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Baby-Business - Verbietet die Leihmutterschaft!

Kisslers Konter: Der Fall Gammy hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Doch die Geschichte des am Down-Syndrom leidenden Surrogat-Säuglings ist nur der Auswuchs eines besonders verabscheuungswürdigen Systems: die Leihmutterschaft. Sie sollte verboten werden

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Abscheu ist allgemein: Ein australisches Paar ließ sich Nachwuchs von einer jungen thailändischen Frau austragen, nahm aber nur den weiblichen Teil des Zwillingspärchens an, weil der Bruder mit Down-Syndrom zur Welt kam. Nun wird im Internet fleißig Geld gesammelt, damit die 21-jährige thailändische Mutter dem behinderten Sohn Gammy die nötige Pflege angedeihen lassen kann. Rund 10.000 Euro erhalten solche, wie es im Branchenjargon heißt, „Surrogatmütter“. Zu ihrer Verteidigung sagen die Australier, sie hätten von dem zweiten Kind nichts gewusst. Der australische Mann soll über 50 Jahre alt und in den 1990er Jahren wegen des sexuellen Missbrauchs dreier minderjähriger Mädchen verurteilt worden sein. So geht die traurige Geschichte.

Lässt sich Mutterschaft verleihen?


Die Rührung speist sich daraus, dass die Australier einen ganz jungen und sehr hilfsbedürftigen Menschen, ein Baby, dessen Existenz sie selbst ins Werk setzten, verschmähten, ihn allein ließen in schwierigster Lage. Sie verweigerten Anteilnahme um des eigenen Komforts willen: So stellt es sich dar. Abscheu und Rührung aber richten sich auf die Auswüchse eines Systems, das im Ganzen falsch ist und verboten werden sollte. Leihmutterschaft ist immer prekär.

Schon das Wort will benennen, was nicht in den Begriff zu bannen ist. Lässt sich Mutterschaft verleihen? Gibt es also Frauen, die eine bestimmte Zeit lang Mutter sind und dann wieder nicht? Natürlich nicht. Wer Mutter (oder Vater) ist, ist es ein Leben lang – oder gar nicht. Die Trennlinie zwischen „biologischer“ und „sozialer“ Mutter ist ein rhetorischer Trick. Es handelt sich um die Adoption von Kindern fremder Mütter. Selbst wenn diesen ein Embryo und nicht nur Sperma implantiert wird, trägt das Kind Spuren jener Frau, die es neun Monate lang austrug.

Wie jede Leihe ist die Leihmutterschaft eine streng ökonomische Handlung. Zwar darf sie in Deutschland nicht durchgeführt werden, deutsche Paare mit dem nötigen Bankkonto fanden aber schon Wege, sich auf dem Weltmarkt zu bedienen. Gegen Geld wird dann eine Leistung geboten, das Baby ist das Endprodukt eines Vertrags. Dass zu jedem Ziel ein Weg führt und dass dieser Weg mit Geldscheinen gepflastert ist: Diese Überzeugung findet man nicht nur in den Kreisen von Hochfinanz, Management und Mafia, sondern eben auch im weltweit boomenden Baby-Business. Arme Frauen verkaufen ihren Körper, damit gleich- oder gemischtgeschlechtliche Paare sich den Traum vom Kind erfüllen können. Ist Leihmutterschaft deshalb moralischer als Armutsprostitution?

Das Leben ist keine Großindustrie


Letztlich beruht das ganze heillose System, das in knapp der Hälfte der Länder der EU erlaubt ist, in den USA und in Russland sowieso, auf Prämissen, die nur Forderung sind und Anmaßung und Geltungsdrang: dass es etwa ein Recht gäbe auf Kinder, auf gesunde obendrein; dass jede Technik, die einmal ersonnen worden ist, angewendet werden dürfe; dass jeder Profit, der Armen zuteilwird, den Armen guttue; dass alle Probleme sich beziffern und durch eine neue Ziffernfolge auflösen ließen.

Der australisch-thailändische Fall um Gammy wird bald aus den Schlagzeilen verschwinden. Die von der Regierung in Bangkok angekündigten Schließung von fünf Kliniken, die künstliche Befruchtung anbieten, dürfte wenig am Nachfrageüberschuss ändern. Immerhin sieben Krankenhäuser bleiben geöffnet. Die Zukunft der beiden Neugeborenen, der Frauen und des Mannes aber sind unumkehrbar überschattet. Das Leben fügt sich selten in die Raster seiner Ingenieure. Wer es als Großindustrie und kapitalistische Transaktion missversteht, dem wird eben mitunter nach industrieller oder kapitalistischer Weise die Rechnung präsentiert: als Gau oder Bankrott.

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