- Eine gefährliche Dreiecksbeziehung
Die Mängel im Gesundheitswesen sind bekannt – doch Ideen für eine Verbesserung? Fehlanzeige. Die Beteiligten interessieren sich eher für sich selbst denn für den Patienten. Und die Ärzte, die zunächst noch große Hoffnungen in die schwarz-gelbe Regierung gesetzt hatten, sind frustriert
Wenn es in Romanen um Dreieckbeziehungen geht, dann knistert es. Im Krimi liefern sie gerne das Mordmotiv. In der Realität aber weiß jeder: Diese Konstellation ist ungesund. Die drei Partner beschäftigen sich nur noch mit sich selbst, für die Außenwelt sind sie verloren.
Noch schädlicher wird eine Dreiecksbeziehung, wenn man sie auf die Gesundheitspolitik überträgt. Da ist sie sogar gesundheitsgefährdend.
Doch genau das ist derzeit zu beobachten: Ärzte, Kassen und die Politik beschäftigen sich nur mit sich selbst. Für den Mittelpunkt des Dreiecks – die Patienten – interessieren sich nur noch wenige der Beteiligten.
Dabei bietet sich genug Stoff für die großen Dramen, die auf alltagstaugliche Lösungen warten: Der Gesellschaft droht eine Diabetes-Epidemie, wenn nicht mehr für Bewegung und gesundes Essen geworben wird. Gefährliche Stoffe sollten es nicht mehr in unser Essen schaffen. Volkskrankheiten wie Bluthochdruck, Rückenschmerzen oder psychische Leiden dürfen nicht die Oberhand über das (Arbeits-)Leben gewinnen.
Doch stattdessen zanken sich Kassen- und Ärztevertreter ums Geld und um die Frage, welche Seite der anderen mehr Rechte einräumen soll. Und die Politik als dritter Beteiligter in der Dreiecksbeziehung? Die steht am Rande und schaut gebannt auf das Treiben, gibt die Verantwortung an Gremien ab, in denen sich Ärzte und Krankenkassen im Stillen und oft Verborgenen einigen sollen. Eingreifen? Das ist gesetzlich nicht vorgesehen, lohnt sich nicht, kann lästig sein. Angesichts der guten Lage in den Sozialkassen wird das momentan nicht von außen gefordert. Dieses Credo scheinen sich Gesundheitspolitiker vor allem in der schwarz-gelben Bundesregierung zuzurufen. Lasst die Opposition ruhig die Anträge und parlamentarische Anfragen stellen! Was sie im Gesundheitsministerium ausbrüten? Kein Kommentar!
Dort steht am Ende dieser Legislaturperiode einiges auf der Haben-Seite: ein Arzneimittelgesetz, das den Pharmamarkt kräftig durchschüttelt. Eine Strukturreform, die es den Bundesländern ermöglicht, medizinische Versorgung stärker nach den regionalen Bedürfnissen zu steuern. Damit verspricht sich die Bundesregierung – verkürzt dargestellt – mehr Möglichkeiten, dass junge Mediziner als Landärzte arbeiten. Das Problem der Reformen der vergangenen vier Jahre: Sie sind hochkomplex, für Laien oft kaum zu durchdringen – und ganz ohne schnelle Vorführeffekte. Die Ergebnisse des gesetzgeberischen Aufwands werden erst in Jahren sichtbar – ungünstig, wenn man das Wahlvolk und Interessensgruppen im Jahr 2013 beeindrucken will.
Besonders Ärzte fühlen sich von der schwarz-gelben Wunschkoalition benachteiligt. War die Freude über Philipp Rösler – den ersten liberalen Gesundheitsminister– Ende 2009 groß, wurden Standesvertreter schnell nervös. Im Ministerium wurde zwar viel geredet, Dialoge zur Zukunft der Pflege medial gut verkauft, doch bewegt hat sich gerade in der Pflege oder bei möglichen Abrechnungsreformen nichts. Zum Ende der Legislaturperiode vertrauen die Ärzte kaum noch der Politik. Ganz im Gegenteil: Laut einer Allensbach-Umfrage im Auftrag des Finanzdienstleisters MLP droht der FDP der Liebesentzug der Mediziner. 71 Prozent der befragten Ärzte stellen der Gesundheitspolitik der aktuellen Regierung zudem ein schlechtes Zeugnis aus. 90 Prozent glauben, dass es nach der Wahl im September 2013 keine grundlegenden Reformen geben wird, 44 Prozent sind er Meinung, dass keine Partei ein zukunftsweisendes Konzept in der Schublade hat. Das muss bei Gesundheitspolitikern aufhorchen lassen.
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Natürlich sind viele Krankheitsbilder – Rückenschmerzen, Burn-out oder auch Bewegungsmangel – kein genuin gesundheitspolitisches Themenfeld. Hier müssten sich auch andere Ministerien am Kampf gegen Wohlstandskrankheiten beteiligen. Nationale Aktionspläne und Appelle an das Umdenken in der Gesellschaft sind zwar gut gemeint, helfen zumeist aber nicht.
In Großstädten ist noch weitgehend unbekannt, dass bald Ärzte fehlen könnten. Zwar zweifelt ein Teil der Diskutanten im Gesundheitswesen den Ärztemangel an. Viele gehen davon aus, dass es sich hauptsächlich um ein Verteilungsproblem von Ärzten handelt, das durch strengere Gesetze gelöst werden kann. Wer allerdings schon einmal erlebt hat, dass der eigene Hausarzt seine Praxis erst weit nach Erreichen des Rentenalters schließt und Nachbar-Praxen überlaufen sind, wird eine ganz andere Wahrnehmung der Realität haben.
Fragt man junge Mediziner, wollen sie alle nach dem Studium in Großstädten leben und mit vielen High-Tech-Geräten umgeben sein. Rund 30 Prozent können sich laut einer Umfrage vorstellen, als Allgemeinmediziner zu arbeiten – doch das reicht nicht aus, wenn in einigen Jahren all die älteren Hausärzte einen Nachfolger finden wollen. Wer in Zukunft noch vor allem junge Mediziner für die Tätigkeit als wohlwollender Hausarzt gewinnen will, muss für die junge Ärztegeneration neue Arbeitszeitmodelle schaffen. Dazu kommt: Kaum einer traut sich mit Mitte 30 an die finanziellen Herausforderungen einer eigenen Praxis heran. Zwar setzt die Politik bereits Anreize – Stipendien für Studenten, die sich für die Arbeit auf dem Land verpflichten oder auch Finanzspritzen für eine Praxisgründung – doch die fruchten nur bei denen, die vom Land kommen und dorthin zurück wollen.
Was muss also auf die Tagesordnung, um die Bevölkerung fit zu halten und sie ihren Bedürfnissen entsprechend zu versorgen? Die Parteien reichen diese Frage gerne in Richtung ärztliche Selbstverwaltung und Krankenkassen weiter – die ihrerseits denjenigen als Schuldigen auserkoren haben, der sich nicht laut genug wehrt. Ein Präventionsgesetz, rufen die einen, strengere Regeln zur Verteilung von Ärzten, die anderen.
Mit diesen Fragen befassen sich parteiliche Denkschmieden, Kassenverbände und wissenschaftliche Institute; es gibt zahlreiche Umfragen unter Medizinern und Versicherten. Doch bislang hat niemand eine Idee für ein künftiges Gesundheitswesen. Die parteiinternen Diskussionen um Wahlprogramme zur Bundestagswahl werden daran nichts ändern. Für diese Erkenntnis muss man kein Pessimist sein.
Und so geht die Dreiecksbeziehung unter Ausschluss der Patienten weiter – auch über den September 2013 hinaus. Solange sich die Haushaltslage so positiv zeigt wie derzeit, ein „Weiter so“ politische Überzeugung und Grundhaltung ist, so lange bleiben gesundheitspolitische Diskussionen reine akademische Ausdauerübungen. In die Schlagzeilen und ins Bewusstsein der Bevölkerung kommt man so nicht.
Denn der Gesundheitspolitik geht es wie der Gesundheit des Menschen: Erst wenn sie schlecht ist und aus dem letzten Loch röchelt, interessiert sich eine breite Öffentlichkeit dafür.
Porträtfoto: Moni Münch
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