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Fernsehen und Fruchtbarkeit - Geburtenknick dank Daily Soap

Ein US-amerikanischer Forscher behauptet: Fernsehen verringert die Fruchtbarkeit. Auf jeden Fall produziert es sehr robuste Rollenbilder für Mann und Frau, auch hierzulande

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die erfolgreichste Anti-Baby-Pille der Gegenwart heißt Telenovela oder Daily Soap. Es sind die kitschigen Fließbandprodukte der Fernsehindustrie, die den Frauen ihre Gebärlust nehmen: Zu dieser einigermaßen überraschenden Erkenntnis gelangte ein Forscher der angesehenen Stanford University. Martin W. Lewis heißt der Mann, er lehrt historische Geografie an der kalifornischen Elite-Uni, und er schreibt in einem Beitrag für „Geocurrents“: „Das Fernsehen verringert die Fruchtbarkeit.“

Wenn Lewis nicht komplett falsch liegt, ist ein gewaltiges politisches Umdenken angesagt. Noch so viele Mittel können dann hierzulande in eine flächendeckende Kleinkindbetreuung oder in familienfreundliche Betriebe investiert werden; es wird nichts nutzen, solange die umworbenen Frauen weiterhin intensiv fernsehen. Und umgekehrt lassen sich sämtliche Aufklärungs- und Präventionskampagnen in den armen Ländern der südlichen Erdhalbkugel einsparen. Stellt den Menschen Fernsehgeräte in die Slums und Favelas, und schon sinkt die Geburtenrate wie von Zauberhand. „Vale Tudo“ und „Terra Nostra“ erledigen dann in Brasilien, was „Qubool Hai“ in Indien längst vermochte und „Verbotene Liebe“ und „Unter uns“ vielleicht in deutschen Landen schon getan haben: Sie dämpfen den Wunsch nach Nachwuchs.

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Lewis legt in seinem Aufsatz zum „Mythos“ der Bevölkerungsexplosion dar, dass die Population weltweit fast überall zurückgeht, abgesehen von Zentralafrika und einigen asiatischen Regionen. In Indien und Brasilien sei der Rückgang am dramatischsten. Die brasilianische Fruchtbarkeitsrate ist demnach von 6,25 Kindern pro Frau im Jahre 1960 auf 1,81 Kinder pro Frau im Jahre 2011 implodiert und wird selbst von den Vereinigten Staaten mit 1,93 übertroffen. Im südlichen Indien liege sie unter 1,90, auf dem gesamten Subkontinent bei 2,5.

Natürlich gibt es dafür mannigfache Gründe. Signifikant aber sei eben auch der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Fernsehens und dem Rückgang der Nachkommen. Bereits 2008 hieß es in einer Studie für die in Lateinamerika und der Karibik tätige „Inter-American Development Bank“, dass Frauen, deren Wohnorte von der großen brasilianischen Sendergruppe „Rede Globo“ bedient werden, eine „signifikant geringere Fruchtbarkeit“ aufweisen als Brasilianerinnen in „Rede Globo“-freien Zonen. „Rede Globo“ ist der finanzkräftigste Produzent von Telenovelas weltweit. Für Lewis liegt die Deutung auf der Hand. Weil in solchen Schmonzetten beruflicher Aufstieg einhergehe mit dem Verzicht auf eine große Kinderschar, nähmen die Zuschauerinnen sich dieses Vorbild zu Herzen. Wer vorankommen will – so die Botschaft der Telenovelas –, darf sich nicht von allzu vielen Kindern binden und aufhalten lassen. Diese Lektion trage Früchte.

Neues Zahlenmaterial aus Indien unterstütze die These. Lewis vergleicht die Fortpflanzungsraten von 2012 mit den üblicherweise als Erklärung hierfür angegebenen Parametern – dem Bildungsniveau, dem Einkommen, dem Anteil der Großstädte, der Stromversorgung. Die größte Übereinstimmung findet er schließlich zwischen einer Karte, die den Zugang von Frauen zu Fernsehgeräten abbildet, und der Karte mit den geographisch eingefärbten Fortpflanzungsraten. Das Hoch im ersten Bereich korreliert fast immer mit einem Tief im zweiten Bereich. Und das indische Fernsehen ist wie das brasilianische dominiert von Herz-Schmerz-Schinken der ewigen Art. Man lernt an ihnen, dass es modern ist, wenig Kinder zu haben.

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Ob die „Verbotene Liebe“ der Luxusfamilie von Lahnstein auch diese Botschaft ins Gebührenzahlerhirn träufelt? Gewiss hat die deutsche Daily Soap nicht dieselbe soziale Relevanz wie die brasilianische oder indische Telenovela. Gewiss gibt es zwischen Emden und Murnau ganz andere Aschenputtelgeschichten, die auf Nachahmung aus sind, etwa das Dauerstöckeln der Minderjährigen bei Heidi Klum oder der grelle Proletenchic von „Berlin Tag & Nacht“.

Auf jeden Fall aber ist es wichtig, daran zu erinnern: Nicht Geld und Politik und Staatsdoktrin allein sind Bausteine der Weltwahrnehmung. Das Fernsehen hat einen entscheidenden Anteil daran, welche Rollen als angesagt gelten und welche nicht, für welche man mit Lob rechnen darf, für welche man sich rechtfertigen muss. Das bundesdeutsche Fernsehen quillt in fast allen Formaten über von bindungslosen Powerfrauen, energischen Single-Moms und heroischen Alleinerziehenden. Auch so werden Leitbilder geschaffen.

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