland gehöre, Sie haben ihm heftig widersprochen. Was erwarten Sie von der nächsten Konferenz?
Während und nach der Konferenz ist deutlich geworden, dass es noch großen Diskussionsbedarf mit dem Bundesinnenminister gibt. Der Islam gehört spätestens seit der Anwerbung von Gastarbeitern im Jahr 1961 zu Deutschland. Seitdem ist er im Alltag der Städte und Dörfer präsent und die Geschichte seiner Präsenz in diesem Land ist ein Teil der Geschichte des demokratischen Nachkriegsdeutschlands, mit allem, was dazu gehört. Mittlerweile haben in großen Städten wie Köln 50 Prozent der Kinder unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund, davon sind viele muslimisch. Und die Zahlen steigen. Herr Friedrich muss nun erst einmal für sich klären, ob er glaubt, dass der Islam Teil Deutschlands ist, und auch, ob der Islam Teil der Zukunft Deutschlands sein soll und auf welche Art und Weise. Diese Fragen sind entscheidend für die Fortführung des Dialogs.

Wie haben sie den neuen Bundesinnenminister empfunden. Ist er eine Fehlbesetzung?
Wir müssen mit ihm zusammenarbeiten, es führt kein Weg daran vorbei. Ich wünsche mir, dass sich der Innenminister mit den Realitäten des Islams und der Muslime in Deutschland auseinandersetzt. Herr Friedrich muss sich viel mehr als bisher über die Folgen seiner Äußerungen im Klaren werden. Seine Worte sind die des Bundesinnenministers und haben damit unmittelbar Relevanz. Ob er nachdenken wird, ob er sich mit dem Thema wirklich beschäftigen wird? Das müssen wir sehen.

Wenn der Islam zur Zukunft dieses Landes gehört, was muss sich dann verändern?
Der Islam muss im Rahmen der Verfassung als gleichberechtigte Religion anerkannt werden. Ich erhoffe mir davon aber auch, dass die Gleichstellung in einem demokratischen, säkularen Staat positive Rückwirkungen auf den Islam selbst hat. Religionen sind keine starren und unveränderbaren Systeme. Im Gegenteil. Sie entwickeln sich im jeweiligen sozialen und historischen Umfeld. Die islamische Zivilisation und Kultur haben sich auch in der historischen Begegnung mit anderen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen entfaltet, die teilweise zu kulturellen Höchstleistungen geführt haben. Ich hoffe auf eine Fortentwicklung des islamischen Gedankens und ein verstärktes gesellschaftliches Engagement der Muslime für und in der deutschen Gesellschaft. Die Muslime müssen aus ihren ethnischen Nischen herauskommen. Langfristig wird damit eine Veränderung des Islambildes in Deutschland und Europa einhergehen.

Was für Einstellungen sollen die Muslime verändern?
Ein Beispiel: Den Stellenwert von Bildung kann man im Islam theologisch begründen, im Lebensalltag der Muslime in Deutschland steht er aber häufig nach wie vor hinten an. Dieser Wert muss innerhalb der islamischen Community erkannt und stärker gefördert werden. Nur ganz langsam, zu langsam, beginnt in den Familien ein Umdenken. Bildung ist die Aufstiegschance für Menschen in der Gesellschaft schlechthin - und zwar unabhängig von Herkunft und Religion. Damit einher geht beispielsweise auch die Überwindung der patriarchalischen Strukturen innerhalb der Familien. Entgegen allen Vorurteilen ist es sehr wohl möglich, die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus dem Islam theologisch herzuleiten und diese mit den Vorstellungen von Gleichberechtigung, wie sie in unserem Grundgesetz steht, in Einklang zu bringen.

Das heißt, Sie plädieren für eine Reform der Auslegung des Islam, eine Aufklärung innerhalb des Islam?
Es gibt in der islamischen Theologie wichtige reformistische Impulse. Was ich erwarte ist, dass die Muslime in Deutschland diese Vorstöße stärker als bisher aufgreifen, in die Gemeinden hineintragen. Durch die staatliche Anerkennung des Islam als Religion gäbe es eine deutliche Trennung zwischen der religiösen und säkularen Sphäre, so wie es das Grundgesetz ohnehin vorschreibt. Soziale Probleme, wie mangelnde Bildung und Arbeitslosigkeit, würden dann nicht mit der Zugehörigkeit zum Islam verwechselt und vermischt werden. Eine klarere Definition der religiösen Kompetenzsphäre durch die Anerkennung würde einer „Islamisierung aller Muslime“ entgegen wirken.


Lesen Sie im zweiten Teil, wie Armina Omerika über die Thesen Thilo Sarrazins denkt.



Viele Menschen diskutieren über Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Auch wenn es von großen Teilen der Intellektuellen und der Politik abgelehnt wird, hat es den Nerv der Bevölkerung getroffen. In welchen Punkten hat Thilo Sarrazin mit seinen Thesen Recht?
Der Erfolg des Buches beruht darauf, dass er Ängste in den Menschen angesprochen hat. Und Menschen sehen sich gerne in dem bestätigt, was ihr bereits vorhandenes Bild der Realität, ihre Vorurteile und ihre Emotionen stützt. Das Buch arbeitet zwar mit Statistiken. Abgesehen von manchen Zahlen, von denen er bereits zugegeben hat, sie frei erfunden zu haben, hat er die Statistiken falsch gedeutet, in Begründungs- und Erklärungszusammenhänge gesetzt, die so nicht haltbar sind.

Gibt es nichts, was an den Vorurteilen in Teilen der Bevölkerung tatsächlich zutrifft?
Es stimmt durchaus, dass die Aufstiegschancen von Menschen mit Migrationshintergrund nicht die gleichen sind wie die von ethnisch Deutschen. Es gibt tatsächlich eine hohe Arbeitslosigkeit unter Migranten, auch die Schulabbrecherquoten sind besorgniserregend. Die Frage ist nur: Was sind die Ursachen dafür? Ist es ein Mangel an Integrationswillen, wie Sarrazin und seine Unterstützer unterstellen, oder sind diese Sachverhalte nicht eher systemisch bedingt? Bei Bewerbungen beispielsweise werden Menschen mit gleicher Qualifikation mit einem ausländisch klingenden Namen fünfmal seltener eingeladen als wenn sie Meier oder Schmidt heißen.

Türken gelten als weniger gut integriert als andere Einwandergruppen.
Das kann man nicht so vereinfacht stehen lassen. Für eine erfolgreiche Integration sind das soziale Milieu und der Bildungshintergrund viel entscheidender als die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit. In Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise unter den Kindern italienischer Einwanderer viel mehr Schulabbrecher ohne Hauptschulabschluss zu finden als unter den Türken. Und unter Türken wiederum finden sie viel mehr Menschen mit einer bäuerlichen und einfachen Herkunft als unter den ebenfalls muslimischen Iranern. Diese kommen oft aus Akademikerfamilien und entsprechend erfolgreich agieren sie in Deutschland. Genau diese feinen Unterscheidungen und Kontextualisierungen macht Thilo Sarrazin nicht. Die Debatte zeigt, dass der Islam mittlerweile zu einem Ersatzkomplex, zu einem Ersatzdiskurs geworden ist, über den fast alle gesellschaftlichen Probleme, die mit Pluralisierung der deutschen Gesellschaft zusammenhängen, verhandelt werden. Dazu gehört das Thema Gewalt, Arbeitslosigkeit, Schulabschlüsse, Unterdrückung von Frauen und überhaupt das Gefühl, verloren im eigenen Land zu sein. Salopp gesagt: An allem soll der Islam Schuld sein. Das macht es für die Muslime nicht einfacher.

Hängt mit dem Thema Angst auch zusammen, dass nationalistische und fundamentalistische Tendenzen in ganz Europa wieder aufleben?
Ja. Diese Prozesse der Pluralisierung von Gesellschaften haben das Aufleben sowohl von religiös fundamentalistischen als auch von rechten nationalistischen Bewegungen zur Folge. Eins ist dem Nationalismus immer zu eigen: Die Furcht und Wahrnehmung einer Bedrohung, die angeblich von dem Fremden, von dem Anderen ausgeht. Das Andere dient als Gegenpol zur Definition des Eigenen, zur Stärkung einer nationalen Homogenität. Menschen fühlen, dass es zu Neuausrichtungen von nationalen Identitäten kommt und viele sehen diese Neuausrichtungen nicht als Bereicherung, sondern haben Angst davor. Aber wie will man in Zeiten der Globalisierung die alten nationalen Formen von Identität aufrecht erhalten? Das geht nicht.

Brauchen wir eine neue deutsche Identität?
In der Tat. Dazu gehört Multiethnizität, Bilingualität, häufig auch Polylingualität, aber auch Multireligiosität, die nicht nur die hier historisch beheimateten Religionen einschließt. Der alte Begriff einer Kulturnation muss durch den Begriff einer politischen Gemeinschaft ersetzt werden, die sich an den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates und der deutschen Verfassung orientiert. Der Alltag ist da viel weiter als die Politik: Zu Weißwurst und Sauerkraut ist schon lange Pasta und Pizza hinzugekommen. Und auch der Döner ist schon längst ein deutsches Gericht und macht der Currywurst mächtig Konkurrenz. Immer mehr Menschen, die nach der herkömmlichen Definition keine Deutschen wären, fühlen sich als solche – denn dieses Land ist ihre primäre Umgebung, an der sie ihr Leben orientieren.

Sie leben als bosnische Muslimin seit 20 Jahren in Deutschland. 2005 sind Sie in die USA gegangen, dann zurückgekehrt. Was hat Sie dazu bewogen? Was mögen sie an Deutschland?
Nun, zunächst einmal sah ich zu jenem Zeitpunkt als Wissenschaftlerin in Deutschland weniger Möglichkeiten für mich als in den USA, was in diesem Fall aber nichts mit meinem Migrationshintergrund zu tun hatte. Man darf grundsätzlich aber nicht vergessen, dass Deutschland mittlerweile vom Einwanderungs- zum Auswanderungsland geworden ist, unter anderem auch deshalb, weil vielen Menschen mit Migrationshintergrund - auch wenn Sie Abitur und Studium haben - kaum adäquate Aufstiegschancen geboten werden. Tja, warum bin ich trotzdem zurückgekehrt? Meine Familie lebt hier, meine Freunde, ich mag die deutsche Sprache. Und mich hat immer besonders die Fähigkeit zur Selbstkritik der Deutschen aufgrund der historischen Verfehlungen während des Dritten Reichs beeindruckt. Ich glaube, es gibt kaum ein Land, das so viel, so offen, so reflexiv über seine Vergangenheit und auch über andere gesellschaftliche Themen diskutiert. Es war diese sehr sachliche, intellektuelle Haltung, in der in Deutschland Diskurse geführt werden, die in der emotional sehr polarisierten Bush-Ära kaum Raum in der breiten amerikanischen Öffentlichkeit hatten. Ich habe Deutschland in seiner Art sehr vermisst, die Form, die Gründlichkeit der Auseinandersetzungen umso mehr schätzen gelernt. Jetzt allerdings droht dieses Reflektierende im Diskurs um Integration und Islam verloren zu gehen. Wir müssen wieder dahin zurück finden.

Das Interview führte Annette Rollmann

 

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