- Schluss mit der Systemrelevanz!
Die Eurokrise hat ein neue Größe hervorgebracht: die Systemrelevanz. Doch das Gerede vom System, das auf Gedeih und Verderb zu schützen sei, ist der denkbar größte Misstrauensantrag an den Menschen
Zypern müsste man sein. Auf der idyllischen Mittelmeerinsel gedeihen Oliven, Feigen, Wein und Korruption, und außerdem ist man „systemrelevant“. So hören wir es in diesen Tagen, nach der Wahl eines neuen zypriotischen Präsidenten, allüberall.
Zwar beträgt die Wirtschaftsleistung des Mini-Staates nur rund 0,2 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Auf verschlungenen Pfaden aber soll Zypern mit gar zu vielen anderen Marktteilnehmern verbandelt sein, als dass man es pleite gehen lassen dürfte.
Zuvor war schon das deutlich größere, aber immer noch winzige Griechenland für systemrelevant erklärt worden. Ergo musste und muss die Europäische Union es „retten“, also alte Schulden erlassen, neues Geld drucken. Davor wiederum waren zahlreiche Banken als systemrelevant eingestuft worden, von der spanischen Banco Popular über die niederländische SNS-Gruppe bis hin zur Hessischen Landesbank. Sie alle haben Anrecht auf staatliche Stützung, wenn sie so schlecht wirtschaften, dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht.
Was sagt dieser politisch gewollte Mechanismus eigentlich aus über jenes System, das er so krampfhaft am Leben erhalten soll? Das System ist das Euro-Geldsystem. Der Euro ist demnach ein derart schwaches, künstliches, kränkelndes Gebilde, dass er nicht die kleinste Erschütterung verträgt. Er ist eine Größe, die auf Null zurückfiele, würde sie nicht tagtäglich mit Argusaugen beobachtet und mit anderer Leute Geld, mit Steuerzahlergeld, aufgepäppelt. Der Euro ist die eine Zahl, die im Casino immer und immer wieder gewinnen muss, damit die Bank nicht kollabiert. Der Euro ist die blanke Unwahrscheinlichkeit, ein Widerspruch in sich, eine Fehlkonstruktion.
Außerdem ist das Gerede vom System, das auch im neuen Jahr partout nicht verstummen will, entlarvend. Systeme sind offenbar die neuen Subjekte. Das System muss funktionieren, die Verknüpfung muss stabil sein. Was da genau verknüpft wird, wer da im Einzelnen die Systemfäden zieht, ist unerheblich und soll gar nicht benannt werden. Statt persönlicher Verantwortung, statt individueller Freiheitsrechte bildet ein anonymes System nur Grade der wechselweisen Verwiesenheit, ja der Abhängigkeiten aus. Im systemischen Denken ist das Individuum ein Störfaktor, darf an Personen nicht einmal gedacht werden. Im System triumphiert das Opake.
Das Gerede vom System, das auf Gedeih und Verderb zu schützen sei, ist der denkbar größte Misstrauensantrag an den Menschen. Dieses Gerede will uns einreden, dass es für unser aller Zukunft vor allem auf das Funktionieren von Systemen ankommt. Dass Zukunft also letztlich das ist, was dabei herauskommt, wenn die Systeme schnurren und die Gleichungen aufgehen, ohne jeden Rest. Der Blick zurück aber zeigt: Systeme können außer Kontrolle geraten, sie können für Katastrophen sorgen, die es ohne sie, ohne die Systeme, gar nicht geben könnte. Systeme können knechten. Und immer verschleiern sie, wer sie einmal aus welchen Interessen ersonnen hat. Eine menschliche Zukunft braucht vor allem Menschen, die sie gestalten, braucht Gesichter und Charaktere. Das einzige System, das zu erhalten sich lohnt, ist die Menschheit.
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