- Rot-Grün lebt wieder
Gerhard Schröder feierte am Sonntagabend seinen 70. Geburtstag. Ein Nostalgie-Termin frei von Kritik: Niemand erwähnte die Haltung des Altkanzlers zu Russland. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel will von Rot-Rot-Grün anscheinend nichts mehr wissen
Große Geburtstagsparty für Gerhard Schröder, der in der Nacht zum Montag 70 Jahre alt wurde: Die „FroGs“ (Friends of Gerd) gedachten der Zeiten von 1998 bis 2005, als Rot-Grün an der Macht und sie alle wichtig waren. Etliche von ihnen fuhren in dunklen Staatskarossen zum Restaurant der Edelköchin Sarah Wiener direkt neben dem Hamburger Bahnhof vor, begleitet von Sicherheitsleuten mit Blaulicht. Peer Steinbrück kam mit dem Fahrrad.
Nicht nur fast alle aktiven SPD-Minister der Großen Koalition sind erschienen, flankiert von ehemaligen und noch aktiven Ministern und Ministerpräsidenten aus SPD-regierten Ländern – vorneweg Hannelore Kraft – sondern natürlich auch die alten Haudegen aus Bonner und Berliner Zeiten: Otto Schily, Joschka Fischer, Renate Schmidt, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Franz Müntefering. Aber auch viele Künstler waren da und saßen später neben Schröder am Ehrentisch: der Maler Markus Lüperz, der Dirigent Daniel Barenboim und Jürgen Flimm, der Intendant der Staatsoper. Weißt du noch, und hast du nicht gesehen – so viele Geschichten, so viele Erinnerungen.
Dabei zählten nicht wenige der geladenen Gäste während der rot-grünen Regierungsjahre zu den schärfsten Kritikern des Jubilars.
Putin ist kein Thema
„Da könnte ich viele aufzählen“, knurrt Joschka Fischer, als er die lange Schlange der Gratulanten mustert. Jetzt wollen sie alle dabei sein, wenn der Ex-Kanzler sein 70. Lebensjahr vollendet. Wenigstens beim Abendessen. Hinterher wird die Schar der Gratulanten dann doch rasch dünner. Der Jubilar hat versprochen, bis Mitternacht durchzuhalten. Und er lässt sich dann von den verbliebenen Gästen auch noch ein schönes Ständchen bringen. Trotz der fortgeschrittenen Stunde gelingt sogar – ohne großes Üben – ein kleiner Kanon: „Viel Glück und viel Segen.“
Vorher ist Gerhard Schröder gefeiert worden, als habe es nie auch nur den Hauch eines Zerwürfnisses zwischen ihm und der SPD gegeben. Der „lupenreine“ Freund Wladimir Putin, der noch vor zehn Jahren zum 60. Geburtstag zu den Gratulanten zählte, ist an diesem Abend kein Thema. Jedenfalls nicht in den öffentlichen Reden. „Einen der ganz Großen“ nennt Sigmar Gabriel den Alt-Kanzler. Der revanchiert sich artig, er habe noch viel vor: „Mein Ehrgeiz geht weiter, über 90 Jahre hinaus.“
Gabriel und Schröder verbindet eine gemeinsame Erfahrung. Beide haben es geschafft, aus einfachsten Familienverhältnissen aufzusteigen und groß zu werden. Das kittet – auch wenn beide gelegentlich heftig miteinander im Streit lagen.
Gabriel und die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi haben das Speiselokal neben den Hamburger Bahnhof nicht zufällig, sondern mit Absicht und Hintersinn ausgewählt. Schließlich sei dort das „Museum der Gegenwart“ untergebracht – „nicht für Vergangenes“, wie Gabriel in seiner Gratulationsrede betont. Außerdem wisse jeder, dass „der Gerd“ viel von moderner Kunst verstehe, mehr als jeder andere Kanzler vor und nach ihm.
Trotzdem geht es ohne die Verklärung der Vergangenheit nicht ab. Immer aufs Ganze sei Schröder gegangen, und er habe das, was er für richtig hielt, auch durchgesetzt, selbst auf die Gefahr hin, dafür vom Wähler abgestraft zu werden. Der Schock der fast gewonnenen aber am Ende eben doch verlorenen Wahl von 2005 und die Erinnerungen an die schmachvollen Oppositionsjahre von 2009 bis 2013, in denen Schwarz-Gelb die Mehrheit hatte, sitzen immer noch tief.
1998 als politische Zeitenwende
Dass inzwischen auch die Konservativen die Agenda 2010, die Ursache dieser Wahlschlappen, überall öffentlich als die größte politische Leistung des „Basta-Kanzlers“ feiern, tut dem einst Geschmähten wohl. Inzwischen kann er sogar herzlich lachen, wenn Gabriel öffentlich gelobt, er werde die noch verbliebenen Reste von Agenda-Gegnern „spätestens heute Abend“ davon „überzeugen, dass es richtig war.“ Da klatscht auch Berthold Huber Beifall, einst IG-Metallchef und kein großer Freund der Hartz-IV-Gesetze.
„Die Partei ist mein Zuhause und wird es immer bleiben“, versichert Schröder. Er ist gut gelaunt und braun gebrannt, als käme er direkt aus der Sommerfrische. Niemals werde er die Partei verlassen, betont er – das gelte auch dann, wenn man nicht immer einer Meinung sei. Die SPD-Gemeinde weiß, wem die Anspielung gilt: Dem abwesenden Ex-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, über den an diesem Abend niemand spricht.
Hinterher, als die Journalisten nicht mehr dabei und die Türen des Speisessaals geschlossen sind, legt Gabriel zwischen Vorspeise (Ratatouille-Salat) und Hauptgang (Perlhuhn) in einer zweiten Rede noch eine Schippe drauf. Er preist das Jahr 1998 als politische Zeitenwende. Damals sei nicht nur die Ära Kohl beendet, sondern mit Bildung der ersten rot-grünen Regierung auch das Tor zur Zukunft aufgestoßen worden.
Und dann wagt der SPD-Vorsitzende sogar einen tollkühnen Blick in diese Zukunft: „Vielleicht muss Rot-Grün im Jahr 2017 fortsetzen, was Rot-Grün 1998 begonnen hat“ – wohlgemerkt: Rot-Grün. Rot-Rot-Grün scheint an diesem Nostalgie-Abend in weite Ferne gerückt.
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