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Streit ums Kopftuch - Karlsruhe befeuert den Kulturkampf

Kisslers Konter: Das Bundesverfassungsgericht irrt. Die Schule darf kein Testlabor sein für die Demokratietauglichkeit des Islam, und nicht alle Religionen sind gleich. Muslimische Lehrerinnen sollten auch weiterhin kein Kopftuch im Unterricht tragen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der Applaus ist groß: In der vergangenen Woche habe das Bundesverfassungsgericht seinen Irrtum eingesehen und der Religionsfreiheit zum Sieg verholfen. Das nun veröffentlichte Urteil, wonach die Länder es muslimischen Lehrerinnen nicht mehr generell untersagen dürfen, im Unterricht Kopftuch zu tragen, sei ein Meilenstein der Integration. Die linke „Tageszeitung“ sieht den Islam dadurch ein kleines Stück weiter eingebürgert und Frauen etwas weniger diskriminiert. Die linksliberale „Süddeutsche Zeitung“ empfiehlt der gesamten Republik, am Kopftuch zu genesen, die „Zeit“ wünscht sich nun „ein paar Polizistinnen mit Kopftuch“. Friede, Freude, Hidschab tragen?

Ein sehr besonderer Stoff


Wenn es so einfach wäre. Ich gestehe, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Natürlich soll und darf der Staat sich nicht in die Kleiderwahl seiner Staatsbürger einmischen, natürlich muss jeder Frau und jedem Mann es freigestellt sein, zu welchem Tuch in welcher Form und welcher Farbe sie oder er des Morgens greift, vor dem Verlassen des Hauses, und natürlich hat der Islam dasselbe Recht, sich öffentlich zu zeigen, wie es auch Schintoisten und Tantriker dürfen. Nur totale Nacktheit und völlige Verhüllung, Nudismus und Burkaismus, sollten sich in einer freiheitlichen Zivilgesellschaft verbieten. Die Schule aber ist ein sehr spezieller Raum und das muslimische Kopftuch ein sehr besonderer Stoff.

In der Begründung zeigen sich die Bundesverfassungsrichter als elaborierte Zeitgeistkohorte, der es um maximale Gegenwartstauglichkeit zu tun ist. Traditionen und Mentalitäten, sagen sie uns, vermögen nichts vor dem Richterstuhl des Relativismus, milder formuliert: vor der amoralischen Äquidistanz der Justiz zu allen Erscheinungen der Realität. Das Gericht zeigt sich damit einmal mehr als der große Schnitter, der es bis zu einem gewissen Punkt sein muss. Die Gleichbehandlung gleicher Phänomene ist ihm oberstes Prinzip. Privilegieren darf der Staat keine Weltanschauung vor der anderen, weil den Karlsruhern eine Weltanschauungsallergie in die bundesrepublikanischen Gene geschrieben ist – wodurch sie jedoch ihrerseits eine Weltanschauung zementieren: die ebenso koranfreundliche wie unislamische Ideologie von der Gleichwertigkeit aller Religion.

Soll das Kopftuch die Bestie im Mann zähmen?


Das Karlsruher Mehrheitsvotum mit sechs zu zwei Stimmen verkennt die unterschiedliche kulturelle wie politische Prägekraft religiöser Selbstbehauptung, die über den Einzelfall eben weit hinausgeht. Der fast mokante Tonfall, mit dem die Richter und Richterinnen „christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen“ aus dem Raum des rechtlich Relevanten verweisen, ist bemerkenswert. Dabei könnten sie wissen, die acht Damen und Herren, dass ohne diese Werte und Traditionen eine freie Rechtsprechung und ein unabhängiger Staat nicht entstanden wären, dass es ohne „Athen“ und „Jerusalem“ und „Rom“ kein „Karlsruhe“ gäbe. Dem Islam kann diese zivilisatorische Leistung nicht nachgesagt werden. Faktisch und historisch gibt es hier sehr wohl ein privilegiertes Erbe, ein spezifisches Fundament, das Fundamentalismus verhindert.

Natürlich kann man sich, wie es die Karlsruherinnen und Karlsruher taten, auf den ästhetischen Standpunkt zurückziehen und im Kopftuch ein Accessoire sehen, das „auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist“. Davon abgesehen, dass das Kopftuch „nie ein Symbol des normalen, gläubigen Menschen oder einer gläubigen Frau“ (Lale Akgün) war – welches religiöse Gebot spricht sich auf diese Weise aus? Der Koran sagt in der 33. Sure: Frauen und Töchter sollen „ihre Tücher tief über sich ziehen“, damit sie als Gläubige „erkannt und nicht belästigt werden“. Ein Schutzwall soll das Tuch sein vor den offenbar als lüstern und unbeherrscht geltenden Männern: Ist das eine Botschaft, die heranwachsenden Jungen und Mädchen vermittelt werden soll? Dass im Mann eine Bestie schlummert, für deren Zähmung die Frau zuständig ist?

Am orthodoxen Kopftuchzwang zeigt sich exemplarisch, was der Islamwissenschaftler und Publizist Rachid Boutayed die „Verschleierung der Moderne“ durch den Islam nennt: „Die Weiblichkeit ist in dieser Sicht Unterwerfung unter den Mann oder sie ist nicht vorhanden.“ Schleier und Tuch hätten den Zweck, „den Körper der Gesellschaft unter Kontrolle zu halten“. Dass vor diesem Hintergrund eine spezifisch linke Gender-Elite, wie sie etwa in der Gestalt von Susanne Baer im Karlsruher Ersten Senat Einzug gehalten hat, an der Mär vom emanzipatorischen Kleidungsstück festhält, müsste man schleierhaft nennen – wäre es nicht so abgeschmackt.

Debatte wird den Schulfrieden brechen


Der Karlsruher Versuch, das Bekenntnis zu einem demokratiekompatiblen Islam in verfassungsähnliche Ränge zu heben, wird scheitern. Er wird scheitern auf jener Ebene, der zu gehorchen Karlsruhe vorgibt, auf der Ebene der Lebenswirklichkeit. Die Schulen werden mit der Einzelfallprüfung, ob durch das Kopftuch eine hinreichend konkrete „Gefahr für den Schulfrieden“ vorliegt, heillos überfordert sein; bereits die Debatte darüber wird den Schulfrieden brechen. Die sehr wenigen Lehrerinnen mit Kopftuch, die es womöglich geben wird, werden sich aufreiben in innerislamischen Debatten, in die das Karlsruher Urteil sie mit fast schon voyeuristischer Lust treibt: Die besonders frommen Knaben werden es ablehnen, von einer Frau unterrichtet zu werden, die mittelfrommen werden sich an den Musliminnen ohne Kopftuch stoßen, die säkularen an denen mit Kopftuch. Wie soll da bitteschön seriös unterrichtet werden?

Karlsruhe befeuert durch sein Urteil einen Kulturkampf, dem es wehren wollte. Von Ferne schimmert das friderizianische Diktum durch, es möge halt jeder nach seiner Façon selig werden, ob mit, ob ohne Kopftuch, ob Frau, ob Mann, ob zugereist, ob nicht. Die staatliche Schule aber ist kein Testlabor für die Demokratietauglichkeit einer „verspäteten Religion“ (Boutayed) – und Kinder dürfen nicht die ungefragten Probanden sein. Natürlich: Jeder soll im freien Raum, auf Marktplatz und Agora, jedweden Glauben friedlich ausüben oder bewerben dürfen, jeder und jede, ohne Einschränkung, ohne Bevorzugung. In der Schule aber ist die Gabe der Unterscheidung gefordert, nicht die Kunst des Laissez-faire.

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