Statue im Willy-Brandt-Haus
Womöglich war seit Willy Brandt kein Politiker mehr traurig. / dpa

En passant - Die Kamele brauchen mehr Heu

Unsere Kolumnistin Sophie Dannenberg war im Zirkus. Beim Anblick der deprimierenden Gesamtsituation merkte sie, wie traurig wir alle sind. Sollte es auch in der Politik Platz für ehrliche Traurigkeit geben?

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Erst im Zirkus merkte ich, wie müde wir alle sind – und wie traurig. Traurigkeit ist eigentlich keine politische Kategorie, was ein Mangel sein könnte. Ich jedenfalls kann all diese entschiedenen, ehrgeizigen Visagen im Bundestag einfach nicht mehr sehen. Womöglich war seit Willy Brandt kein Politiker mehr traurig. Ich meine natürlich nicht die Publicity-Trauer, sondern jene große, weite Traurigkeit, die ihre Ursachen zwar kennen mag, aber nicht mit ihnen identisch ist. Sie ringt auch nicht nach Ausdruck, sie ist einfach da, wie in den Gedichten von Erich Kästner oder im Timbre von Jeff Buckley. Oder eben im Zirkus neulich.

Schon der Hinweg war düster. Ich musste erst durchs Parkhaus und dann durchs Einkaufszentrum, wo plötzlich die Schriftstellerin Juli Zeh auf einer Bank saß. Irgendwie deprimierte mich das. Ich hatte mir Juli Zeh immer an schrägen, abgelegenen Orten vorgestellt, Brandenburg oder Bosnien, aber nie in den Spandauer Arcaden. Man sollte solche Orte meiden, sie schlürfen einem die Aura weg. Der Zirkus dann war halb leer, und sämtliche Kinder im Publikum wedelten mit schrill blinkenden Neonröhren, zehn Euro das Stück.

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Martin Falter | Mo., 20. Dezember 2021 - 13:54

Gestern im Weltspiegel, ein einarmiger Junge, im Flüchtlingslager muss seinen Vater ersetzen und auf einer Müllhalde ( wo er oft von anderen verjagt wird ) nach Plastikbechern und anderen Zeug suchen, dass er dann verkaufen kann. Null Perspektive für ihn und seine Familie.

Das ist traurig!

Ingofrank | Di., 21. Dezember 2021 - 08:17

Antwort auf von Martin Falter

Stimmt ohne Zweifel es gibt viel Elend auf dieser Welt! Keine Frage.
ABER mit unter wird auch die Manipulation durch Medien nicht gesehen!
Beispiel: Ich sah vor längerer Zeit einen Beitrag im ÖRR über Flüchtlingslager in Griechenland. Hauptthema: kein/wenig zur Verfügung stehendes Trinkwasser. Bloß lief beim Interview im Hintergrund ein Mann durchs Bild, in den Händen jeweils 2 Sixpack mit großen Wasserflaschen trug. Meine Frau sprach, hast du das gesehen? Ihr ist’s auch aufgefallen. Wassermangel?
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Joachim Kopic | Di., 21. Dezember 2021 - 18:39

Antwort auf von Ingofrank

...arme Frauen und Kinder ... und im Hintergrund mindestens 10(!)mal so viele junge Männer, die offensichtlich gerade dabei waren, sich ihrer Papiere auf einem Feld zu entledigen ...
Ich betrachte sowas inzwischen als modernes "Wimmelbild" unter dem Motto "Ich sehe was, was du nicht siehst" ... oder besser "... du nicht sehen sollst" ;)
Tipp: Garnicht mehr anschauen - es lohnt sich nicht! Seither wandern ähnlich gestaltete "Bettelbriefe" (gerade in dieser Zeit) sofort in den Papierkorb!

Walter Bühler | Mo., 20. Dezember 2021 - 14:44

Trauerspiele gibt es in der Politik leider eher zu viele, aber eigentliche Trauer wird selten sichtbar. Dazu ist unsere demokratische Politik viel zu sehr zu einem Teil des Prominenten-Zirkus verkommen, der wiederum weitgehend ein Teil der Unterhaltungsindustrie geworden ist. Wie Schauspieler und andere Promis können auch Politiker bei offiziellen Anlässen hin und wieder mal Trauer vorspielen, so gut sie es eben können. Manchmal ist das sogar sinnvoll.

Echte Trauer bleibt aber privat und taugt nicht zur öffentlichen Vermarktung. Wie ging es Laschet nach der Niederlage? Wie geht es Baerbock, wenn man sich über ihre Aussprache des Englischen lustig macht?

Politiker leiden unter der echten Trauer genau so wie wir anderen Menschen - im Privaten. Und das ist gut so.

Zweifellos wäre es nämlich schlecht, wenn Politiker die Menschlichkeit verlieren würden, die sich in echter, privater Trauer manifestiert.

Bernd Muhlack | Mo., 20. Dezember 2021 - 18:03

KRONE - SARRASANI - ALTHOFF
und wie sie alle hießen.

Als Kind war ich mit Oma im Zirkus - auffem Messplatz in KO; mein bester Freund war auch dabei.
Mein erster Eindruck: "Hier stinkts!"

Ich konnte mit so etwas nichts anfangen.
Wieso macht der Elefant seltsame Tänzchen - wieso ist er überhaupt hier?
Nein, Neon-Schwerter gab es damals noch nicht, aber Soft-Eis - ich hatte es heimkehrend wieder ausgeworfen.
Dieser schreckliche Geruch hatte sich eingebrannt!

Eingebrannt?
Willy Brandt!?
Ich weiß nicht, ob er jemals traurig war, das ist auch unerheblich.
"Mehrr Demokrratie wagenn!" war sein Motto.
Mit einem "R" wie es nur Raucher und ... aussprechen können!
Vgl. Joe Cocker, Tom Waits etc.

"Zirkusse", Zoos?
Wozu - wer braucht das?

Wir waren mit Tochtern einmal im Zoo.
Ein Helmkasuar - quasi in Käfighaltung.
Wehe wenn er losgelassen!

Werte Frau Danneberg:
- die Kamele brauchen mehr Heu?
- un dä Sultan, dä Sultan hät Dorscht!
= Die Karawane zieht weiter ....

FROHE WEIHNACHT!

Rob Schuberth | Mo., 20. Dezember 2021 - 19:32

Klares nein.
Trauer an sich ist privat u. sollte auch dort bleiben.

Nur unsere auf Spektakel u. Clicks getrimmten Medien gieren nach Aufmachern.
Die schrecken auch vor der Vermarktung echter Trauer nicht zurück.

Damit schaffen sie aber m. E. eher eine in der Öffentlichkeit nur zur Schau gestellten Trauer (z. B. Ansprachen d. Politiker) die aber mit echter Trauer nichts zu tun hat.

Also nein, keine Trauer in der Politik.
Gedenken sind nat. erwünscht u. angemessen, aber die sind ja auch etwas ganz anderes.

Sabine Lehmann | Di., 21. Dezember 2021 - 06:07

Bei der Überschrift dachte ich sofort an die Bewohner der Glaskuppel in Berlin und was darunter zur Zeit so ausgebrütet wird. Wobei: eigentlich eine Schande für jedes anständige Kamel;)