- Ungläubiger Thomas
In Freiberg wurde Thomas Arnold zum Bösewicht des deutschen Fernsehens. Ein Spaziergang durch die Landschaft der Kindheit
Wenn ich es nicht besser wüsste, ich müsste Schauspieler Thomas Arnold für einen Regisseur halten. Ich habe mich mit dem 48-Jährigen zu einem Spaziergang in seiner Geburtsstadt Freiberg verabredet. Doch es dauert nicht lange, und Arnold übernimmt die Regie. Mir soll es recht sein; ich kenne mich in der Stadt nur mäßig aus. Arnold hingegen, bekannt aus unzähligen TV-Krimis sowie aus preisgekrönten Filmen wie „Das Leben der Anderen“, kennt die Stadt wie seine Westentasche.
Nach kurzer Zeit schießen seine Zeigefinger einem Dirigenten gleich, der einen zackigen Marsch dirigiert, nach links und nach rechts: hier seine alte Schule, dort seine Bibliothek, drüben die Werkstatt des Vaters, der einst als Feinmechaniker tätig war. Der Kern der Bergstadt, der von alten Ringanlagen begrenzt wird und in einer Stunde mehrfach abgelaufen werden kann, scheint für Arnold eine Art Landkarte der Seele zu sein. Jedes Haus, jeder Hinterhof hat in sich Geschichten gespeichert. Geschichten, die in kürzester Zeit noch einmal aus dem Schauspieler heraussprudeln werden.
Dabei sind nicht nur Arnolds Hände ständig in Bewegung. Seine Augen fokussieren das Gegenüber wach, die Mundwinkel verziehen sich zu einem schelmischen Grinsen. Das Gesicht, sagt man, sei so etwas wie die Visitenkarte eines Schauspielers. Arnolds Gesicht scheint ihn für das ernste Fach zu prädestinieren. Ärzte, Anwälte – auch mal ein Mörder kann sich darunter verbergen. „Wenn de so ’ne Hackfresse hast, was willste machen?“ Ich würde eher von einem Charaktergesicht sprechen.
Karrierebeginn im Dom St. Marien
Während unseres Gesprächs bittet der Fotograf Arnold mehrmals zu posieren. In solchen Momenten geschieht Erstaunliches mit dem Mimen. Die bewegten Züge verfestigen sich, während die Augen den Betrachter durchbohren – nur, um dann Sekunden später wieder aufgebrochen zu werden; zum Beispiel, wenn Arnold im Albertpark die Sandsteinstufen der großen Treppe hinuntertanzt wie Fred Astaire. Das Heitere liegt ihm. Angefangen hat er genau damit: eine frühe Karl-Valentin-Aufführung inmitten der Straßen von Freiberg.
Doch nimmt man es ganz genau, dann war das schauspielerische Talent schon in dem ganz kleinen Jungen angelegt. Arnold packt den Beginn seiner Karriere in eine Anekdote: Wir laufen gerade um den Dom St. Marien, der das Herzstück des Freiberger Innenstadtensembles bildet, da fällt ihm diese alte Geschichte wieder ein: Sie fällt in die Zeit, als er, wie vermutlich die meisten Jungen seines Jahrgangs, mit großer Leidenschaft die Indianerfilme mit DDR-Star Gojko Mitić guckte. Jedenfalls betrat der kleine Thomas damals an der Hand seiner Mutter die Marienkirche, wurde einer Jesusplastik gewahr und war perplex: „Guck mal, Mutti, da hängt der Gojko Mitić!“ Ein Kerl mit nacktem Oberkörper und langem Haar – Wunder kindlicher Kategorienbildung. Ob die Gemeinde daraufhin mit einem herzlichen Gelächter auf den ungläubigen Thomas reagiert hat, das weiß dieser heute leider nicht mehr. Mutter Arnold aber soll sich, so wird berichtet, mit dem Knaben an der Hand in Grund und Boden geschämt haben.
Angelernte Dialekte
Ein paar Schritte weiter, eine neue Geschichte: In dieser durfte der junge Thomas Arnold einst dem Helden des DDR-Raumfahrtprogramms Sigmund Jähn die Hand schütteln. Doch zum Unglück der Mutter trug er in diesem großen Moment seines noch kleinen Lebens alte und billige Gummistiefel. „Wie kann man denn zu Sigmund Jähn in Gummistiefeln geh’n, das gibt’s doch ni!“ Thomas Arnold ahmt die Mutter im schönsten Freiberger Sächsisch nach. Den Nicht-Sachsen muss an dieser Stelle erklärt werden, dass der sächsische Dialekt enorm variantenreich sein kann. Nicht nur unterscheidet er sich im Vokabular der Bautzener und Dresdener, der Leipziger und Chemnitzer, auch ist jeder Sachse davon überzeugt, dass der Dialekt der Sachsen aus einer je anderen Region eigentlich vollkommen grauenhaft klingt.
Der nachgemachte Dialekt von Arnolds Mutter klingt niedlich. Und Arnold selbst hat ohnehin ein interessantes Verhältnis zu den regionalen Eigenarten deutscher Sprache. Er nimmt Dialekte auf, spielt sie ab und wirkt darin ungemein überzeugend. Bei unserer ersten Begegnung etwa legt er mit einem schnoddrigen brandenburgisch-berlinerischen Einschlag los. Von dort steigert er sich in ein nuschelnd-nöliges Freibergerisch – und zwar immer dann, wenn er Familie und Freunde zitiert. „Da, wo ich gerade bin, färbe ich ein.“ Auch Plattdeutsch und Wienerisch hat er drauf. Die Anverwandlung sei immer auch Teil seines Handwerks. „Man lebt als Schauspieler in den Figuren. Das ist wie eine Verwandlung … Guck mal, auf dem Löwen da bin ich immer geritten!“ Wieder schnellt seine Hand in die Höhe. Sie zeigt auf den Löwen im Brunnen auf dem Rathausplatz. Arnold läuft schnurstracks los wie ein kleiner Junge.
Bürokratischer Weg zum Schauspieler
Verblüffend bürokratisch war hingegen sein Weg zur Schauspielerei. Eines Tages marschierte Arnold einfach in die örtliche Berufsberatung in einer der vielen engen Gässchen des Freiberger Innenstadtrings und erkundigte sich nach der Zukunft: „Wenn man Schauspieler werden will, was muss man ’n da machen?“ Die patente Dame vom Amt schlug ihr dickes Buch auf, schrieb die Adressen der drei Schauspielschulen im Land auf und überreichte ihm das ganze Wissen auf einem Zettel. Suchmaschine á la DDR. Dass unter Tausenden Bewerbern nur 20 ausgewählt werden würden, das kümmerte Arnold beim Vorsprechen nicht. Das sagt er zumindest, während ich noch überlege, ob er wirklich so viel Chuzpe hatte oder ob er die ganze Geschichte nur wunderbar spielt. Übrigens schrieb sich der angehende Schauspieler seinen Monolog fürs Vorsprechen damals selbst – kurzerhand auf der Zugfahrt nach Rostock. „Ich hab irgend ’nen Quatsch zusammengeschrieben; in acht Stunden von Karl-Marx-Stadt bis Rostock. Ich hab einfach keinen Monolog gefunden, der mir gefiel. Da habe ich eben selber was erfunden. Etwas, das genau zu mir passte.“
Der Jack Nicholson von Freiberg
Allerdings führte der Weg zur Schauspielerei am Ende nicht über die Schauspielschule, sondern über eine Berufsausbildung als Konditor im legendären Café Hartmann – noch heute eine Institution der Stadt, die seit Generationen für ihre unnachahmliche Freiberger Eierschecke berühmt ist. Zwar gibt es das typische Hefeteiggebäck auch in anderen Städten Sachsens, die Freiberger Schecke aber ist besonders, kommt sie doch seit Jahrhunderten ohne den sonst üblichen Quarkbelag aus und wird warm gegessen. Wir wollen einen Test machen, doch leider hat das Hartmann an diesem Tag zu. Kein Beinbruch angesichts der Bäckerdichte in der Innenstadt. Die Sachsen sind eben ein Kuchenvolk, und so würde gerade das Hartmann jedem x-beliebigen Wiener Kaffeehaus in nichts nachstehen. Freiberg also, ein kleineres Wien?
Die Geschichte der Stadt ist eine andere. Hier wurden, wie überall in der Region, Silbererze aus der Tiefe des Berges gegraben. Arnold ist überzeugt, dass sich diese Geschichte in die Körper der Bewohner – auch in seinen eigenen – eingegraben habe. Dass die Männer hier von kleinem Wuchs sind, sei ein schönes Indiz für diese These. Die „Langen Kerls“ brauchte Friedrich der Große, die sächsischen Kurfürsten aber kurze Kerle mit kräftigen Händen. Hände wie Schraubstöcke, meint Arnold und streckt seine eigenen vor. Zum Schluss schlendern wir zu Schloss Freudenstein hinauf. Auf dem Vorplatz steht ein großes Bronzemodell der Stadt. Arnold beugt sich darüber und streckt die Schraubstockhände aus. Sein Haus, seine Schule, seine hood. „Die Szene erinnert mich an ,Shining‘“, lacht er. „Ich bin der Jack Nicholson von Freiberg.“ Irgendwie hat er damit wohl recht.
Fotos: Sven Döring
Dies ist ein Artikel aus dem Sachsen-Sonderheft „Erzfreunde“ von Cicero und Monopol.
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