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(picture alliance) Professor Klaus Schweinsberg

Klaus Schweinsberg - „Wir stehen vor einem Epochenwandel“

„Sind wir noch zu retten?“, fragt der Wirtschaftswissenschaftler und Ex-"Capital" Chefredakteur Klaus Schweinsberg in seinem Buch und warnt vor dem Systeminfarkt der westlichen Zivilisation. Ein Gespräch über Energiekrisen, direkte Demokratie und die ökonomischen Folgen der Katastrophe in Japan

Professor Schweinsberg, wie wird sich die Katastrophe in Japan auf die Wirtschaft auswirken?
In Japan wird uns gerade in erschreckender Weise vor Augen geführt, wie ein multiples Organversagen aussieht. Im Prinzip ein Paradebeispiel für die Art von möglichem, multiplen Organversagen, wie ich es in meinem Buch auch für unsere Gesellschaft beschreibe. Und ich fürchte, wir sehen in Japan aktuell noch nicht alles und es wird sich zuspitzen, auch politisch. Aber konkret zur Ihrer Frage, was es für die Wirtschaft bedeutet. Die Börse in Japan stürzt ab, dem Land steht eine jahrelange mühsame Kärrnerarbeit bevor, um den status quo ante wieder zu erreichen. Was bedeutet es für die Weltwirtschaft? Der Machbarkeits- und Berechenbarkeitswahn der Wirtschaft erhält in kürzester Zeit den zweiten Dämpfer. Die Finanzkrise zeigte uns erstmals die Grenzen unseres Einflusses. Das Erdbeben in Japan das zweite Mal. Ich bin davon überzeugt, dass wir vor einem Epochenwandel stehen - wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Seltsamerweise kamen die Systembrüche immer in der zweiten Dekade eines Jahrhunderts. Das war 1517 so, 1618, 1713, 1815 und 1914. Und ich fürchte, dass wir auch gerade jetzt auf einen Systemkollaps zusteuern.

Nicht nur die nukleare Katastrophe in Japan stellt unser momentanes Energiekonzept in Frage. Mit dem Bürgerkrieg in Libyen ist auch eine der größten Ölreserven des afrikanischen Kontinents in Gefahr. Müssen wir uns ernsthaft um unsere Energiequellen sorgen?
Dass wir Aufgrund des knapper werdenden Öls Probleme bekommen, glaube ich eher nicht. Da gibt es einen Preismechanismus, der an der Stelle auch funktioniert: Je höher der Ölpreis, desto schneller sucht man nach Alternativen. Das ist der klassische Substitutionseffekt. Ich war gerade in Marrakesch, auf einer Konferenz zur Solarenergie, auf der die Dinge von der Branche natürlich aus einer vorhersehbaren Perspektive dargestellt werden. Trotzdem ist es ziemlich realistisch, dass die Deutschen bereits um 2050 herum ihren gesamten Energieverbrauch aus regenerativen Energien beziehen könnte. Dafür sprechen die Zahlen, das hat nicht die Lobby ermittelt, sondern der Sachverständigenrat.

Momentan nutzen die Ölkonzerne offenbar noch die Abhängigkeit der Konsumenten: Sie rechtfertigen mit der Krise in Arabien ihre Preiserhöhungen...
Ja, ich glaube die Ölkonzerne sind ohnehin ein Thema, genau wie alle anderen, sehr, sehr großen Firmen. Aber vor allem, weil sie schon durch ihre schiere Größe Risiken von einem Ausmaß produzieren, die sie selber offenbar nicht stemmen können. Selbst ein vergleichsweise kleiner Vorfall wie der Schaden auf der Ölplattform vor der amerikanischen Küste wirft einen Laden wie BP schon um. Das gilt besonders, aber nicht nur für den Rohstoffsektor...

Inwiefern?
Nun, der österreichische Sozialwissenschaftler Leopold Kohr stellte schon in den 50ern die These auf, dass Organisationen ab einer gewissen Größe letztlich nicht mehr steuerbar sind. Kohr meinte damit vor allem Staaten, und hat deshalb unter anderem auch den Sturz der Sowjetunion prognostiziert. Die Theorie gilt aber sehr wohl auch für Unternehmen, insbesondere wenn man sich anschaut, welche eklatanten Probleme wir mit sehr großen Finanzinstitutionen hatten. Und wenn – wie in der Schweiz – die Bilanzsumme einer Bank wie UBS höher ist, als das Bruttosozialprodukt des Landes, dann haben wir ein Problem. Und mit Blick auf Irland sehen wir, wohin es führen kann, wenn Banken mit ihrer Größe quasi die Staatsfinanzen aus den Angeln heben. Das ist dann schlichtweg eine Perversion des Wirtschaftssystems.

Experten befürchten, dass die Fälle Irland und Griechenland überhaupt erst der Anfang waren, dass die Summen von Ländern wie Portugal, Belgien oder Spanien noch weit darüber hinaus schießen könnten. Ist das plausibel?
Im Moment ist es verdächtig ruhig, wobei gerade auch keine großen Umschuldungen mehr anstehen. Ende März kommt noch einmal etwas für Spanien, das wird aber glaube ich problemlos laufen. Spannend wird es dann erst wieder im Spätsommer, weil da eine große Tranche für Italien kommt, und wir sehen ja wie es dort momentan läuft. Italien hat in den nächsten 3 Jahren 500 Milliarden vor der Brust, das ist ein echtes Thema. Dann die Frage Belgien, ganz klar. Wenn die noch mal 100 Tage keine Regierung haben, werden die Finanzmärkte dann doch nervös. Portugal ist meiner Meinung nach nicht so kritisch, das ist klein, das kann man auffangen. Wo allerdings viele, auch aus der Politik mit Sorge hinschauen, ist nach Frankreich. Das wird nie so ausgesprochen, ist aber so. Einerseits weil der Haushalt nicht so richtig in Ordnung ist, andererseits, weil die in den ganzen problematischen Ländern extrem engagiert sind. Insofern vermute ich, dass wir spätestens im Herbst wieder extrem hohen Druck auf den Euro bekommen werden.

Und dass mit einer höchst wackligen Europäischen Zentralbank. Mittlerweile steht die EZB praktisch kurz vor der Insolvenz, und niemand scheint sich weiter darüber aufzuregen. Warum eigentlich nicht?
Weil das Thema von den Leuten so weit weg ist. Der Zahlungsfluss funktioniert, es geht in Deutschland wirtschaftlich irgendwie aufwärts, da regt sich eben keiner auf. Der einzig kritische Punkt in den letzten zwei Jahren war – und da ist die Politik ja damals mit Steinbrück und Merkel sehr schnell eingeschritten – als das Gerücht aufkam, die Spareinlagen seien nicht mehr sicher. In dem Punkt sind die Deutschen extrem empfindlich, und sie werden auch empfindlich reagieren, wenn eine merkliche Inflation anrollen sollte, weil dieses Thema in Deutschland fast schon genetisch Ängste produziert.

In Ihrem unlängst erschienenen Buch „Sind wir noch zu retten“ sehen Sie neben Schuldenkrise und Inflation noch diverse andere, potentielle Brandherde – Vergreisung, Rechtsruck oder Terrorismus - auf uns zukommen. Schlimmstenfalls prognostizieren Sie unsrem System den Totalausfall. Das klingt milde apokalyptisch. Auf was genau müssten wir uns einstellen?
Der ehemalige „Time“-Herausgeber Joshua Cooper Ramo hat einmal ein kluges Buch, „Das Zeitalter des Undenkbaren“ herausgegeben. Ihm geht es nicht darum, den Zusammenbruch zu verhindern oder im Detail zu prognostizieren, sondern darum, wie man die Gesellschaft für den Ernstfall mit einer gewissen, inneren Grundstabilität ausrüsten kann, um so einen Systeminfarkt zu ertragen.

Was hieße das konkret?
Um ein Beispiel zu nennen: Ich kann natürlich versuchen zu verhindern, dass die Renten in Deutschland nicht mehr ausbezahlt werden und das Zahlungswesen in Deutschland zusammenbricht. Ich kann aber auch überlegen, wie ich das Land in so einem Fall vor einem Volksaufstand bewahren kann. Das hat dann vor allem etwas mit Psychologie zu tun. Oder ich kann versuchen zu verhindern, dass Deutschland einmal von einem Rechtspopulisten regiert wird, oder das Parlament von der BILD-Zeitung ersetzt wird, siehe die letzten Wochen. Ich könnte aber auch umgekehrt sagen: Gehen wir einmal davon aus, das geschieht eines Tages, wie gehen wir dann damit um? Also, wir haben momentan in Europa eine derartige Verschränkung von Unzulänglichkeiten im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Raum, dass ich die Gefahr eines Systeminfarktes für höher als 50 Prozent halte. Mir geht es aber nicht um die Apokalypse, sondern um die Frage: Wie würden wir dann reagieren? Panisch, oder professionell gelassen? Im Moment glaube ich eher panisch. Weil wir die Idee haben, es muss alles so bleiben wie es ist, und jede Änderung des Status quo ist eigentlich schon Verderbnis.

Wenn in einer überalterten Gesellschaft die Renten ausfallen, wird eine alte Mehrheit zur echten Belastung für eine junge Minderheit, Themen wie die Sterbehilfe bekämen eine völlig neue Dimension. Man stellt sich vor, dass eine solche Gesellschaft ein starkes, moralisches Rückgrat bräuchte.
Natürlich, wobei ich glaube, dass der Durchschnittsdeutsche eigentlich ein sehr moralischer Mensch ist, auch wenn von den Eliten in den letzten Jahrzehnten vielfach das Gegenteil vorgelebt wurde. Wenn Thyssen Krupp eine Kartellstrafe über 480 Millionen kriegt - die dem Unternehmen nicht mehr als eine Fußnote im Geschäftsbericht wert ist - und kein Mensch entschuldigt sich, wie will ich dann gegenüber dem 16jährigen argumentieren, der eine Packung Zigaretten mitgehen lässt? Gleichzeitig hockt dann der gesamte 11er Rat der Dax 30 Vorsitzenden auf irgendwelchen Initiativen für Verantwortung herum, und erwartet, dass die Bevölkerung sie bejubelt, dafür dass sie dort sitzen. Aber das hat noch nichts damit zu tun, dass sie etwas tatsächlich Sinnvolles für die Res Publica getan hätten. Mir fehlt also bei den Eliten schon sehr die Vorbildfunktion. Denn wenn es bei der aufgeladenen Stimmung auch noch Verfehlungen seitens der Unternehmensvertreter gibt, wird das gesamte System entwertet.

Um das Vertrauen in die Eliten wieder herzustellen, schlagen Sie in ihrem Buch unorthodoxe Therapiemethoden vor: Zum Beispiel, die Steuerdaten öffentlich einsehbar zu machen. Meinen Sie das ernst?
Vollkommen. Zu meiner Zeit als Capital-Chefredakteur habe ich meine eigenen Daten bereits veröffentlicht. Damals gab es diesen Generalverdacht alle Unternehmer wären Steuerhinterzieher. Deshalb haben wir alle Bundesminister und Dax 30 Vorstandschefs angeschrieben und gesagt: Ihr habt doch nichts zu verbergen, macht doch öffentlich wie viel ihr in diesem Land Steuern zahlt, da könnt ihr doch stolz drauf sein. Interessanterweise haben einige Wirtschaftsleute darauf geantwortet, aber kein einziger Politiker. Gehaltslisten zu veröffentlichen, das weckt immer Neid. Aber zu sagen: Guckt mal, das ist der größte Steuerzahler in Deutschland? Ich glaube, das würde von der Gesamtbevölkerung durchaus positiv aufgenommen werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Form der direkten Demokratie die Krise der deutschen Politik entschärfen könnte, und wie sich die Durchschnittsqualität deutscher Politiker heben ließe.

Das Misstrauen vieler Deutscher richtet sich neben der Wirtschaftselite vor allem gegen die Politik. Der Fall Guttenberg hat da nicht geholfen.
Ja, und ich glaube, was der Fall Guttenberg und BILD sehr deutlich gemacht hat ist, wie weit wir inzwischen von der Grundidee unserer demokratischen Systeme entfernt sind. Dass die repräsentative Demokratie offenbar nicht mehr getragen wird vom Volk, das sich jetzt anderer Mechanismen bedient. Und wenn die Politik nicht relativ rasch neue Gefäße für Artikulation anbietet, dann wird sie sich anderswo eine Bahn brechen, siehe Stuttgart 21. Das wird übrigens in unserer alternden Gesellschaft noch zunehmen. Mir sagte neulich der ehemalige Staatsminister Miller, heute ein rüstiger Herr, er hätte eines gelernt im Alter: Die Politik müsse im Wesentlichen die Rentner gewinnen. Die haben nicht nur unendlich viel Zeit, sondern haben sich heute auch mit Rechnern und Internet hochgerüstet. Mit diesen Recherchetools könnten sie also bald bei Kommunalprojekten zum allergrößten Störfaktor werden. Mit einem derartig aufmunitioniertem Publikum kommen schlecht vorbereitete Politiker auf Bürgerversammlungen mit der Basta-Politik bald nicht mehr weit.

Sie selbst kritisieren überhaupt die starke Stellung des Parlaments, auch weil der Bürger nach jeder Wahl für vier Jahre entmündigt ist. Stattdessen propagieren Sie die direkte Demokratie. Wie genau stellen Sie sich das vor?
Also, ich würde die direkte Demokratie in Deutschland auch aus taktischen Gründen nicht zuerst auf Bundesebene einführen. Wo es das bereits gibt, und man es flächendeckend einführen sollte, ist auf kommunaler Ebene. Auch um Sachen wie Stuttgart 21 in Zukunft zu verhindern. Das wird auch kommen, schon heute lassen sich ja in manchen Gemeinden mangels Kandidaten keine Gemeinderäte mehr konstituieren. Auf Landesebene gilt das Gleiche, auch da gab es ja bereits zaghafte Vorstöße, wie in Hamburg. Auf Bundesebene sollte es zumindest hohe Hürden geben, um Nummern zu verhindern, wie Kohl sie seinerzeit abgezogen hat, der letztlich die Verfassung veränderte, ohne das Volk zu befragen. Man muss dann halt damit leben können, dass das Volk bestimmte Vorhaben nicht mitmacht. Ein anderer, wesentlicher Punkt ist – siehe auch hier wieder Guttenberg - dass die Leute es satt sind, Parteilisten mit ewig Mittelmäßigen vorgesetzt zu bekommen, und glaube ich doch gerne ein bisschen mehr Einfluss darauf hätten, wer oben und wer unten steht. Da gibt es ja verschiedenste erprobte Wahlverfahren, zum Beispiel Kumulieren oder Panaschieren. Das alles wäre ein erster Schritt, dieser Ohnmacht der Wähler entgegenwirken, die zunehmend das Gefühl haben, es sei eh egal was sie wählen, weil ihnen ohnehin ein Menü vorgesetzt wird, was sie nicht bestellt haben. Tatsächlich glaube ich außerdem, dass auch die durchschnittliche Qualität des deutschen Politikers gesunken ist. Ich vermute, wenn sich das Parlament morgen per Zufallsmechanismus willkürlich aus der Bevölkerung zusammensetzte, würde es keinen schlechteren Job machen als heute.

Warum soll ihrer Meinung nach die Durchschnittsqualität unserer Politiker gesunken sein?
Ich glaube jeder Job hat eine Nutzenfunktion. Da gibt es drei Komponenten: Die monetäre Komponente, was verdiene ich da? Den intrinsischen Nutzen: Was kann ich da bewegen? Und den Statusnutzen. Über den finanziellen Nutzen brauchen wir gar nicht zu reden, Politik ist ein schlechtes Geschäft. Der Bewegungsnutzen ist ebenfalls weitgehend weg: Wenn ich klare Überzeugungen habe, darf ich nicht in die Politik gehen, weil ich die nie hundertprozentig durchsetzen kann. Also bleibt der Statusnutzen. Und wer sich diese Ochsentour wirklich antun will, jahrelang in irgendwelchen Bezirksversammlungen zu hocken und über Geschäftsordnungsanträge abzustimmen um sich am Ende des Tages als Minister ständig vorführen zu lassen, der muss einen derart starken Statustrieb haben, dass das automatisch zu einer konsequenten Fehlauswahl von Leuten führt. Und auch ein Guttenberg ist eben um keinen Deut besser als ein Scharping oder ein Schröder, das kann man ihm auch nicht vorwerfen. Für die alle war der Status des Staatsmannes wichtig, und dafür opfern sie eben vieles andere.

Wie also ließe sich die Auswahl unseres politischen Personals verbessern?
Ein Thema ist sicher das ökonomische. Da gibt es in manchen amerikanischen Bundesstaaten das Modell, dass Leute für die Zeit ihres Mandates ihr vorheriges Gehalt weiter beziehen. Dazu sollte man die Amtszeiten auf maximal 2 Perioden deckeln. Drittens finde ich - das ist sogar in der Verfassung verankert, nur müsste man es aktivieren – dass Beamte nicht wählbar sein dürften. Damit säße 70 Prozent des heutigen Personals nicht mehr im Parlament. Und schon hätten wir eine völlig neue Ausgangslage geschaffen.

Das Interview führte Constantin Magnis

Professor Dr. Klaus Schweinsberg: Sind wir noch zu retten? Warum Staat, Markt und Gesellschaft auf einen Systemkollaps zusteuern. FinanzBuch Verlag, ISBN
978-3-89879-597-5

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