- Kunst lässt sich nicht manipulieren
Die Ausstellung „Von Beckmann bis Warhol“ im Martin-Gropius-Bau verströmt einen besonderen Zauber. Zum 150-jährigen Firmenjubiläum gibt die Bayer AG Einblick in 250 Werke der konzerneigenen Sammlung
Gemälde, die Jahre in Depots verbringen, sind wie Häuser, die nicht bewohnt werden. Sie verstummen. Gemälde und Häuser brauchen Menschen, die sich um sie kümmern, sie lieben - dann strahlen sie und erzählen tausend Geschichten. So wie gute Freunde, deren Anwesenheit Geborgenheit und Wohlgefühl vermittelt.
Als guter Freund stellt sich die Sammlung der Bayer AG „Von Beckmann bis Warhol“ vor. Die Ausstellung wurde gerade im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet. Man geht skeptisch hinein und glücklich wieder heraus. Wer kann, sollte die Ausstellung nicht versäumen. Anlass ist das 150-jährige Firmenjubiläum.
Die erste herausragende Persönlichkeit, die sich im Konzern intensiv mit Kunst befasste, war Carl Duisberg (1861-1935), erster Bayer-Generaldirektor. Als Großbürger mit wachsamen Augen und rosa Nelke im Knopfloch lebt er fort im Porträt von Max Liebermann. Duisberg liebte die Kunst, umgeben von ihr fühlte er sich gesellschaftlich geadelt. Er sammelte, was ihm gefiel, schmückte sein Büro und stellte aus, was er hatte. So pflegte er die Firmentradition und gleichzeitig den Volksbildungsgedanken, Arbeiter und Angestellte kulturell zu unterweisen.
Die Farbenfabrik, vormals Friedr. Bayer & Co., 1925 aufgegangen in der I.G. Farbenindustrie AG, gründete sich 1950 neu als Farbenfabrik Bayer AG. Die Ausstellung „Von Beckmann bis Warhol“ beginnt mit den 50er Jahren. In geordneter Reihenfolge begegnen sich deutscher Expressionismus, historische Avantgarde, Abstraktion, Action Painting, Fotografie.
Der Empfang ist atemberaubend: Ludwig Kirchner mit 30 Papierarbeiten. Insgesamt 50 Papierarbeiten von Erich Heckel, Nolde, Pechstein, Mueller, Schmidt-Rottluff, Rohlfs, Lionel Feininger. Beckmanns unheimliche Jahrmarkt-Serie, viermal Himmlisches von Chagall, vier Mal der göttergleiche Frauenkopf von Picasso, Tomas Schmits puzzelartige „Diverse Lustobjekte“, das geschwungene Farbspiel „Eskimo Curlew“ des US-Künstlers Frank Stella, bekannt für rostige Riesenskulpturen. Zeichnungen, Lithografien, Holzschnitte; Aquarell, Tusche, Feder, Pinsel, Bleistift. Kostbarkeit an Kostbarkeit, unbekannt und doch vertraut.
250 Werke sind ausgestellt, überwiegend Papierarbeiten. Der Grund dafür war damals praktischer Art. Einerseits konnte man die Arbeiten bezahlen, andererseits sollten sie sichtbar in den Büros der Mitarbeiter und Vorstände hängen. Auf diese Weise hoffte man die Kreativität anzuregen und eine angenehme Stimmung zu schaffen. Diesen Zauber haben die Bilder nicht verloren.
Und dann das Andere: An dem großen Ölbild von Bernard Schultze „Hommage à Jean Paul“ geht man nicht vorbei, ohne an den gerade gefeierten 250. Geburtstag des Dichters zu denken. Vor „L003“ oder Meeresspiegel von Sebastian Herzau steht man und überlegt: gemalt oder fotografiert. Modefotografie von Zoe Leonard feiert die Eleganz der 90er Jahre. Doch das aber ist nur eine bescheidene Auswahl, es gibt sovieles zu entdecken.
Kunst lässt sich nicht manipulieren, aber frei interpretieren und je nach Lebensabschnitt kolorieren. Diese Kunst vertritt Bayer sehr elegant.
Carl Duisberg setzte Kunst mit Kultiviertheit und gesellschaftlicher Anerkennung gleich.
Die spätere Leverkusener Kulturchefin Erna Kroen sammelte Kunst unter dem Begriff „industrielles Mäzenatentum“.
Kunst als Kommunikationsmittel war das Schlagwort des amerikanischen Tochterunternehmens in Pittsburgh. Zur Pittsburgher-Sammlung, inzwischen mit der Leverkusener verschmolzen, zählen die Deutschen Kippenberger und Gerhard Richter. Jetzt soll die Kunst als Trainingsfeld überraschende Sichtweisen fördern. Dazu zitiert der Katalog den US-Konzeptkünstler Sol LeWitt: „Gelungene Kunst verändert unsere Auffassung von den Konventionen, indem sie unser Erkenntnisvermögen verändert.“
Wie wohltuend, dass die Pioniere der Bayer-Sammlung die Kunst einfach nur liebten, sie schön fanden, sich mit ihr schmückten und sie besitzen wollten, um sich stündlich an ihr zu erfreuen. In diese Stimmung taucht man ein, sobald man den Fuß in den Ausstellungsraum setzt. Und die Bilder lächeln.
„Von Beckmann bis Warhol“, Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Martin Gropius-Bau, Berlin. Bis 9. Juni 2013. Katalog: 25 Euro.
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