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Das Leid der Politikerfrauen

Während Politiker sich durch ihre hektischen Tage arbeiten, sitzen zu Hause ihre Partnerinnen und kämpfen mit dem realen Leben – weit abgeschieden vom Raumschiff Berlin. Für sie beginnen wieder schreckliche Zeiten, denn es ist Wahlkampf

Wenn es vor der Eckkneipe gegenüber mal wieder Radau gibt, wünschte sich Luise Conrad, dass sie nicht so allein wäre in dem großen Haus mit den kleinen Kindern. Was wäre denn, wenn jetzt einer an der Haustür rütteln würde, irgendein Spinner? „In anderen Familien ist der Vater da, er ist auch nachts da und geht gucken“, sagt Conrad. „Aber bei uns, da muss ich dann gehen.“ Denn Papa ist nicht zu Hause. Papa ist Bundestagsabgeordneter. Kein Hinterbänkler, sondern einer, der Einfluss hat und Fäden zieht. Und das bedeutet, dass fast alles andere in seinem Leben hintenüber fällt. Als gebe es das Verfassungsgebot: Ein Privatleben findet nicht statt. „Der 17-Stunden-Tag hier ist mein normaler Tag“, sagt der Abgeordnete. „Ich bin um 7:00 Uhr im Büro, und ich gehe selten vor Mitternacht.“ Das sind die normalen Zeiten. Aber jetzt beginnt wieder der Ausnahmezustand. „Wahlkampf ist richtig schrecklich, das ist für uns die schlimmste Zeit“, sagt seine Frau. „Da kommt er geladen nach Hause und ist kaum genießbar. Davor graut’s mir schon wieder.“ Während sich Politiker durch ihre hektischen Tage hangeln, vom Interview im Deutschlandfunk um 7:07 Uhr bis zum parlamentarischen Abend mit der Pharmaindustrie, sitzt irgendwo immer wer, der in dieser Welt des Wichtigkeitswahns gerne ebenfalls ein Minimum an Bedeutung hätte. Mit 80 Stunden pro Woche geben Bundestagsabgeordnete ihre Arbeitszeit an, einige Regierungsmitglieder steigern dies auf eine absurde Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Selbst wer keine Kinder hat, hat hoffentlich irgendwo einen Partner. Oder zumindest Eltern. Oder Freunde. Aber nicht nur Joachim Sauer sieht seine Frau Angela Merkel, die von Gipfel zu Krisengipfel jettende Kanzlerin, wohl am häufigsten im Fernsehen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte der Bunten über seine Möglichkeiten eines normalen Familienlebens nüchtern: „Man darf sich nicht selbst betrügen.“ Politiker werfen sich öffentlich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Zeug. Aber selbst normale, gar nicht mal besonders berühmte Parlamentarier führen ein Leben wie Handelsreisende oder Montagearbeiter, die nach ihrer Dienstfahrt in die fremde böse Galaxie der Politik am Wochenende kurz mal wieder einschweben, bevor sie im Wahlkreis die Vereinsfeste besuchen müssen oder die Ausstellungseröffnungen, Karnevalssitzungen und Kreisparteitage. „Wenn er in Berlin unter Starkstrom gestanden hat, muss er sich hier erst mal wieder einfinden, nach unserem Rhythmus“, sagt Luise Conrad. Sie ist eine kleine dunkelhaarige Frau mit ebenmäßigen Zügen, die ihre schmerzlichen Wahrheiten freundlich und gefasst vorbringt und bisweilen in ein sehr erfrischendes Lachen ausbricht. Ihren echten Namen will sie lieber nicht genannt wissen. Sie fürchtet Folgen für ihren Mann so kurz vor der Bundestagswahl. Die Familie hat kleine Kinder, das jüngste ist gerade mal ein Jahr alt. Conrad hat ihren Mann im Bundestagswahlkampf kennengelernt, er war kaum 30, sie ein Jahr jünger. Er wurde damals nicht gewählt, sagte sich, sei’s drum, und arbeitete weiter in seinem Beruf. Sie studierte Psychologie und versorgte ihre kleine Tochter aus erster Ehe. Sie wollten ein gemeinsames Kind. Wenige Wochen nach der Geburt ihres ersten gemeinsames Sohnes rückte ihr Mann in den Bundestag nach. „Am Anfang dachte er, dass wir uns alle nach seinem Rhythmus richten müssen“, sagt Conrad. „Wenn er einen Termin hatte, mussten alle aufspringen und ihn irgendwo hinfahren.“ Denn die Familie hatte nur einen Wagen, und die Kinder waren zu klein, um sie allein zu Hause zu lassen. Also auf, alle rein ins Auto, zum Flughafen, und tschüss Papi, bis Freitag dann. Schließlich schafften sie sich einen zweiten Wagen an. Aber das Abschiednehmen ist geblieben. „Manchmal ist es ein bisschen wie bei geschiedenen Leuten“, sagt Conrad. „Es ist auch für die Kinder schlimm, sich immer neu trennen zu müssen. Unser Dreijähriger weint bitterste Tränen.“ Selbst in den sitzungsfreien Wochen des Bundestags ist ihr Mann im Wahlkreis bis tief in die Nacht unterwegs, auch am Wochenende. Andere Väter müssten vielleicht viel arbeiten, aber irgendwann seien sie dann zu Hause, sagt seine Frau. Wenn ihr Mann da ist, dann versucht er zu helfen, wo er kann. Aber verlassen kann man sich darauf nur in der Sommer- und der Winterpause des Parlaments. „Nur dann ist mit ihm zu rechnen“, weiß die junge Mutter. Doch auch im Urlaub kommen diese Anrufe, „wir brauchen dich für ein Interview“ oder „wir müssen eine Sondersitzung ansetzen“. „Irgendwas ist immer, wir hatten noch nicht einen Urlaub, der nicht gestört wurde“, erzählt sie. Im Alltag versucht die junge Mutter, mit einer Babysitterin über die Runden zu kommen. Manchmal springt die Putzfrau ein, manchmal Freundinnen. Manche Tage vergehen, und sie hat nur mit der Kindergärtnerin gesprochen. „Wissen Sie, wie einsam ich oft bin?“ Der Abgeordnete sitzt in seinem Büro. Ein Eckbüro, mit Blick auf die Straße Unter den Linden. Darum beneiden ihn wahrscheinlich seine Kollegen. Auf einem Bild im Regal strahlen sie sich an, der Politiker und seine Frau, ein glücklicher Moment. Der Mann mit den stahlblauen Augen, der sich über Politik in Rage reden kann, ist bei Fragen zu den Folgen seines Jobs für seine Familie ziemlich einsilbig. Zu Hause im Wahlkreis versuche er, sich für die Familie Zeit zu nehmen. Ein Tag am Wochenende, ein Zwei-Drittel-Tag unter der Woche, um mit den Kindern mal auf den Spielplatz zu gehen oder zum Kinderarzt. Aber auch er hat keinen Zweifel: „Es ist kein familienfreundlicher Job.“ Trotzdem ist seine Arbeit für ihn ein Traum: „Wenn Sie zu den Menschen gehören, die zu wissen meinen, was besser laufen sollte in dieser Gesellschaft, können sie nicht ins zweite Glied zurücktreten und sagen, das lasse ich andere machen. Dann wollen Sie einfach mitkämpfen.“ Es klingt in diesem Moment gar nicht mal übermäßig pathetisch, es klingt sogar ehrlich, aber auch mächtig entrückt von einer Welt mit vollen Windeln und schlechten Mathearbeiten und angebranntem Toast und Tapeten voller Filzstiftkritzeleien. „Dieser Spagat ist nicht einfach: das abgehobene Leben in Berlin und das Zuhause“, bestätigt seine Frau. Wenn in seinem Berliner Büro die Jalousie hängt, dann schickt eben der Bundestag einen Handwerker vorbei. „Das meine ich mit abgehoben“, fügt sie an. „Die haben oft gar keinen Blick für Alltagsprobleme, bei denen wird das alles automatisch geregelt.“ Deshalb ist Frau Conrad für ihren Mann so etwas wie die Brücke zur Realität. „Ich sehe es als meine Aufgabe zu vermitteln.“ Diese Rolle als Anker für die Reisenden im Raumschiff Berlin ist für Partnerinnen von Politikern nicht ungewöhnlich, hat Claudia Kossendey herausgefunden. Die Psychologin, selbst Ehefrau eines Bundestagsabgeordneten, hat die Erfahrungen ihrer Leidensgenossinnen in einer eigenen Studie zusammengestellt, für die sie, streng anonymisiert, 25 Interviews geführt hat. Die Studie bestätigt ganz auffallend die Erfahrungen von Luise Conrad: die Einsamkeit vieler Politikerfrauen, das Auf-sich-allein-Gestelltsein im Alltag und die beherrschende Rolle der Politik, nach der sich die ganze Familie richten muss. Schon in ihrer 1997 erschienenen Studie hat sie festgehalten, dass die Partnerinnen für Politiker wichtige Beraterinnen sind, nicht nur, weil sie Teil der „Basis“ sind und die dienstwagenchauffierten Dauerparlierer mit Neuigkeiten aus der unbekannten Welt des Bürgers versorgen – der gemeine Wähler ruft nämlich nach Erkenntnissen der Studie gerne mal beim Herrn Abgeordneten zu Hause an und lässt ihm von der Ehefrau etwas ausrichten. Darüber hinaus sind die Politikerpartnerinnen auch eine Art letzte Zuflucht in einer Welt, in der das Eingeständnis von Fehlern und Zweifeln als politisch tödlich gilt und überall der Feind lauert. Nach Kossendeys Recherchen sind „Misstrauen und Argwohn Begleiter von Politikern“. Deren Kategorien sind Rivalität, Konkurrenz und Selbstbehauptung. „Nur die Partnerin ist vertraute Beraterin mit entlastender Funktion“, schreibt Kossendey in ihrer Studie. Mal ganz abgesehen von der Beziehung, die das Paar im Einzelfall pflegt, hat die Politikergattin zudem eine wichtige Rolle im politischen Gepränge. „Allgemein schenkt die Öffentlichkeit den Personen, die Politik repräsentieren, mehr Aufmerksamkeit als politischen Fragen“, schreibt Kossendey. „Erst durch das Vorzeigen der Lebenspartnerin wird der Politiker als Privatperson sichtbar, erst durch sie wird er zum Menschen.“ Die „richtige Frau an seiner Seite“ gehöre „zum Anforderungsprofil eines Politikers, sie spielt vor allem im Wahlkampf eine wichtige Rolle“. Absurderweise ist ein scheinbar trautes Familienleben also vor allem für jene unabdingbar, die so überhaupt keine Zeit und Kraft dafür haben. Wie viele Politikerehen geschieden werden, ist laut Kossendey nicht erfasst. Die Bundestagsstatistik zur laufenden 16. Wahlperiode weist aus, dass sich die Parlamentarier und ihre Partner angesichts der enormen Belastungen in ihren Beziehungen erstaunlich gut halten – oder zumindest nach außen den Schein wahren. Von den 612 Mandatsträgern sind 419 als verheiratet registriert. Davon haben übrigens 280 zwei Kinder oder mehr. Sieben Abgeordnete leben in Lebensgemeinschaften. Nur 19 sind geschieden. Dennoch gibt es immer wieder spektakuläre Trennungen, die selbst im 21.Jahrhundert noch als kleines Politikum gelten. So wurde Ende 2007 darüber spekuliert, ob die Trennung von seiner Frau Inken dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger im konservativen Ländle womöglich schade. Der CDU-Politiker analysierte übrigens glasklar, woran seine Ehe gescheitert war, nämlich am ewigen Zeitmangel. „Meine Frau war zunehmend unglücklich mit der Belastung, die durch Termine und Öffentlichkeit entstanden“, sagte er der Bild-Zeitung. Wer sich als Politiker familiär verändern will, der tut dies am besten im Hauruckverfahren, so wie der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der 2006 ebenfalls in der Bild-Zeitung die 18-jährige Ehe mit seiner Frau Christiane für beendet erklärte. Wenig später schon präsentierte der CDU-Politiker sich mit neuer Lebensgefährtin und neuer Familie. 1996 hatte ihm das sein Amtsvorgänger Gerhard Schröder in der gleichen Windeseile vorgemacht und binnen weniger Monate eine Familie – Hiltrud Schröder und ihre beiden Töchter – durch eine neue – Doris Köpf und ihre Tochter – ersetzt. Auch die verlassene Frau Schröder konstatierte, dass „ein normales Familienleben nicht zu organisieren war“, dass ihr Mann – und zwar schon lange vor seiner Zeit als Bundeskanzler – nicht nur meist physisch abwesend, sondern in der wenigen gemeinsamen Zeit kaum noch für Gespräche zugänglich gewesen war. Der mögliche Aufstieg an die Spitze der politischen Bundesliga, ein Ministeramt etwa, diese Vorstellung weckt auch bei Luise Conrad Unbehagen. In seiner Fraktion hat ihr Mann schon einige Macht, und seine Frau findet das auch gerechtfertigt. „Ich halte ihn für sehr qualifiziert“, sagt sie. „Er hat ein fotografisches Gedächtnis, er hat einen scharfen Verstand.“ Wenn er über Gesetze verhandelte, sei er „unglaublich zäh“: „Der sitzt auch zehn Stunden am Tisch mit einem Glas Wasser, bis er das kriegt, was er will.“ Aber ein Leben als Ministergattin, als „First Lady“ gar, daran habe sie so gar kein Interesse. Für eine Frau, die so nahe am Geschehen ist, beurteilt sie die Arbeit ihres Mannes erstaunlich distanziert. Dass sie selbst es in der Politik zu etwas bringen könnte, hält sie für ausgeschlossen. „ Ich bin zu wenig berechnend, ich glaube, das muss man da sein.“ Foto: Picture Alliance

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