- Wie ein chinesischer Milliardär den schwedischen Autobauer rettete
Als Volvo vor der Pleite stand, rettete ein chinesischer Milliardär die Firma. Nun zeigen die Schweden, dass man nicht unbedingt ein Branchengigant sein muss
Als Kent Falck nach einer kurzen Probefahrt aus dem neuen Volvo XC90 steigt, scheint er rundum zufrieden mit seinem Werk. Er schreitet die Flanke des fünf Meter langen mannshohen weißen Autos ab. Das geländegängige Riesenauto der Gattung SUV sieht trotz seiner Größe freundlich aus. Als sich Falck der Vorderseite des Autos zuwendet, erlischt sein Lächeln für einen Augenblick.
Er tickt skeptisch mit den Fingerspitzen auf die chromglänzenden Lamellen des mächtigen Kühlergrills, die dem XC90 wie Zahnreihen im Gesicht stehen. „Das ist für die Chinesen“, sagt er. „Ich mag’s nicht so.“ Aber was soll man tun? „Die Chinesen wollen so viel Chrom wie nur möglich.“ Sein Blick wirkt nun etwas spöttisch, aber letztlich gutmütig. „Blingbling halt.“
Blingbling ist das Gegenteil von dem, was Kent Falck unter schwedischem Design versteht. Der Volvo-Ingenieur arbeitet hier in Göteborg schon mehr als 20 Jahre daran, schwedische Autotradition gegen Moden, Markteinbrüche und Megafusionen, kurz: gegen alle Widrigkeiten der Welt zu verteidigen. Der neue SUV XC90 ist da ein schöner Erfolg, Kent Falck ist für ihn verantwortlich als New Car Director, und in den nächsten Monaten kommt der Wagen in die Autohäuser. Was ist da schon ein bisschen Blingbling.
Der Automarkt in chinesischer Hand
Den Vorlieben der chinesischen Kunden kann sich in der globalisierten Autoindustrie eh niemand verweigern. Der größte Automarkt der Welt prägt weltweit die Fahrzeugentwicklung. Aber bei Volvo müssen sie ganz besondere Rücksicht auf chinesische Interessen nehmen, denn der schwedische Traditionsautobauer gehört seit fünf Jahren zum Geely-Konzern, Hauptsitz Hangzhou in der südöstlichen Provinz Zhejiang. Volvo ist die einzige maßgebliche westliche Autofirma in chinesischer Hand.
Geely heißt übersetzt: Glück verheißend. Was der Eigentümer Li Shufu darunter versteht, kann man auf der Website des Unternehmens nachlesen: „Statt internationale Autos nach China zu bringen, wollen wir Geely-Autos in die ganze Welt liefern.“ Das entspricht der Vorgabe der Regierung in Peking, die von den Autobauern des Landes schon in diesem Jahr sichtbare Erfolge bei der Eroberung der westlichen Märkte verlangt.
Stehen die Chromzähne im Kühlergrill also für das Eindringen der Chinesen in Göteborg? „Ganz im Gegenteil“, sagt Håkan Samuelsson. Der Volvo-Vorstandschef steht oben im dritten Stock der Firmenzentrale. Hier regiert erhabene Schlichtheit, kein Blingbling. Nach seiner Lesart war die Übernahme durch die Chinesen keine Unterwerfung. Sondern die Wiedererlangung von Volvos Unabhängigkeit. Und der neue XC90 ist deren erstes Produkt. „Wir sind nach fünf Jahren an den Punkt gekommen, wo wir das erste richtig physische Ergebnis sehen in Form des neuen SUV“, sagt der Vorstandschef.
„Man kann niemals vorangehen, wenn man nur andere kopiert“
Samuelsson ist es gelungen, Vertrauen zu den Eigentümern aus Fernost zu fassen. Die hatten zuerst Stefan Jacoby geholt, einen Ex-VW-Manager. Unter ihm gab es Reibereien zwischen Hangzhou und Göteborg: Die Chinesen versuchten, Geld und Know-how abzuziehen, hieß es, sie setzten unrealistische Verkaufsziele und wollten gleichzeitig Volvo zu einem Hersteller großer Luxuswagen für China umbauen. Seit Samuelsson vor zweieinhalb Jahren aus dem Aufsichtsrat auf den Chefposten wechselte, ist es ruhiger geworden.
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Bei Samuelsson klingt es ganz einfach, wenn er gefragt wird, wie chinesisch Volvo werden müsse: „Man muss die richtige Balance finden, also notwendige Anpassung, ohne gleichzeitig die eigene Identität zu verlieren.“ Nach der Übernahme hätten die Chinesen vorgeschlagen, sich BMW, Audi und Mercedes anzugucken, nach dem Motto: Was haben die, was wir nicht haben? Aber so komme Volvo nicht weiter, sagt Samuelsson: „Man kann niemals vorangehen, wenn man nur andere kopiert.“
Als die Entwicklung des neuen XC90 begann, gab es ohnehin keine Gelegenheit, lange über die Motive der Chinesen zu grübeln. Mehr als 4000 Leute hatten bei Volvo und den Zulieferern ihre Jobs verloren. Der andere schwedische Autobauer Saab taumelte auf sein Ende zu. Sie hatten nichts, aus dem sie ein neues Auto bauen konnten: keine Antriebe, keine Fahrwerkskomponenten und auch kein hohes Entwicklungsbudget. Immerhin waren sie gerettet. Die Stimmung in Göteborg: süß-sauer.
Was hatte der Retter mit ihnen vor? Was wusste man über diesen Mann, der gut 1,3 Milliarden Dollar für Volvo aufgetrieben hatte? Li Shufu, Selfmade-Milliardär, nennt sich gern „Chinas Henry Ford“. Der Sohn armer Reisbauern hat sein erstes Auto 1998 produziert, da verfügte Volvo schon über 70 Jahre Autoexpertise. Sein Geld hatte er vorher mit dem Verkauf von Kühlschränken verdient. Volvo war zum Zeitpunkt der Übernahme sogar größer als Geely.
„Schlange schluckt Elch“, witzelten einige Zeitungen. Li selbst wählte eine kitschigere Metapher, als er im März vor fünf Jahren das erste Mal nach Göteborg kam: Er sei der Junge vom Land, der immer von dem schönen, unerreichbaren Mädchen in der Stadt geträumt habe. Und jetzt dürfe er sie heiraten!
Volvos Design war zu „skandinavisch“
Nicht alles inszeniert Li dermaßen blumig. Von Samuelssons Vorgänger Jacoby trennte er sich, als dieser sich in der Reha von einem leichten Schlaganfall erholte. Sein Vorschlag, ein Volvo-Motorrad zu bauen, irritierte die Göteborger. Und er verkündete bereits, das Volvo-Design sei „zu skandinavisch“. Andere Autobosse würden so eine Kritik als Aufforderung zu einem ausgiebigen Machtkampf unter Männern begreifen. Aber Samuelsson erträgt es mit stoischer Gelassenheit.
Die Chinesen in Göteborg: Mit Blick auf die Autos war es eine ungleiche Liaison. Geelys Modelle boten selbst für chinesische Verhältnisse simple Technik, großteils aus Japan kopiert, Neupreis ab 3000 Euro. Volvo hatte keine Wahl. Branchenanalysten hatten die Schweden damals schon abgeschrieben: zu klein, zu wenig Kapital, auf den Wachstumsmärkten kaum existent.
Andererseits konnte es nur besser werden nach der Erfahrung, die sie in Göteborg mit dem vorherigen Eigentümer gemacht hatten. Elf Jahre lang hat der global agierende Ford-Konzern erfolglos versucht, Volvo zum eigenen Luxusableger umzubauen. Kent Falck verzieht die Miene, wenn er auf die Jahre unter Ford angesprochen wird: endlose Konferenzen, mühsame Abstimmungen, kompliziertes Prozessmanagement. Das Resultat: unvollkommene Autos. Bis heute seien der Volvo S60 und der S80 „halbe Ford Mondeos“, stöhnt Falck.
Großserientechnik über Marken
Dabei hat Ford bei Volvo das versucht, was nicht erst seit der Finanzkrise allgemeingültige Logik im Autogeschäft wurde: Großserientechnik über Marken, Märkte und Autosegmente verteilen. Knapp ausgedrückt: außen sehr unterschiedlich, innen fast gleich. So kann man die hohen Kosten für die Entwicklung neuer Modelle und Antriebe, für die Erfüllung von CO2-Normen oder für globale Vertriebsnetze hereinholen. Bei weniger als drei, vier, fünf Millionen Autos pro Jahr könne man sich verabschieden, warnten Manager wie Fiat-Chef Sergio Marchionne.
Volvo lag nach dem Rückzug von Ford etwas über 300 000 verkauften Autos. Die Entwicklung, die die Schweden seitdem genommen haben, ist, gemessen an den Erwartungen, erstaunlich. Umso mehr, als die Schweden aus China kein frisches Geld bekamen. Sie durften nur laufende Einnahmen in die Neuentwicklungen stecken.
Haben sie hier im Norden also ein Rezept gefunden, das die Gesetze der Branche auf den Kopf stellt? Oder hatten sich die Experten schlicht geirrt? Volvo-Chef Samuelsson macht ein belustigtes Geräusch. „Natürlich ist Größe ein Faktor“, sagt er. Aber es sei nicht der einzige.
Dann beschreibt er, was in Autokonglomeraten passiert, die durch Größe die Welt erobern wollen. „Was man normalerweise auf der Kostenseite unterschätzt, ist die Komplexität, die die Größe mit sich bringt“, sagt er. „Man macht noch ein Fahrzeug und noch einen Karosserietyp.“ Das erhöhe den Absatz, aber erzeuge teure Strukturen. „Dann ist es schnell passiert, und man lässt das Optimum an Profitabilität hinter sich.“
Sein Gegenrezept: Größennachteile durch Einfachheit ausgleichen. Schnelle Abläufe, pragmatische technische Lösungen und simple Ideen. Bloß kein Konzern-Blingbling. Samuelsson hat fast sein ganzes Berufsleben Lastwagen gebaut. Ihn interessieren Strukturen, dagegen sind ihm Designdetails, Zylinderzahlen oder Spaltmaße nicht so wichtig. „Komplexität meistern“, sagt Samuelsson. „Nicht managen, meistern!“
Der Volvo-Chef sagt das auf Deutsch. Er brauche sprachliche Übung. Samuelsson ist Schwede, aber als junger Mann fuhr er einen VW-Käfer, keinen Volvo. Später war er zehn Jahre lang in München. Er hat als Vorstandschef den Mischkonzern MAN zu einem Lkw-Hersteller umgebaut. Bis Volkswagen neuer Großaktionär wurde und Konzernpatriarch Ferdinand Piëch den Schweden vertrieb. Samuelsson wirkt mit seinem hintergründigen Lächeln eher sanft. Aber er hat in seiner Karriere gezeigt, dass er auch die Rolle des Sanierers beherrscht.
Ob er es bei Volvo noch mal wissen wollte, weil er noch eine Rechnung mit Piëch offenhat? Wieder nur sein Lächeln. Er glaubt natürlich nicht, dass er mit Volvo ernsthaft den riesenhaften VW-Konzern angreifen kann, das wäre ja verrückt. Aber ein industrielles Gegenmodell zum Größenwahn aus Wolfsburg zu entwickeln, das könnte ihm gefallen. „Wir wollen es schnell und smart und einfach machen“, sagt Samuelsson.
Ein Deutscher entwickelt für Volvo neue Modelle
Der Mann, der die Idee von der Einfachheit in Autos umsetzen muss, ist Peter Mertens. Der deutsche Entwicklungschef von Volvo hat bei Daimler Karriere gemacht und war später bei General Motors. Dort hat er selbst Größe gepredigt. Bevor sie ihn vor vier Jahren nach Göteborg geholt haben, ist er nach China gereist und hat sich von „Chairman Li“ versichern lassen, dass er freie Hand habe.
S[[{"fid":"66531","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":774,"width":750,"style":"width: 200px; height: 206px; float: left; margin: 5px 3px;","class":"media-element file-full"}}]]eine Aufgabe: in vier Jahren neun komplett neue Modelle zu entwickeln, neue Fahrzeugarchitekturen, völlig andere Motoren und ein verändertes Produktionskonzept – selbst ein Großkonzern könnte derlei nicht aus dem Ärmel schütteln. Die Fahrzeugarchitektur für die großen Autos ist mit dem XC90 fertig. An einer Plattform für Kompaktmodelle werkeln chinesische und schwedische Techniker ein paar Kilometer von hier entfernt. Da soll sich die Zusammenarbeit mit Geely auszahlen, einfach ist es nicht. Die Geely-Autos, hat man jetzt entschieden, bekommen eine andere Hinterachse und einfachere Infotainmenttechnik. Sonst wird es zu teuer.
Generell musste Mertens im Wettlauf gegen Zeit und Kosten radikale Entscheidungen treffen. Alle Fünf-, Sechs-, Achtzylinder flogen aus dem Programm. Künftig gibt es für alle nur noch zwei Vierzylindermotoren: einen Diesel und einen Benziner, die immerhin noch in unterschiedlichen PS-Stärken angeboten werden. Für das Öko-Image soll der Benziner später noch durch eine Plug-in-Hybridvariante ergänzt werden.
Zum Vergleich: Allein einen VW Golf kann man mit 14 unterschiedlichen Antrieben bestellen. Doch für Volvo wären mehr Motoren zu teuer. Ob die Rechnung aufgeht, entscheidet sich auf den Märkten in China und Amerika. In den USA will Volvo jetzt eine eigene Fabrik bauen. In China entstanden seit der Übernahme drei Fertigungsstätten. Dabei hilft Li: Er besorgt Genehmigungen und Kredite der Staatsbank.
Absatz in China stieg bereits
Weil die Regierung die Funktionäre gern in chinesischen Autos sähe, hofft Li Shufu, dass sie künftig von deutschen Limousinen zu Volvo wechseln, indem er Volvo als heimische Marke zu deklarieren versucht. Der Absatz in China stieg in den vergangenen vier Jahren bereits von 30.000 auf 80.000 Autos.
Das Band in der Fabrik in Göteborg bewegt sich in reduziertem Tempo. Es sind die ersten XC90, die sich hier im Volvo-Stammwerk zwischen die Modelle schieben, welche noch auf Ford-Technik beruhen. Um den Serienanlauf hochzufahren, fängt in diesen Wochen eine neue Nachtschicht mit 1.300 neuen Mitarbeitern an. Fertigung in drei Schichten – das gab es hier zuletzt vor sieben Jahren. Viele Ingenieure haben sie in vier Jahren eingestellt. Und im vergangenen Jahr – bei einem kleinen Gewinn – 465.000 Fahrzeuge verkauft. Kommen neue, eigene Autos hinzu, kann es nur noch besser werden, so lautet das Kalkül.
In der Zentrale erzählen sie stolz, wie gut ihr erstes eigenes Auto bei Testern weggekommen ist. Wie beim Pariser Autosalon 2014 Dieter Zetsche, Martin Winterkorn, Rupert Stadler an ihren Messestand gekommen seien, um das neue Modell zu besichtigen, die Chefs von Daimler, VW und Audi.
Der Mythos „Sicherheit aus Schwedenstahl“
Volvo hilft auch der alte Mythos. „Sicherheit aus Schwedenstahl“, den Slogan haben Deutsche immer noch im Kopf. Dabei hat Volvo den Spruch zuletzt vor vier Jahrzehnten benutzt. Und auch wenn in Amerika die liberale Ostküstenelite inzwischen Toyota Prius fährt, benutzen rechte Tea-Party-Aktivisten den Begriff „Volvo-driving“ immer noch gern als Schimpfwort für ihre Gegner aus dem demokratischen Lager.
Samuelsson lacht darüber. Er ist jetzt 64. Seine Karriere hatte er eigentlich schon hinter sich. Aber das Angebot, die Volvo-Spitze zu übernehmen, konnte er nicht ablehnen. „So eine alte Traditionsfirma, das ist ein Kronjuwel von Schweden“, sagt er. Drei bis vier Jahre sind es noch. Dann ist die gesamte Modellpalette erneuert, und Volvo soll so viel Rendite machen wie Audi oder BMW.
Die Zusammenarbeit mit den Chinesen läuft. Li Shufu hat inzwischen sogar die Suche nach dem perfekten Chinarestaurant in Göteborg aufgegeben. „Wir setzen ihm dann Dorsch vor“, sagt Samuelsson und grinst.
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