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Reiner Dieckhoff/Magazin Cicero

Kölner Madonnenstreit - Die falsche Muttergottes

Das Kölner Museum Schnütgen präsentiert seit 2009 eine falsche Madonna. Nun tritt der zuständige Kulturdezernent ab, ohne für Aufklärung gesorgt zu haben

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Schmidt, Rolf

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Die Antwerpener Onze-Lieve-Vrouwe-Kathedraal ist eine Schatzkammer: Neben monumentalen Gemälden des Lokalhelden Peter Paul Rubens sind eine Überfülle von Bildern, Skulpturen in Holz und Stein, Farbfenstern, Wand- und Deckenmalereien, eine kostbar geschnitzte Kanzel, Beichtstühle und aufwendige Grabmäler zu bestaunen.

Es ist eine Kunst, in der das Wuchtige dominiert. Doch es gibt eine stille Ausnahme. Sie steht am Rand des linken Seitenschiffs und misst vom Scheitel bis zur Sohle gerade mal 132 Zentimeter. Eine marmorne Mutter Gottes mit dem Jesuskind. Damit man sie nicht übersieht, macht draußen, im Fenster des Kirchen-Shops, ein riesiges Plakat auf die Statue aufmerksam. Die Antwerpener wissen, was sie an ihrer zarten Madonna haben. Als die japanische Stadt Kobe 1995 von einem Erdbeben heimgesucht wurde, schenkten die Bürger der Schelde-Metropole den Japanern eine Kopie „zur Erinnerung an die Opfer“.

Laut Robert Didier handelt es sich um „eine der schönsten Madonnen des 14. Jahrhunderts“. Die ungezwungen-elegante Gottesmutter, der ihr Söhnchen spielerisch ins Gesicht langt, hat es dem Belgier angetan. Didier ist führende Autorität für die Werke der spätmittelalterlichen „maasländischen Schule“, zu deren Höhepunkten die Liebe Frau von Antwerpen zählt. Bis heute dient sie als Vorbild für zahlreiche Kopien. Im „Atelier de Moulage“, der königlichen Abgusswerkstatt zu Brüssel, kann jedermann für 1380 Euro eine Nachfertigung erwerben. Noch in jüngster Zeit haben sich zwei Liebhaber aus Deutschland in Brüssel Repliken gießen lassen.

Abgesehen von den modernen Abgüssen kennt der Kunsthistoriker Didier eine Reihe Duplikate, die entstanden sind, nachdem die Antwerpener Schönheit 1864 auf einer Ausstellung in Mechelen Furore gemacht hatte. Nachbildungen stehen unter anderem im neugotischen Schloss Loppem bei Brügge, im südbelgischen Trappistenkloster Orval, in der Brüsseler Vorort-Kirche St. Paul, im Hôtel Adornes in Brügge, in Sankt Petersburg und Paris. Und im Kölner Schnütgen-Museum – das freilich die Abstammung seiner Marienkopie nicht wahrhaben will. Denn das Haus, das sich einer der kostbarsten Sammlungen mittelalterlicher Kunst rühmt, hat ein Vielfaches dessen gezahlt, was die Brüsseler Moulage-Werkstatt verlangt. Im Dezember 2008 ersteigerte Schnütgen beim Münchner Auktionshaus Hampel eine Nachbildung der Antwerpener Maria für 100.000 Euro plus 26.000 Euro Aufgeld inklusive Mehrwertsteuer. Für eine „bedeutende französische Steinmadonna des 14./15. Jahrhunderts“ (Auktionskatalog) war das ein Schnäppchen. Für ein neuzeitliches Doppel war es abenteuerlich.

Dass die Kölner eine Kopie eingekauft haben, steht nicht nur für Didier außer Zweifel. Der Doyen der deutschen Madonnen-Forschung, der Berliner Robert Suckale, hat die Hampel-Figur in Augenschein genommen. Er ist sich sicher: „Es handelt sich um einen der Abgüsse, die man nach 1864 nach der Antwerpener Marmormadonna gegossen hat. Sie war nicht als Fälschung geplant, dazu ist sie erst durch den Handel geworden.“ Zwar hatten die mittelalterlichen Produzenten von Sakralkunst keine Bedenken, beliebte Heiligenfiguren oder -bilder zu serialisieren. Doch das Resultat war jeweils eine Ähnlichkeit; keine „dreidimensionale Fotokopie“. Verwechslung oder gar Fälschung waren nicht beabsichtigt.

„Bei den monumentalen Skulpturen dieser Epoche sind keine zwei identischen Exemplare bekannt“, sagt Suckale. Auch der Kölner Kunsthistoriker und frühere Schnütgen-Mitarbeiter Reiner Dieckhoff, Verfasser eines Buches über „Kölner Madonnen“, schreibt: „Übereinstimmung (…) heißt nicht Kopie. Es gibt in dieser Zeit keine Statue, die bis ins Detail eine andere kopiert – immer springen Unterschiede ins Auge.“ Anschaffung und Aufstellung der Statue im Schnütgen-Museum seien daher „ein fortwährender Skandal. Da sind 130 000 Euro Steuergelder verbraten worden.“

Trotzdem haben das Schnütgen-Museum und das Kulturdezernat der Stadt keinen Versuch unternommen, den Deal rückgängig zu machen. Gestützt auf Materialgutachten, beharrt man auf der Echtheit der kölschen Marie – bis hin zu Spekulationen, sie sei älter als die Antwerpener Madonna, ja womöglich deren Vorlage. Wer beide Exemplare gesehen hat – die fein konturierte Antwerpener Marmor-Dame und ihr grobes Kölner Gegenstück –, wird das ausschließen.

Die Zweifel an der Hampel-Madonna waren schon vor der Versteigerung aufgetaucht. Didier machte das Auktionshaus auf die Antwerpener Skulptur aufmerksam. Ohne Resonanz. Dieckhoff übermittelte die Vorbehalte – nach dem Ankauf, aber vor Ablauf der Rücktrittsfrist – vertraulich dem Kölner Kulturdezernenten ­Georg Quander. Auch das führte zu nichts. Stolz lud die Stadt im Mai 2009 zum Pressetermin ein und kündigte die Madonna mit der unverändert falschen Zuschreibung à la Hampel an, als „bedeutende französische Madonna aus feinem Kalksandstein“.

Didier intervenierte nun bei der Schnütgen-Direktorin Hiltrud Westermann-Angerhausen, monierte die fehlerhafte Zuschreibung, verwies auf die zahlreichen Kopien der Antwerpener Madonna. Die Hampel-Maria sei vor der Münchener Auktion bereits in London und Paris angeboten, mangels nachweisbarer Echtheit aber nicht an den Mann gebracht worden. Schließlich erinnert Didier daran, dass Schnütgen selbst 1972 eine große Ausstellung „Rhein – Maas“ ausgerichtet habe, auf der die Antwerpener Skulptur zu sehen war. „Ich finde es ganz merkwürdig, dass die Schnütgen-Leute ihre eigenen Kataloge nicht angeschaut haben“, sagt der alte Herr heute. „Ich habe zu Frau Westermann-Angerhausen gesagt: Ihr habt doch das Original selbst ausgestellt!“

Die Lokalpresse berichtet über den Verdacht. Das Museum bleibt ungerührt: Natürlich kenne man die Antwerpener Madonna. Materialanalysen hätten aber ergeben, dass die Figur aus natürlichem Stein geschlagen sei und nicht abgegossen. Die Kritik sei entkräftet. In einem Schreiben an die Grünen-Stadträtin Barbara ­Moritz mokiert sich Kulturdezernent Georg Quander im September 2009 über „unhaltbare Fälschungsbehauptungen“ und verfügt ein Ende der Debatte: „Wir können und wollen auch angesichts der bevorstehenden wichtigen Aufgaben unsere Zeit nicht weiter mit einer solchen Auseinandersetzung vergeuden.“

Als der FAZ-Journalist Andreas Rossmann im Juni 2011 ausführlich über die „falsche Marie von Köln“ berichtet, schrecken die Verantwortlichen noch einmal hoch. Binnen Jahresfrist werde man ein wissenschaftliches Kolloquium abhalten, das letzte Klarheit schaffen werde. Auf dieses Großreinemachen wartete die Öffentlichkeit vergebens. Im vergangenen September teilte Georg Quander auf eine FDP-Anfrage mit, „das Verhältnis der Kölner Figur zu einer Reihe ähnlicher Madonnen“ bleibe „interessant“, doch könne das Museum „2012 leider kein Kolloquium zu dieser Spezialfrage ausrichten“.

Die Vorgeschichte der Kölner Madonna liegt im Dunkeln. Zwar hat Georg Quander versichert, in den städtischen Museen werde „zur Kontrolle der Echtheit von Kunstobjekten (...) die Provenienz des jeweiligen Werkes als wichtiger Faktor einbezogen“. Bis heute hat Schnütgen aber lediglich mitgeteilt, die Skulptur habe sich „mehr als 40 Jahre in europäischem Privatbesitz“ befunden – für die Frage nach der Echtheit eine Null-Information. Das Haus Hampel mag sich unter Hinweis auf den Datenschutz nicht dazu äußern, in wessen Auftrag es die Statue seinerzeit versteigerte.

Die Aussagekraft der Analysen, auf die sich das Museum stützt, ist begrenzt. Zwar kommen die Expertisen – teils an der Kölner Fachhochschule, teils in New York erstellt – anhand von Materialproben aus dem Sockel in der Tat zum Schluss, dass die Kölner Maria aus Naturstein bestehe. Indes könne man weder die Entstehungszeit noch den Herkunftsort angeben. Die Altersbestimmung sei „technisch leider nicht möglich“, erklärt das Museum. „Eine Herstellung der Kölner Madonna muss prinzipiell ebenso gut zeitgleich wie später oder eben auch früher anzunehmen sein als die Antwerpener Figur.“

Didier ist wenig beeindruckt: „Die Stein­analysen sind verwirrend – Qualm in wissenschaftlicher Form.“ Außerdem heiße „Naturstein“ noch lange nicht „echt“. Kopien lassen sich nicht nur per Abguss aus Gips oder – mitunter schwer nachweisbarem – Kunststein herstellen, sondern auch mit dem sogenannten Punktierverfahren aus Naturstein. So entstehen etwa von Michelangelos David immer wieder Repliken aus demselben Material wie das Original: Carrara-Marmor. Nach Ansicht von Robert Didier wäre die Kölner Figur dann noch nicht einmal eine direkte Kopie der Antwerpener Madonna, sondern abhängig von einem der Brüsseler Abgüsse.

Die kunsthistorische Evidenz ist eindeutig. Da ist beispielsweise der „Knubbel“ unter dem rechten Fuß der Kölner Muttergottes. Sie steht auf einem unförmigen Materialklumpen, in den Kerben geritzt wurden, offenbar ein Versuch, eine Problemstelle der Gussform zu kaschieren. In Antwerpen steht die Gottesmutter auf einer fein gefältelten Gewandschlaufe, die zu ihrer vornehmen Erscheinung passt. Die Form in der Brüsseler Abgusswerkstatt weist hingegen an dieser Stelle ebenfalls eine Vereinfachung auf.

Die echte Antwerpener Madonna hält in der rechten Hand einen Stiel mit einer Öffnung, die mit einer Masse verfüllt ist. Dort wurde ursprünglich eine Blume aus Metall oder Holz hineingesteckt. An der Hampel-Madonna ist der Stengel-Abschluss völlig verschliffen. Wie die vormalige Schnütgen-Direktorin Westermann-Angerhausen zutreffend feststellte: „Ein Abguss verrät sich immer.“ Das zielte auf Gussnähte ab – die sich freilich vollständig entfernen lassen. Aber so genau wollten die Kölner es gar nicht wissen. Wie sich ihre Maria zu den Gussformen der Brüsseler Moulage-Werkstatt verhält, scheint den Schnütgen-Kunsthistorikern keine Recherche vor Ort wert gewesen zu sein. Die Mitarbeiter des Atélier de Moulage können sich nicht an Besuch aus Köln erinnern.

So treibt die peinliche Geschichte nicht auf die versprochene große Aufklärung zu, sondern auf ein Verdämmern durch abnehmende öffentliche Aufmerksamkeit. Westermann-Angerhausen hat das Schnütgen-Museum unterdessen verlassen, ebenso wie ihre seinerzeit federführenden wissenschaftlichen Mitarbeiter Dagmar Täube und Niklas Gliesmann. Der neue Schnütgen-Direktor Moritz Woelk kennt sich mit Fälschungen aus: Am Hessischen Landesmuseum in Darmstadt gelang ihm der Nachweis, dass eine vermeintlich aus dem 14. Jahrhundert stammende Skulptur in Wahrheit ein halbes Jahrtausend später aus Zement hergestellt worden war. Hinsichtlich der falschen Marie will er indes nichts weiter unternehmen.

Georg Quanders Amtszeit endet im Mai. Dann droht aus dem Fehlgriff endgültig ein Dauerzustand zu werden. „So weit darf es nicht kommen“, sagt der Kölner Kunsthistoriker und Fälschungsexperte Hans Ost. Um Schaden von der Stadt abzuwenden, dürfe Quander nichts unversucht lassen, die fatale Anschaffung rückgängig zu machen.  

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