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Hans-Jochen Vogel:Merkel ist schwer berechenbar
Anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung hat Cicero bekannte Politiker darum gebeten, ihre ganz persönliche Sicht auf die politische Konkurrenz zu schildern: Wie haben sich die Parteien in dieser Zeit gewandelt? Lesen Sie hier, was der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel über die CDU denkt:
Seit der Wiedervereinigung, die das zentrale Ereignis in unserer jüngeren Geschichte war, haben sich die Lebensverhältnisse in unserem Land grundlegend geändert. Ökonomie, Migration und Demografie trugen dazu bei. Die Kluft zwischen Arm und Reich wuchs. Statt drei werben jetzt fünf Parteien um Stimmen. Die Zahl der Stammwähler schrumpfte, die der Wechsel- oder Nichtwähler nahm zu, und unter dem Druck der Verhältnisse änderte sich das Erscheinungsbild der Parteien insgesamt ebenso wie ihre inhaltliche Ausrichtung. Auch die CDU hat sich gewandelt. Sie übernahm viele sozialdemokratische Positionen – beispielsweise in der Familienpolitik – und hat sich weit von früheren Parteitagsbeschlüssen, etwa den neoliberalen Grundsätzen des Leipziger Parteitags von 2003, entfernt. Gelegentlich fordert sie sogar, den sozialen Charakter der Marktwirtschaft durch staatliche Rahmensetzungen zu sichern und die Banken stärker zu kontrollieren.
Die konservativen Kräfte innerhalb der CDU haben damit große Probleme. Es irritiert sie, dass die Union Koalitionen mit den Grünen nicht mehr grundsätzlich ausschließt und solche in zwei Bundesländern bereits eingegangen ist. Wer sich dabei stärker bewegt hat, mag offenbleiben; im Bildungs- und im Umweltbereich (vom Atomausstieg einmal abgesehen) unter dem Druck der jeweiligen Mehrheitsverhältnisse aber doch wohl die Union. Und die Führung? Von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl hatte jeder CDU-Kanzler seinen eigenen Führungsstil. Die gegenwärtige Bundeskanzlerin neigt dazu, situationsbedingt zu entscheiden. Sie ist schwer berechenbar. Das alles sagt kein Beckmesser, sondern ein alter Sozialdemokrat, der weiß, dass die CDU innerhalb des demokratischen Spektrums unverzichtbar ist.
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